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Hat es erst Patina, wird es aussehen, als wäre es nie weg gewesen
Rund 800 Jahre Berliner Stadtgeschichte bündeln sich an dem Standort, an dem das einstige Stadtschloss als Humboldt-Forum wiederauferstanden ist
Der Anblick ist überwältigend: 70 Jahre nach seinem Verschwinden steht das Stadtschloss wieder in Berlins Mitte. Zwar noch ein wenig »ladenneu« mit seinen unbefleckten Mauern und all dem makellosen Barockschmuck seiner Fassaden. Es braucht halt noch Zeit, um eins werden zu können mit seiner historischen Umgebung, aus der es die Bomben des Zweiten Weltkrieges und am Ende der Abrissbefehl einer ignoranten DDR-Führung gerissen hatten. Und es ist ja auch nicht als Schloss wiedererstanden, es ist das Gebäude des Humboldt-Forums, das Berlins ambitioniertestes Kulturprojekt werden soll. An diesem Dienstag wird das Haus eröffnet.
»Das Haus ist fertig«, sagte Wilhelm von Boddien, der Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e.V., der sich unmittelbar nach der Verwirklichung der deutschen Einheit 1990 den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zum Ziel gesetzt hatte. 2002 hatte der Deutsche Bundestag mit dem Beschluss über die Schaffung des Humboldt-Forums den Weg für das Bauprojekt am historischen Standort des Stadtschlosses frei gemacht, und am 12. Juni 2013 wurde der Grundstein gelegt. Das Gebäude nach dem Entwurf von Franco Stella ist im Dezember 2020 fertiggestellt und bauordnungsrechtlich abgenommen worden. Es ist betriebsbereit.
Am 9. Juni, vor gut einem Monat, hatte die Stiftung Humboldt-Forum im Berliner Schloss die Portale öffnen lassen, den Schlüterhof und die Passage der ungeduldig wartenden Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seither ergreifen immer mehr Berliner und Gäste ihrer Stadt Stück für Stück von dem imposanten Bauwerk mit den drei prächtigen Barockfassaden Besitz, der einzig an der Spreeseite mit einer kargen, modernen Front die Brüche in seiner Baugeschichte offen bekennt.
»An kaum einem anderen Ort in Berlin haben sich gesellschaftliche, städtebauliche, politische und kulturelle Entwicklungen so verdichtet wie auf dem Schlossplatz«, erinnert die Stiftung Humboldt-Forum. »Hier haben Fürsten und Politiker in den letzten 800 Jahren gebaut, umgebaut, abgerissen und immer wieder neu geplant, um ihren politischen Ansprüchen Ausdruck zu verleihen.«
Dort, wo heute Berlins Mitte ist, lassen sich noch heute im wieder zugänglich gemachten Schlosskeller die Reste der Grundmauern eines Dominikanerklosters finden, das einst an dieser Stelle stand. Hier, in der zu jener Zeit wenig bedeutsamen Doppel-Stadt Berlin-Cölln, legte Kurfürst Friedrich II. am 31. Juli 1443 den Grundstein zum Schloss. Im Jahre 1451 bezog der Kurfürst das neue Residenzschloss der Hohenzollern, das fortan - gegen den Widerstand der Bürger - fester Sitz der Kurfürsten, der Gerichte und obersten Behörden war. In den Folgjahren wurde das Schloss wiederholt umgebaut und erweitert. Kurfürst Joachim II. von Brandenburg (1505-1571) griff als erster weitgehend in die Schlossarchitektur ein, ließ große Teile zurückbauen und stattdessen einen Renaissancebau errichten. Weitere Baumaßnahmen, wie der Bau des Westflügels, folgten.
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) ließ Kurfürst Friedrich Wilhelm das beschädigte Schloss wieder aufbauen und die Architekten Johann Gregor Memhardt und Johann Arnold Nering barocke Umbauten vornehmen. Ein Lustgarten nach niederländischem Vorbild entstand. Mit seiner Ernennung als Friedrich III., König in Preußen ließ er das Schloss durch Andreas Schlüter (1634-1714) in ein Barockschloss nach italienischem Vorbildern umbauen.
Nach der Abdankung von Wilhelm II. als Deutscher Kaiser und König von Preußen 1918 proklamierte der Sozialistenführer Karl Liebknecht am 9. November am Schloss die »freie sozialistische Republik Deutschland«. Nach dem Ende der revolutionären Kämpfe 1919 in Berlin, die auch das Schloss in Mitleidenschaft gezogen hatten, diente es in der Weimarer Republik als Schlossmuseum und beherbergte diverse Institutionen. Bei einem alliierten Luftangriff auf Berlin am 3. Februar 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, wurde das Schloss schwer beschädigt und brannte bis auf die Grundmauern aus. Im September 1950 wurde es auf Weisung der SED-Führung unter Walter Ulbricht ungeachtet heftiger Proteste aus dem In- und Ausland gesprengt und bis 1951 vollständig abgetragen. Die entstandene Brache mit dem Marx-Engels-Platz diente für Aufmärsche und Veranstaltungen.
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In den Jahren 1973 bis 1976 ließ die DDR-Führung unter SED-Chef Erich Honecker auf dem östlichen Schlossgelände den Palast der Republik errichten, ein repräsentatives Mehrzweckgebäude, das Veranstaltungs- und Konferenzort sowie Sitz der DDR-Volkskammer war. Noch 1990 wegen Asbestbelastung geschlossen, beschloss der Bundestag gegen entschiedene Proteste aus der Bevölkerung den endgültigen Abriss des Palastes. Ende 2008 war der Standort erneut eine innerstädtische Brache.
Wilhelm von Boddien respektiert, dass der Palast der Republik in weiten Teilen der DDR-Bevölkerung vor allem als Kultureinrichtung, Ort von Festlichkeiten und Feiern sowie öffentlicher Treffpunkt beliebt war. »Wir haben uns als Verein und später auch in Zusammenarbeit mit der Stiftung immer bemüht, den Palast der Republik in seiner Wertigkeit anzuerkennen. Er war ja für viele Menschen in der DDR ein Ort, an dem sich die Leute gern getroffen haben«, sagt der heute 79-jährige Hamburger. »Wir haben immer gesagt: Das Schloss muss eine Funktion auch für die Berliner und die ehemaligen DDR-Bürger haben. Und das sehen Sie auch am Konzept: Die Museen finden alle erst in der ersten, zweiten und dritten Etage statt. Das Erdgeschoss ist eine offene Veranstaltungsebene.«
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Das Schloss werde das vertraute Bild Berlins wiederherstellen, die historische Mitte vervollständigen, das Stadtbild heilen, verspricht der Schlossförderverein, der für die Wiederherstellung der historischen Gestalt, der Fassaden und des Figurenschmucks bislang 111 Millionen Euro bei privaten Spendern eingeworben hat. Und weiter wirbt. Die Gesamtkosten für den Bau des Humboldt Forums wurden im Frühjahr 2021 auf rund 680 Millionen Euro beziffert, gut 90 Millionen mehr, als ursprünglich vom Bund bewilligt.
Und dennoch ist Wilhelm von Boddien hoch zufrieden. »Unsere Erwartungen sind weit übertroffen«, sagte er zu »nd«. »Es ist schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Und weil ich die Pläne und die Bauarbeiten kenne: Es ist so authentisch wie das ursprüngliche Schloss. Wenn es in zwei, drei Jahren eine Patina hat, dann wird es so aussehen, als ob es nie weg gewesen wäre - zumindest im vorderen Teil.«
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