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Die Frau Münchhausen der alten Bundesrepublik
Timo Blunck hat einen historischen Roman veröffentlicht und Songs dazu aufgenommen - ein Gespräch
Timo Blunck ist Musiker und Schriftsteller. Jetzt hat er einen historischen Roman veröffentlicht. »Die Optimistin« handelt von der 1939 geborenen Charlotte Keller, die als Kind im zerstörten Nachkriegshamburg mit Elefanten Trümmer räumt, in den Sechzigern eine Affäre mit dem Beatles-Drummer Ringo Starr hat und schließlich mit von Ulrike Meinhof gedichteten Texten in den Siebzigern in der DDR zum Popstar wird. Und dann gibt es noch den Popnerd Toygar, der sich auf der Flucht vor seiner Hochzeit mit der Tochter eines Kredithais in Charlottes Seniorenwohnung versteckt.
Ihm erzählt sie die Geschichte ihres Lebens, doch Charlotte ist ein bisschen die Frau Münchhausen der alten Bundesrepublik. Besonders glaubwürdig ist sie oft nicht. Charlottes alte DDR-Hits aber hat Timo Blunck gemeinsam mit der Sängerin Franziska Herrmann aufgenommen: »Ich, Sigmund Jähn« war ein kleiner Hit. Und am 17. Juli wird die Charlie-Keller-LP »Die ganze Welt dreht sich im Kreis« auf dem DDR-Label Amiga erscheinen. Beides, Buch und Songs, sind ein großes Vergnügen.
Timo Blunck war Anfang der 80er Jahre Bassist bei der stilbildenden Hamburger Band Palais Schaumburg. Und er ist weiterhin Mitglied der Zimmermänner, die es seit 1979 gibt (die aber von 1985 bis 1999 pausierten). Er machte lange Jahre Filmmusik. Schriftsteller ist er ebenfalls. Bei Heyne erschien im Frühjahr sein neuer Roman »Die Optimistin«. Mit ihm sprach Jens Buchholz.
Geht es Ihnen auch so wie mir: Immer, wenn jemand etwas sagt oder macht, fällt mir dazu ein passender Popsong ein oder ein Filmzitat oder gleich eine ganze Filmszene?
Mein Kopf ist randvoll mit überflüssiger Information, die mir mit steter Regelmäßigkeit im völlig unpassenden Moment einfällt. Mein Hirn ist eine ständig laufende Assoziationsmaschine, aber die Verbindungen sind meistens nicht logisch. Ganz weit vorne sind auch bei mir Popsongs, gefolgt von Filmen. Knapp dahinter Bücher, die ich als Teen und Twen gelesen habe.
Hat Sie irgendetwas in dieser Art motiviert, den Roman »Die Optimistin« zu schreiben?
Motiviert hat mich vor allen Dingen mein ungesunder kreativer Ehrgeiz, gepaart mit einer ordentlichen Portion Selbstüberschätzung. Ich wollte einen Historienroman schreiben. Damit ist ein Autodidakt wie ich natürlich völlig überfordert. Deshalb habe ich gar nicht erst versucht, ein authentisches Buch zu schreiben. Die erwähnte Assoziationsmaschine ist allerdings verantwortlich für den Prozess, mit dem meine Bücher entstehen. Ich setze mich hin und es geht los.
Ich musste beim Lesen oft an Quentin Tarantinos Filme »Inglourious Basterds« oder »Once Upon a Time in Hollywood« denken. Ist das Absicht?
Natürlich ist das Absicht. Ich sehe Geschichte immer durch die popkulturelle Brille. Ich bin ja kein Historiker und erst recht kein Literat. Ich habe weder Germanistik noch sonst ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert. Ich war 40 Jahre meines Lebens Musiker und habe bestimmt mehr Filme gesehen als Bücher gelesen. Außerdem habe ich ja schon gesagt: Ich habe es nicht so mit der Wahrheit. Nackte Fakten langweilen mich zu Tode. Ich habe schon als 12-Jähriger Postkarten mit fiktiven Reisebeschreibungen nach Hause geschrieben, und meine Songtexte waren immer leicht verschobene Versionen meiner Realität. Zu Deutsch: Ich habe eine sehr lebendige Fantasie und schäme mich nicht dafür.
Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass die Popkultur die heimliche Hauptrolle in Ihrem Romans spielt. Und Toygar ist der typische Popnerd, der das alles kennt und weiß?
Ja, »Die Optimistin« ist ein bisschen ein Buch für Nerds. Der Stoff, aus dem Charlottes Geschichten sind, kommt ja direkt aus meiner Plattensammlung, meiner Filmbibliothek, meinem Bücherschrank. Daraus spinnt sie ihre Storys, mit Toygar als Faktenchecker.
Aber am Ende taucht der Beatle Ringo tatsächlich auf und der Faktenchecker Toygar muss feststellen, dass Charlotte gar nicht gelogen hat! Und wir Leser*innen müssen ja annehmen, dass dann alle anderen Geschichten auch stimmen!
Ringo ist narrativ der doppelte Rittberger. Er ist gerade 80 geworden, genau wie Charlotte. Er ist so lebendig und hip, er passt einfach super zu meiner Protagonistin. Außerdem ist er wie sie ein »Miniaturmensch«. Er ist gerade mal 1,68 Meter. Kein Wunder, dass Charlotte sich in ihn verliebt!
Diese Art alternativer Geschichtsschreibung kennt man ja aus Filmen wie »Forrest Gump« oder »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«. Waren das weitere Vorbilder?
»Forrest Gump« ist einer meiner Lieblingsfilme und war ganz klar Inspiration. Den »Hundertjährigen« kannte ich nicht und habe ihn dann wegen des Hinweises auf Ähnlichkeiten sehr ängstlich gelesen. Zum Glück gibt es nicht so viele Überschneidungen. Aber ich bewege mich im gleichen Genre: »Alternative Geschichtsschreibung«.
Aber warum retten Sie ausgerechnet Adolf Hitler und Ulrike Meinhof? Hat man Ihnen schon Verharmlosung vorgeworfen?
Ja, und den Schuh ziehe ich mir auch an. Allerdings bin ich bei Adolf Hitler bestimmt nicht der erste, das ist also nicht mal originell. Ulrike Meinhof war ja nicht nur Terroristin, sondern auch eine sehr interessante Frau. Wenn man ihre Artikel aus den Sechzigern liest oder Interviews mit ihr sieht, dann ist sie eine sehr viel differenziertere Person, als ihr spätes Extremistinnen-Klischee es vermittelt. In meinem Roman ist sie vor allen Dingen Feministin, sie bringt Charlotte dazu, sich zu emanzipieren. Und Charlottes Mann Hasso motiviert sie, sich endlich als homosexuell zu outen.
Eigentlich erzählt »Die Optimistin« doch eine sehr freie Variante Ihrer eigenen Familiengeschichte. Oder ist dieser Eindruck falsch?
Meine Familiengeschichte ist die ganz große Inspiration der Story. Die Anfangskapitel in der Napola und mit Adolf Hitler auf der Autobahn basieren auf den Aufzeichnungen meines Vaters, im Kapitel »Stalingrad« verwende ich Zitate aus den Briefen meines Großvaters von der Ostfront. Die frühen Siebziger sind dann schon meine Kindheitserinnerungen. Charlotte selbst hat sehr viel von meiner Mutter, der ich das Buch auch gewidmet habe. Sie ist eine unverbesserliche Optimistin, von ihr habe ich meine allgemein positive Einstellung, die ich auch zu Corona-Zeiten nicht abschütteln konnte. Außerdem gibt es in meiner Familie die Gewohnheit, zu flunkern - wir nennen das »blunckern«. Wir nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, Hauptsache die Geschichte ist spannend!
Es gibt den Roman, es gibt Songs dazu. Und wann kommt der Film »Die Optimistin«?
Schön wär’s. Ich habe 20 Jahre meines Lebens als Filmkomponist verbracht und weiß deshalb, dass ein Buch wie »Die Optimistin« in Deutschland keine Chance hat, verfilmt zu werden, selbst wenn es auf der »Spiegel«- Bestsellerliste stehen würde. Für die hiesige Förderkultur, die ja Filmfinanzierungen erst möglich macht, ist mein Roman viel zu »vogelwild«. Er behandelt zwar all die großen Themen wie Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsdeutschland, Wirtschaftswunder, RAF und Stasi, aber eben nicht in der förderwürdigen Form. Außerdem ist das Buch ja essenziell eine Komödie - das geht schon mal gar nicht, außer es ist der Haudrauf-Humor eines Weltklasse-Komikers wie Bully Herbig. Obwohl, »Traumschiff Surprise« habe ich geliebt. Übrigens mein Lieblingswort, »obwohl« - so herrlich relativierend!
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