- Politik
- Unwetter
Sirenen in der Nacht
Die Unwetter verursachten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz schwere Zerstörungen
Es ist 0.40 Uhr in der Nacht zu Donnerstag, als in Wuppertal die Sirenen losgehen. Die ganze Stadt wird vor dem gewarnt, was da kommen soll. Der Krisenstab der Stadt rechnet mit einer schweren Überflutung. Dass mit dem Wetter etwas nicht stimmt, hatte sich abgezeichnet. Schon am Montag gab der Deutsche Wetterdienst eine Warnung für große Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz heraus. Starkregen, örtlich bis zu 200 Liter pro Quadratmeter, wurde erwartet. In Hagen oder Wuppertal - Städte,die besonders vom Unwetter betroffen waren - gab es in den letzten Jahren um die 1000 Liter Niederschlag pro Quadratmeter im ganzen Jahr.
Was der starke Regen anrichtete, zeigte sich als erstes in Hagen. Schon am Mittwochmorgen waren ganze Ortsteile überschwemmt. Kleine Bäche hatten sich in reißende Flüsse verwandelt. Straßen, Autos, Hauswände wurden weggespült. Das gleiche Bild etwas später im nahegelegenen Sauerland. In Altena starben zwei Feuerwehrmänner im Einsatz.
Beim Deutschen Wetterdienst (DWD) ist man genervt: »Insgesamt gibt es heute sehr unterschiedliche Modellaussagen, was es schwer macht, eine Vorabinformation Unwetter herauszugeben«, schrieb Meteorologe Olaf Pels Leusden in seiner Prognose für Donnerstag. Ein Vorhersagemodell sah den Starkregenschwerpunkt im östlichen Nordrhein-Westfalen, ein anderes in Brandenburg. Immerhin war man sich sicher, dass es nicht mehr so schlimm wird wie am Tag davor. Und ab dem Wochenende kommt es zur Normalisierung.
Die Behörde gibt offizielle Wetterwarnungen für bestimmte Gebiete heraus. In den vergangenen Wochen waren es besonders viele - mal ging es um Hitze, mal um Gewitter und Starkregen. Wo genau, ist aber schwer vorherzusagen. Der Schurke hat einen harmlosen Namen: »Bernd«. Tiefdruckgebiete ziehen in Deutschland wegen der vorherrschenden Westwind-Strömungen vom Atlantik eigentlich rasch von West nach Ost durch. »Bernd« hingegen hat sich festgesetzt, da das Tief von Hochdruckbieten »umzingelt« ist, so der DWD. Zudem schaufelte es von Osten her warme und feuchte Luft heran.
Die ungewöhnliche Wetterlage bezeichnen Meteorologen als »Tief Mitteleuropa« oder als »Tiefdrucksumpf«. Feuchtwarme Luft und schwache Luftdruckgegensätze sorgen für »beständig unbeständiges und schwülwarmes Wetter mit Unwetterpotenzial«, heißt es beim Wetterdienst. Wichtig dabei ist eine »Konvergenzlinie«, an der feuchte Luft aufsteigt und in höheren Atmosphärenschichten kondensiert. Da es durch mangelnden Wind nicht abziehen kann, regnet es mancherorts über Stunden hinweg stark.
Ist das nun Folge des Klimawandels, der ja mit einer Häufung von Extremwettereignissen einhergeht? Forscher des DWD fanden in einer Untersuchung heraus, dass das »Tief Mitteleuropa« in den 1950er Jahren an acht bis zehn Tagen pro Jahr zu beobachten war, zuletzt aber an 9 bis 15 Tagen, in einzelnen Jahren noch mehr.
Die Zunahme sei damit zu erklären, dass »eine wärmere Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnehmen kann, welcher dann bei einem Niederschlagsereignis als Regen fällt«, sagt Jakob Zscheischler, Klimaforscher an der Uni Bern. Beim DWD ist man etwas vorsichtiger: Bewiesen sei das noch nicht. Der physikalische Zusammenhang sei »deutlich komplexer, sowohl theoretisch als auch bei den Daten«. Ein ebenfalls in der Forschung viel diskutierter Effekt sei »die Abschwächung der Sommerzirkulation der Atmosphäre, die zu weniger Wetterwechsel und länger anhaltenden Wetterlagen führt«, erläutert Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. »So werden ein paar heiße Tage zur Hitzewelle, ein steckengebliebenes Tief führt zu Dauerregen.«
In Wuppertal war zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel vom Unwetter zu spüren. Ja, es regnete. Es regnete viel. Aber das sind die Menschen in der Stadt gewöhnt. Über Wuppertal gibt es den Witz, dass man den Sommer daran erkennen könne, dass der Regen warm und nicht kalt sei. Auch deswegen nahmen viele Menschen die Warnungen wohl auf die leichte Schulter. Doch es gab schon am Mittag deutliche Warnzeichen. Die Wupper stieg langsam an und hatte sich braun gefärbt. Das Problem für die 350 000 Einwohner Stadt: Die Wuppertalsperre und die Bever, die die den Zufluss der Wupper regulieren, drohten überzulaufen. Der Ruhrverband, der die Talsperren unterhält, hatte zwar seit Tagen Wasser aus den Talsperren abgelassen. Diese liefen in der Nacht zum Donnerstag aber trotzdem über. Die Stadt Wuppertal warnte daraufhin vor Überflutungen, deren Ausmaß nicht abzuschätzen sei, und rief die Bewohner des Tals dazu auf, Erdgeschosswohnungen zu verlassen und bei Nachbarn in höheren Stockwerken unterzukommen oder sich in eine der Notunterkünfte zu begeben.
In der Nacht begann dann das große Zittern. Kommt die Flut, wie stark wird sie sein, welche Schäden wird sie anrichten? Während Feuerwehr und Hilfsorganisationen Unterführungen und Brücken im Tal absperrten, tauschten sich zahlreiche Wuppertaler*innen in sozialen Netzwerken über die aktuelle Situation aus. Anwohner der Wupper berichteten von Leichtsinnigen, die auf Brücken standen, um das Wasser zu fotografieren. Andere erzählten, dass bei ihnen der Strom ausgefallen ist. Eine Vorsichtsmaßnahme, wie sich herausstellte. Die allerdings auch Radio Wuppertal betraf. Der Lokalsender berichtete die ganze Nacht live; als mitten in der Nacht das Webradio ausfiel, konnte das Radio nur noch über UKW empfangen werden. Die Moderator*innen erzählten, dass sie im Dunkeln sitzen, kein Internet mehr haben und nur noch mit ihrem Notstromaggregat senden können.
Im Internet zeigten die Wuppertaler*innen und viele andere Menschen aber auch ein beeindruckendes Maß an Selbstorganisation. Nachdem angemerkt wurde, dass die Stadt Wuppertal nur auf Deutsch über das Unwetter informierte, fingen Menschen an, die Meldungen in zahlreiche Sprachen zu übersetzen. Im Lauf der Nacht kam sogar noch eine Gebärdensprachdolmetscherin hinzu. Die Stadt griff das Engagement dankend auf und verbreitete die Übersetzungen weiter.
In den frühen Morgenstunden wurde dann klar, eine Flutwelle wird Wuppertal nicht treffen. Der Pegel der Wupper stand zwar auch Donnerstagnachmittag noch gefährlich hoch, aber es war nicht zur absoluten Katastrophe gekommen. Vollgelaufene Keller, Gebiete ohne Stromversorgung und ein evakuierter Vorort sind die vorläufige Bilanz.
Ganz anders erging es zahlreichen Orten in der Eifel und in der Region Aachen. In Teilen von Eschweiler etwa musste die Wasserversorgung eingestellt werden. Der Braunkohletagebau Inden wurde überflutet, ein Mitarbeiter wird vermisst. In der Eifel ist die Situation noch schlimmer. Die Ahr und zahlreiche Nebenflüsse sind über die Ufer getreten. Im kleinen Dörfchen Schuld wurden mehrere Häuser von den Wassermassen zerstört. 30 Menschen wurden dort am Donnerstagnachmittag noch vermisst. In anderen Orten mussten sich Menschen auf ihre Hausdächer flüchten. Sie konnten teilweise nur aus der Luft gerettet werden, weil die Strömung zu stark für den Einsatz von Booten war. Im Kreis Ahrweiler wurden 100 Häuser zerstört.
Am Donnerstagnachmittag drohten Überschwemmungen in Trier. Dort musste unter anderem ein Krankenhaus evakuiert werden. In Rheinland-Pfalz starben mindestens 5 Menschen im Zusammenhang mit den Überflutungen. In Nordrhein-Westfalen sind 15 Tote zu beklagen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sprach von einer »noch nie erlebten Katastrophe«. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet machte sich in Altena und Hagen ein Bild von der Situation. Er erklärte, dass das Land die Kommunen finanziell unterstützen werde. Eine ähnliche Ankündigung gab es von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen kritisierten die Landesregierung. Die SPD bemängelte das Fehlen eines landesweiten Krisenstabes. Die Grünen appellierten, Städte krisenfest zu machen sei »kein nice to have, sondern ein must have«.
Das genaue Ausmaß der Schäden und die Zahl der Todesopfer dieses Unwetters waren am Donnerstagnachmittag noch nicht bekannt. Hoffnungsvoll stimmt, dass es am Donnerstag keine Unwetterwarnungen in den betroffenen Gebieten mehr gab.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.