Die Störung der Geometrie

Auf den Spuren von Oskar Schlemmer: Das Bauhaus ist noch immer Referenz für modernes Theater – auch für das »Geometrische Ballett«

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Für den bildenden Künstler gibt es drei Möglichkeiten, im Theater zu wirken, schrieb Oskar Schlemmer. Er kann sich in den Dienst des Gegebenen stellen und sein Schaffen den Dichtern und Schauspielern unterordnen. Oder er wählt die Isolation, um eine Bühnenkunst zu entwerfen, die an den Möglichkeiten der Umsetzung scheitern müsste. Seine Pläne würden zu Ausstellungsstücken, die im Warten auf ihre Verwirklichung verstaubten. Der Bauhauskünstler Schlemmer wählte eine dritte Herangehensweise: In einer von den Tänzer*innen Elsa Hotzel und Albert Burger angeregten Zusammenarbeit entwickelte er ein modernes - rundum erneuertes - Ballett, in der die Bewegungen der Menschen den Gesetzen von Form, Geste und Raum angeglichen wurden.

Als das »Triadische Ballett« 1922 zur Uraufführung kam und im Folgejahr auf der Bauhaus-Ausstellung in Weimar gezeigt wurde, bewegten sich keine grazilen Tänzer*innen auf der Bühne. Schwere, teilweise aus Holz gefertigte Kostüme, die architektonisch, wie es für die gesamte Bauhausbewegung typisch war, aus den Grundformen Kreis, Dreieck und Quadrat konstruiert waren, produzierten kinetische Skulpturen. Zwischen Kritik an der fordistischen Mechanisierung aller Lebensbereiche, die gerade eine Konjunktur erlebte, und ausagierter Technikutopie bleibt die Haltung des Stücks ambivalent.

Seitdem der Taucher, die Kugelhände oder der Abstrakte - so die sehr plastischen Namen der Figuren - die kubische Raumbühne betraten, ist ein Jahrhundert vergangen. Dennoch wirkt das Experiment moderner als manches zeitgenössische Tanztheater. Wie Signale aus einer anderen Zukunft inspirieren die Figurinen des »Triadischen Balletts« zur Rekonstruktion und Weiterarbeit an der Grenze zwischen bildender und szenischer Kunst.

2019 entdeckte die Choreografin Katja Erfurth eine tänzerische Hommage an Oskar Schlemmer wieder, die sie für das Appia-Festival neu interpretierte und die seitdem tourt. Die der Bauhausbewegung eng verbundene Künstlerin Ursula Sax entwickelte bereits 1992 das »Geometrische Ballett«, in dem mit Komik und Raffinesse Formen zu tanzen beginnen. Reduzierter als die vielfarbigen Kostüme Schlemmers tritt hier das Material selbst in den Fokus. Dicker Filz, Pappe und seidiger Stoff umschließen, begrenzen und spielen mit den Körpern.

Für die Wiederaufnahme der abstrakten Arbeit ist die große Bühne im Festspielhaus Hellerau fast leer geräumt. Im weißen, von Adolphe Appia entwickelten Theaterraum befinden sich nur zwei Treppen. Das offene Bühnenkonzept, welches zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Émile Jaques-Dalcrozes Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus erarbeitet wurde, schlägt einen impliziten zeitlichen Bogen. Jaques-Dalcrozes Arbeit in Hellerau war für Burger und Hotzel eine Inspirationsquelle, die wiederum in das »Triadische Ballett« einfloss.

An diesem Schnittpunkt zwischen Rekonstruktion und Innovation treten die Tänzer*innen auf die Bühne. Ihre Glieder suchen die passenden Öffnungen in den flachen Pappen. Die Rechtecke und Kreise werden im Anprobieren der Bewegungsmöglichkeiten zu plastischen Widerständen. Begleitet vom Live-Musiker und Komponisten Sascha Mock, fügen sich die Körper und werden zu kinetischen Ausstellungen. Nur kurz nimmt das lebendige Mobile den Raum ein, dann legen die Tänzer*innen die Kostümteile ab und machen sich selbst als Impulsgeber*innen sichtbar.

»Geometrisches Ballett« ist eine immer von Neuem ausgetragene Suche nach den Grenzen von Form und Material wie von mechanischer und tänzerischer Bewegung. Mit Leichtigkeit geschieht dies beim schwebenden Auftritt der Luftkleider. Der dünne an Reifröcken aufgespannte Stoff plustert sich im Spiel mit der Luft auf und asymmetrische Noppen stülpen sich aus den mehrstöckigen Aufbauten. Verbunden ist dies mit einer Überschreitung der Form. Um die Kostüme zu ihrer Entfaltung zu bringen, braucht es den menschlichen Körper, die herausragenden Extremitäten, die Störung der Geometrie. So findet die Aufmerksamkeit immer wieder zu den vollkommen verhüllten Tänzer*innen, zum Zentrum der Bewegung zurück. Der Blick versucht die angezogenen, abstrahierten Körper wieder auseinanderzunehmen und die Stoffbahnen in die Grundformen aufzutrennen, um sich den Vorgängen unter der Hülle anzunähern.

Spannend bleibt das oft humorvolle Spiel mit dem Material in der Abstraktion. Wenn sich im Duett zwischen dem in Filz gepanzerten Grabritter und dem Mädchen ohne Körpermaske eine Beziehung entspinnt, rutscht der Tanz in eine banale, klassisch anmutende Zweierkonstellation. Dieses Aufblitzen von oberflächlichem Handlungsballett widerstrebt den grundlegenderen Fragestellungen, die hier verhandelt werden. Gibt es noch Spielräume für den (de-) formierten Körper?

Von diesem Theaterraum ausgehend, werden Fragen nach der Überschneidung von bildender und darstellender Kunst aufgeworfen. Die unter anderem von der Avantgarde der 20er Jahre angestoßene Bewegung beeinflusste nicht nur Ursula Sax. Auch die Theaterarbeiten von Robert Wilson, in denen sich die Handlung auf einer durch Licht strukturierten Bühne wie eine Landschaft ausbreitet, wären ohne diese Impulse nicht denkbar. Wenngleich transdisziplinäre Theaterarbeit inzwischen etabliert ist, erhält die reduzierte Form auch in Katja Erfurths Wiederholung das spannungsreiche Potenzial aufrecht, die Gesetzmäßigkeiten des Bühnenraums und Körpers abzuschreiten - und sie zu übertreten.

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