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Zu Hause in der Ballaballa-Welt
Sportkommentatoren sind Spezialisten in Sachen sprachlicher Spezialhervorhebungen. Superdupergut darin ist Alexander Bommes
Bereits mit ihrem - Ehrenwort! - ersten Satz in der Halbzeitpause des Eröffnungsspiels Türkei gegen Italien setzte ARD-Moderatorin Jessy Wellmer runderneuerte Maßstäbe in Sachen sprachlicher Halt- und Besinnungslosigkeit. »Ich bin noch ganz aktionsschwanger«, freute sie sich an der Seite von Bastian Schweinsteiger geradezu grenzenlos - und stachelte dadurch offenbar ihren Kollegen Florian Naß zu mindestens ebenbürtigem Intellektualwagemut an, der nämlich kurz nach dem Wiederanpfiff auf seinem Kommentatorenplatz den wahrlich axiomatischen Satz gebar: »Sport ist Unterhaltung und keine Atomphysik.«
Aber Fernsehsportjournalismus kommt dieser Tage der angewandten Atomphysik schon gefährlich nahe, zumal in seiner Verkörperung durch das unbegreifliche Plappertäschchen Alexander Bommes, den Sprachteilchenzertrümmerer par excellence, der jeden Satz, den er beginnt, umgehend in Schutt und Asche legt und als Phonemschrotthaufen zurücklässt.
Wir haben - neuerlich: Ehrenwort! - in zwei Wochen aus seinem goldenen Munde maximal zwei (in Zahlen: 2) grammatikalisch und semantisch halbwegs zurechtgeruckelte Äußerungen vernommen. Alles andere: Buchstabensondermüll, »natürlich naturgemäß«, um eine von Bommes’ High-End-Formulierungen zu benutzen.
Es ist eine einzige Dauerdemütigung, und die Finger des Chronisten schmerzen beim Abtippen einiger dieser bommesschen Spezialhervorbringungen und Bommerlunder-Brummer. Zum Beispiel kündigt er nach dem Zusammenbruch von Christian Eriksen »das Recovern dieser schrecklichen Szenen« an (»to recover« heißt bizarrerweise »retten« und »genesen«, wahrscheinlich war ihm eine vage Ahnung vom uncoolen Verb »rekapitulieren« durch die Bommel gerauscht).
Anschließend lässt er sich, Rudi Völlers legendäre »Irländer« abgrätschend, über die »engländischen Three Lions« aus, um sogleich die Expertin Almuth Schult, die neben ihren rhetorisch irgendwie verzeihbar hakeligen Kompagnons Stefan Kuntz und Kevin-Prince Boateng eine sehr annehmbare Figur abgibt, zu fragen: »Stellt sich das Torhüterthema von selbst auf?«
Es sind drei - ein drittes Mal: Ehrenwort! - x-beliebige Exempel, mitgeschrieben während drei oder vier Minuten. Unverdrossen stiefelt der Bommes Alex dergestalt vor sich hin und kippt dem zermürbten Gebührenzahler einen Kehrichtsatz nach dem anderen ins Wohnzimmer, inklusive bübisch wiehernder weißer Schimmel: »Es war schon der entscheidende Knackpunkt.« - »Das ist genau die Herausforderung, die sich Jogi Löw und sein Staff schon seit Jahrzehnten reingezogen haben.« - »Wir konzentrieren uns wieder auf die Gleichpartie.« - »Gehen wir mal auf das grundsätzliche Spiel.« Ferner: Die Spanier seien Spieler, die »leistungssportangepikt sind«. Und die Nordmazedonier? »Herz ist aber schon ein bisschen bei den Mazedoniern geblieben nach den drei Spielen.« Na logisch.
»Kriegt man sich ganz abgeschaltet?«, richtet Alexander »Zumindest-auf-jeden-Fall« Bommes das Wort mal an Stefan Kuntz. Er stellt die Frage dem falschen. Gleichwohl wäre es töricht zu hoffen, »dass ’n kleiner Widerstand vielleicht auch kommt«, seitens eines Redaktionsleiters oder eines Intendanten, der dem Treiben Einhalt geböte. Denn mutmaßlich ist die sprachliche Sensibilität in den höheren Anstaltsetagen keine größere. Wie sonst erklärte sich, dass etwa, »wenn wir jetzt schon personell sind« (Bommes), der unverbrüchliche Tom Bartels eine Entgleisung an die andere fügen darf?
»So eine Führung setzt natürlich Kräfte frei, die beflügelt.« - »Er versucht sich hier als Solodribbler.« Er macht »einige Vorstöße nach hinten« respektive zeichnet sich durch einen »überragenden Geniestreich« aus. Oder dass Béla Réthy nach »gefühlt« vier Jahrzehnten am Mikrofon seinen Hang zu fundamentalem Unfug immer noch nicht ablegen muss oder mag? Er hat »eine Qualität, die nicht so gut funktioniert«. - »Diese Möglichkeiten haben eine Chance eröffnet, immer noch Optionen zu haben.«
Und so fort, ad infinitum. Beispielsweise ebenfalls im Falle des Gerd Gottlob, der »eine Mannschaft, das sich untereinander versteht«, bejubelt (im Gegensatz wohlgemerkt zu einer »Mannschaft, die einen Rückstand hergestellt hat«), oder des Oliver Schmidt, der beklagt, »dass sie (die Schotten) irgendwie ihre eigene Torarmut nicht so richtig besiegt bekommen«.
Der wichtigste Jubel dieser EM. ZIRKUS EUROPA freut Leon Goretzkas Geste vor Ungarns Fans mehr als dessen Tor.
Womöglich wäre aus psychohygienischen Gründen einfach anzuraten, vor der allgemeinen Geistzerstörung zu kapitulieren und mit dem ZDF-Spezi Christoph Kramer, der pausenlos Statements wie »Tiefe Laufwege müssen mehr gezogen werden« und »Es geht ja im Fußball immer ’n bisschen so um Ansätze« in die Runde pfeffert, bloß noch zu murmeln: »Da muss auch die leiseste Kritik verstummt werden.«
Genau. Und wenn auch die leiseste Kritik verstummt worden ist, wird alles prima, dann wird alles dufte sein in der Bullerbü-Bommes-Ballaballa-Welt. (»Bullerbü« bedeutet wörtlich übrigens »Lärmdorf«. Hätten Sie’s gewusst? Bitte sehr.)
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