- Politik
- Kommunistische Partei in China
Ein Menschheitsereignis
Die Revolution ist noch nicht vorbei: Über 100 Jahre Gongchandang, die Kommunistische Partei Chinas, und heutige Probleme im Weltmaßstab
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war China der missachtete, geschändete, nach Strich und Faden ausgebeutete Fußabtreter der westlichen Welt. Heute, 120 Jahre später und im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, ist es zur Weltmacht aufgestiegen. Und hat diesen Aufstieg vollzogen unter der Führung einer einzigen politischen Kraft: der vor 100 Jahren gegründeten Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), die hier im Folgenden mit ihrem chinesischen Namen Gongchandang - das ist: Gemeineigentumspartei - bezeichnet sein soll.
Das genaue Gründungsdatum der Gongchandang ist, weil es der Illegalität wegen kein Protokoll gab, unbekannt. Fest steht, dass es ein mehrtägiges Treffen im Juli 1921 war und nur eine winzige Veranstaltung, und von Anfang an war die Geheimpolizei hinter den Parteigründern her. Obwohl es doch nur 13 Männer waren - im riesigen Shanghai. Die aber von den Herrschenden schon erkannt waren als Bedrohung ihrer Interessen und Gefahr für ihre Besitzstände. Als politische Kraft, die die Massen mobilisieren könnte. Und vielleicht sich verbände mit dem revolutionären Sowjetrussland und gar der Weltrevolution. Weshalb sonst gab es da die beiden als Voitinski und Maring bekannten Abgesandten der zwei Jahre zuvor in Moskau gegründeten Komintern, der Kommunistischen Internationale?
Wolfram Adolphi, geboren 1951 in Leuna, beschäftigt sich seit seinem Studium in den 1970ern Jahren der DDR mit der Geschichte und Gegenwart Chinas. Die Volksrepublik China hat er mehrfach besucht. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln und dem Buch »Mao. Eine Chronik« (2009) hat er auch Romane über China geschrieben: »Chinafieber« (2004), »Chinatraum« (2007) und »Die chinesische Karte« (2010).
Adolphi betreibt die Homepage »Asiaticus«, auf der Texte des deutschen Kommunisten Asiaticus (1896–1941) und von ihm selbst über China und die Welt zu finden sind.
Der Machtblock in seinem Misstrauen - in der brodelnden Hafenstadt Shanghai mit ihrer britischen und französischen Sonderzone formiert aus Beute witternden ausländischen Kapitalisten, einheimischer Kompradorenbourgeoisie und politisch bestens vernetzter Unterwelt - irrte sich nicht: Diese Gongchandang würde tatsächlich zu seinem Hauptfeind werden. Und eines Tages - aber das lag dann schon jenseits seiner Vorstellungen - seine Macht ganz und gar zerschlagen. 28 Jahre später würde das sein, 1949, und er, dieser Machtblock, würde die Flucht ergreifen. Ein anderes China würde entstehen.
Chinesische Befreiung
Betrachtet man die Reaktionen auf den 100. Jahrestag der Gründung der Gongchandang, den die Partei offiziell am 1. Juli dieses Jahres beging, so zeigt sich, dass die alten Frontstellungen fortbestehen. Der Machtblock des imperialistischen Westens sieht im Aufstieg Chinas wie eh und je eine Bedrohung. Er vermag ihm nicht anders zu begegnen als mit Feindschaft, Drohung, Diskriminierung, Konflikt. Das weist unweigerlich auf die Frage der Revolution. Genauer: der gegen die westliche Vorherrschaft gerichteten nationalen Befreiungsrevolution. Und auf die Frage der sich ihr entgegenstellenden, die alten Zustände bewahren wollenden Konterrevolution. Vielleicht ist es ungewohnt, solche Begriffe wieder ins Spiel zu bringen. Aber vielleicht ist es auch einfach nur ein Erfordernis der Zeit. Denn wo die Herrschenden der westlichen Weltmacht USA einen neuen Systemkonflikt proklamieren, ist Positionierung unausbleiblich.
Zuvörderst zu dieser nationale Befreiungsrevolution: Ist sie nicht das Normalste von der Welt? China will denjenigen Platz auf der Erde einnehmen, der seiner Bevölkerungsgröße, seiner Leistungsfähigkeit, seiner Geschichte entspricht. Es will damit nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Staaten dieser Welt. Seine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen macht fast ein Fünftel der Weltbevölkerung aus. Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der Bevölkerung steht es - die Zahlen sind von 2019 - mit 10 522 US-Dollar auf Platz 69 in der Welt, Deutschland - zum Vergleich - mit 46 473 Dollar auf Platz 18, die USA belegen mit 65 254 Dollar Platz 7. Bei den Rüstungsausgaben pro Kopf stehen die USA bei 2200 Dollar, Deutschland bei 612 Dollar, China bei 261 Dollar. Welcher Staat, welche Staatengruppe, welche Militärorganisation will, darf, kann darüber entscheiden, was China erreichen darf und was nicht? Wann also ist diese Revolution vollendet?
Die Entwicklung Chinas ist eine Menschheitsfrage. Die seit dem Aufkommen des Kolonialismus im Westen verbreitete Vorstellung, allein er - der Westen - bestimme, wohin und wie die Menschheit sich entwickeln werde, ist mit der Entwicklung Chinas endgültig an ihre Grenzen gekommen. Das - und nichts Geringeres! - ist die Essenz dieses 100. Gongchandang-Geburtstages.
Der östliche Revolutionszyklus
Das Menschheitliche ist in dieser Entwicklung von Beginn an aufgerufen. Die Gründung der Gongchandang im Juli 1921 war weder ein isolierter chinesischer noch ein von außen nach China hineingetragener Akt. Sie war Bestandteil eines weltumspannenden Prozesses der antikolonialen, antiimperialistischen, auch sozialistischen Revolution. Westeuropäer bewerten den Erfolg oder Misserfolg der Ausstrahlung der russischen Oktoberrevolution und der Idee der Weltrevolution gern ausschließlich an den Ereignissen in ihrem eigenen Wirkungskreis, und in der Tat war für diesen Wirkungskreis das Nicht-Vollenden oder Scheitern der Revolutionen das Bestimmende. Zwar wurde in der deutschen Novemberrevolution die Kaiserherrschaft beendet, aber es scheiterte das von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gewollte und von den russischen Kommunisten mit allen Fasern herbeigesehnte Weitertreiben zur sozialistischen Revolution.
Das Scheitern zerschlug das marxistische Grundverständnis, wonach die sozialistische Revolution im hochentwickelten Kapitalismus hätte stattfinden müssen - und nicht in Russland, wo die Produktivkräfte sich noch längst nicht auf einem die Revolution erfordernden und ermöglichenden Niveau befanden. So wurde - nachdem die Bolschewiki sich sieg- und opferreich gegen die militärische Intervention der imperialistischen Mächte behauptet hatten - die Entwicklung der Sowjetunion zwangsläufig eine vom Westen isolierte. Die Ausprägung des Stalinismus war politischer Ausdruck der in dieser vom feindseligen Westen absichtsvoll verschärften Isolation vorangetriebenen nachholenden Modernisierung.
Im Osten jedoch entfaltete die Oktoberrevolution jene Ausstrahlung, die ihr im Westen nicht gegeben war. Hier, in China, erwies sich Lenins zunächst auf Russland gemünzte Annahme, dass sich die gesellschaftlichen Widersprüche durch Krieg und imperialistische Ausbeutung derart zum Knoten schürzen können, dass auch bei schwächerer Produktivkraftentwicklung eine revolutionäre Situation heranreifen kann, erneut als zutreffend.
Als die Gongchandang gegründet wurde, war schon ein vielfältiges geistig-kulturelles revolutionäres Fundament gelegt: Aus den Erschütterungen der in den Opiumkriegen sich manifestierenden imperialistischen Eroberungen im 19. Jahrhundert und dem damit einhergehenden Zerfall der einst unumstößlichen Kaiserherrschaft hatte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Persönlichkeiten wie Kang Youwei und Liang Qichao eine Reformbewegung entwickelt, die Anfang des 20. Jahrhunderts im Handeln von Sun Yatsen, dem Gründer der Guomindang (der Nationalen Volkspartei, wörtlich: Staats-Volk-Partei), ihre politische Verwirklichung fand. Die Zerschlagung des gegen das Vordringen der ausländischen Mächte gerichteten Yihetuan-Aufstandes 1900/01, auch bekannt als Boxeraufstand, durch eine von acht imperialistischen Staaten einschließlich Deutschlands gebildete Interventionsarmee vermittelte den Revolutionären ein anschauliches Bild von der Entschlossenheit der Westmächte, das von ihnen zu ihrem Hinterhof gemachte China langfristig in diesem Zustand zu erhalten, und stärkte zugleich ihre Entschlossenheit, sich diesem Vorhaben zu widersetzen.
Die russische Revolution von 1905 setzte dabei ein ermutigendes Zeichen, und es begann - so hat es mit Li Dazhao einer der ersten chinesischen Marxisten beschrieben - ein Zyklus von sich gegenseitig antreibenden Revolutionen: Erst 1911 die Revolution in China mit dem Sturz der Kaiserherrschaft, 1917 der Sturz der Zarenherrschaft in Februar- und Oktoberrevolution in Russland, 1919 die antiimperialistische 4.-Mai-Bewegung in China und dann 1925 bis 1927 die zweite Revolution in China. In diesen Zyklus fiel die Gründung der Gongchandang. Und die von Chen Duxiu, Li Dazhao und anderen geführte Partei vergrößerte ihren Einfluss so schnell, dass sie schon in dieser zweiten Revolution eine entscheidende Rolle zu spielen vermochte.
Widersprüche und Linienkämpfe
In dem Agieren der Gongchandang spiegelten sich Grundwidersprüche des weltrevolutionären Prozesses. So die in China selbst wie auch in der Komintern zu tragischen Zerreißproben führende Frage, ob das Bündnis der Gongchandang mit der Guomindang zur Festigung der nationalen Befreiungsrevolution fortgeführt werden sollte - oder nicht doch die weiterführenden kommunistischen Ziele in den Mittelpunkt gehörten? Der Konflikt erfuhr seine »Lösung« dadurch, dass die nach dem Tode von Sun Yatsen im Jahre 1925 unter Führung von Jiang Jieshi, bekannt als Tschiang Kaischek, stehende Guomindang im April 1927 unter den eben noch mit ihr verbündeten Kommunistinnen und Kommunisten ein Blutbad anrichtete, die Partei in den großen Städten zerschlug und dem Bündnis insgesamt ein Ende bereitete.
In der Folge entwickelte Mao Zedong seinen ganz auf die Bedingungen des ländlichen China zugeschnittenen Kurs des Rückzugs in die Berge und der Schaffung von auf die Bauernschaft gegründeten »Sowjetgebieten« in Chinas Südosten. Dieser ist bis heute in der kommunistischen Bewegung Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen, die Debatten um die Revolution 1925/27 und ihre Folgen spielten im Kampf zwischen Trotzki und Stalin eine zentrale Rolle. Viele der sowjetischen Berater sowohl der Gongchandang als auch der Guomindang sind in Stalins Terror als unerwünschte Zeugen umgebracht worden.
Auch in der Gongchandang selbst gab es brutale Linienkämpfe. Am Ende hat sie sich jedoch mit ihren »Sowjetgebieten« gegen mehrere zu ihrer Vernichtung gestarteten Feldzüge der - von reaktionären deutschen Militärberatern unterstützten - Armeen Tschiang Kaischeks und verschiedener lokaler Kriegsherren behauptet und sich 1934/35 mit ihrem »Langen Marsch« diesem Zugriff ganz entzogen. Und 1937 war sie von ihrem neuen »Sondergebiet« Yan’an (Yenan) im mittleren Nordwestchina aus stark genug, um Tschiang Kaischek und die Guomindang zu einem neuerlichen Bündnis - der »Zweiten Zusammenarbeit« - zu zwingen.
Teil der Anti-Hitler-Koalition
Das erneuerte Bündnis von Gongchandang und Guomindang war ein Schritt von weltgeschichtlicher Bedeutung. Jahrelang hatte die Guomindang-Führung damit geliebäugelt, mit Japan, das seit der Besetzung der Mandschurei 1931 Stück für Stück weitere Gebiete Chinas okkupiert hatte, zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Gongchandang zu vernichten. Nun aber, nachdem Japan am 7. Juli 1937 zur umfassenden Aggression übergegangen war, war dieser Kurs in der Bevölkerung nicht mehr durchsetzbar. Der Einfluss der Gongchandang war so groß geworden, dass es zur Ausrufung eines von ihr und der Guomindang gemeinsam getragenen antijapanischen Befreiungskrieg kam. Und dies wiederum war die Voraussetzung für die Einbindung Chinas in die weltweite Anti-Hitler-Koalition, die 1945 die Welt von der Herrschaft der Achse Berlin-Tokio befreite. Die Entschlossenheit des chinesischen Widerstandes gegen Japan war ein wesentlicher Faktor dafür, dass Japan 1941 nicht die von Deutschland erhoffte zweite Front gegen die Sowjetunion eröffnen konnte.
So war es nur folgerichtig, dass das Land 1945 als Republik China gemeinsam mit der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich zu jenen Gründungsmitgliedern der Organisation der Vereinten Nationen - der UNO - gehörte, die einen Platz als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates zugesprochen bekamen. Regiert und repräsentiert wurde diese Republik von Jiang Jieshi und der Guomindang, die ihre Herrschaft jedoch nicht zu festigen vermochten. Ihr Versuch, die Gongchandang auszuschalten, mündete in eine von ihnen nicht erwartete, von der Gongchandang geführte Volksrevolution, vor der sie 1949 auf die Insel Taiwan flohen. Sie behielten aber - vom Westen so gewollt - den Platz Chinas in der UNO. Erst im Oktober 1971 trug die UNO den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung und setzte die Volksrepublik China an die Stelle der von Taiwan aus ganz China vertreten wollenden Guomindang.
Erfolge, Katastrophen und Neubeginn
Die von der Gongchandang geführte Volksrepublik China hat seit ihrer Gründung am 1. Oktober 1949 sehr unterschiedliche Etappen durchlaufen. Bei der Entwicklung der Produktivkräfte ging es in den 1950er Jahren zunächst im Bündnis mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern Europas um sozialistische Planwirtschaft. Im Resultat sowohl fortwirkender als auch neu entstehender Widersprüche zwischen den Gesellschaftsvorstellungen und Macht- und Vorherrschaftsansprüchen der KPdSU einerseits und der Gongchandang andererseits trennten sich Ende der 1950er Jahre die Wege beider Parteien - mit verheerenden Wirkungen für die beiden Länder selbst wie auch für den weltrevolutionären Prozess. In den Jahren von 1959 bis 1976 versuchte die Gongchandang mit dem »Großen Sprung nach vorn« und der »Großen proletarischen Kulturrevolution«, die Wirtschaft durch Außerkraftsetzung der ihr innewohnenden Entwicklungsgesetze und eine verabsolutierende Überhöhung des subjektiven Faktors voranzubringen. Das führte zu Hungersnöten, wirtschaftlichem Stillstand, millionenfachem Tod und unsäglichem individuellem Leid.
Nach dem Tode des über Jahrzehnte an der Spitze der Partei stehenden Mao Zedong im September 1976 begann 1978 unter Deng Xiaoping ein fundamentales Umsteuern. In der Wirtschaft verfolgt die Gongchandang seither ein Konzept der kontrollierten Freigabe des Marktes bei Beibehaltung der führenden Rolle der Partei und der Regulierung durch den Staat. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hat sie in den 1980er Jahren in einer vieljährigen Debatte über die »Kulturrevolution« und ihre Folgen etwas in der Geschichte der kommunistischen Parteien Einzigartiges geleistet. Eine menschheitsgeschichtliche Darstellung des »Großen Sprungs« und der »Kulturrevolution« ist übrigens meines Wissens noch nicht geleistet worden. Als chinesische Ereignisse sind sie vielfach dargestellt - aber in Zusammenhang gebracht mit den Entwicklungen in der Welt insgesamt? Da gibt es noch viel Unabgegoltenes.
Die Führung der Gongchandang beschreibt den Weg Chinas als einen des Sozialismus chinesischer Prägung, und sie benennt den Marxismus als wesentliche Quelle ihres gesellschaftspolitischen Denkens und Planens. Dahinein eingebunden sieht sie neben Marx und Engels auch Lenin, Mao Zedong, Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao, und sie tut Erhebliches, um - etwa mit der Herausgabe der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) auf Chinesisch und der Übersetzung des Historisch-kritischen Wörterbuches des Marxismus (HKWM) aus dem Deutschen ins Chinesische - die Verbreitung des Marxismus zu befördern. Dabei erhebt sie anders als in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren heute ausdrücklich nicht den Anspruch, ihre Revolutions- und Sozialismusvorstellungen in andere Weltgegenden exportieren zu wollen.
Neugier statt Dünkel und Feindbildern
Über all das - die Entwicklungen in der Geschichte und den heutigen chinesischen Weg - sind in der Welt unzählige Bücher und Aufsätze verfasst worden, und die Ansichten darüber gehen selbstverständlich so weit auseinander wie die Klasseninteressen der jeweiligen Betrachterinnen und Betrachter. Wer die jetzigen Weltverhältnisse für die besten aller möglichen hält und die Verhältnisse in den westlichen Demokratien ebenso, verbaut sich notwendigerweise ganz fundamental den Blick auf China. Wer hingegen zu erkennen bereit ist, wie sehr die Klimakatastrophen, die Kriege in der Welt, die Ressourcenvernichtung, die Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich und die Konzentration des Kapitals - und damit auch der realen Macht - in den Händen von immer weniger Menschen und global agierenden Konzernen mit eben diesen jetzigen Zuständen der Welt und der westlichen Demokratien zusammenhängen, wird den Blick in die östliche Richtung öffnen und neugierig schauen, wie die Probleme dort angegangen werden. Auch, was den Umgang mit der allgegenwärtigen und durch nichts aufzuhaltenden Digitalisierung unseres Lebens betrifft. Und wird also über künftig gemeinsames Handeln nachdenken und nicht über Konflikt, Sanktionen und Krieg.
Wer neugierig auf die Gongchandang ist und ihre Interessen verstehen will, muss auch den Erfahrungsschatz dieser Partei in Betracht ziehen. Sie hat in ihrer 100-jährigen Geschichte viele große und kleine kommunistische Parteien in Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung auf- und wieder absteigen, auch sozialistische Staaten entstehen und wieder verschwinden gesehen, und sie hat die Niederlagen analysiert - vor allem den Zerfall der Sowjetunion und dessen Folgen für das Kräfteverhältnis in der Welt. Und sie selbst steht noch immer - und mit wachsender Kraft - an der Spitze, und sie tut das nicht irgendwo, sondern im bevölkerungsreichsten und am schnellsten sich entwickelnden Land der Welt. Sie war in ihren Anfängen zweifellos eine von anderen lernende Partei, hat aber heute für ihre Entwicklung kein Vorbild mehr. Es gibt keinen Maßstab irgendwo in der Welt, an dem abzulesen wäre, wie sie sich jetzt entwickeln solle.
Als globale Linke lernen
Mit solchen Fragen tun sich die Linken in der westlichen Welt sehr schwer. Waren nicht sie es, die bisher noch immer die Maßstäbe gesetzt haben? Wenigstens theoretisch? Wie sollen sie heute ihre Position zur Gongchandang und zum Sozialismus chinesischer Prägung finden und beschreiben? Ist das überhaupt Sozialismus? Darf sich eine Partei wie die chinesische wirklich kommunistisch nennen?
Solcherart Fragen vermitteln den Eindruck, als wisse heute jemand, wie ein heutiger Sozialismus, eine heutige kommunistische Partei beschaffen sein müssten, um sich - aber bei wem denn eigentlich? - diesen Namen zu verdienen. Die mit bittersten Erfahrungen untermauerte und natürlich auch in der Gongchandang präsente Welterkenntnis ist doch: Das sowjetische, in der Zeit des Systemkonflikts mit dem Weltkapitalismus entstandene Modell des Sozialismus in einem Land - oder auch einer bestimmten Ländergruppe - vermag einen demokratischen Sozialismus, in dem sich Gemeineigentum, Gleichheit, Wohlstand und Freiheit auf die in der Utopie gedachte und gesuchte Weise miteinander verbinden, nicht hervorzubringen.
Indes: Der ausdrücklich nicht-stalinistische chilenische Sozialismusversuch zwischen 1970 und 1973 ist ebenso am Weltkapitalismus gescheitert. Und weiter: Die nach KPdSU-Vorbild formierten kommunistischen Parteien neuen Typus gehören der Vergangenheit an, indes: die als Gegenmodell entwickelten eurokommunistischen Parteien haben von diesem Untergang nicht etwa profitiert, sondern ebenfalls einen ungeheuren Bedeutungsverlust erlitten und spielen in der jetzigen Entwicklung der Länder, in denen sie einst zweistellige Wahlerfolge errangen und in Regierungen tätig waren, keine Rolle mehr.
Es muss also etwas Neues versucht werden. Die Gongchandang hat dafür neben den eigenen Wegen und Irrwegen auch diese internationalen Erfahrungen verarbeitet und sich dafür entschieden, jenen grundsätzlichen Marx-Gedanken in den Mittelpunkt zu rücken, wonach die nächsthöhere Gesellschaftsformation eines Entwicklungsstandes der Produktivkräfte bedarf, der notwendig diese Höherentwicklung erfordert. Also entwickelt sie die Produktivkräfte in einer Weise, wie es in keinem der bisherigen Sozialismusversuche je gelungen ist.
Für menschheitliche Problemlösungen
Dabei macht die Gongchandang die Erfahrung, dass sich an der unversöhnlichen Feindschaft der herrschenden Gruppierungen des imperialistischen Westens ihr gegenüber nichts geändert hat. Es ist dem westlichen Machtblock vollkommen egal, welchen konkreten Entwicklungspfad die Gongchandang eingeschlagen haben mag - sie bleibt das Feindbild Nummer eins.
Die menschheitliche Tragik dieses Vorgehens des Westens besteht darin, dass es den Blick für das eigentlich unabdingbar Notwendige verstellt: die globale Zusammenarbeit. Nie war die Forderung, statt Konfrontation Kooperation zu betreiben, dringlicher als jetzt. Die Gongchandang hat das begriffen und eine Fülle von Vorschlägen für eine friedliche, menschheitlich gedachte Lösung der großen Weltprobleme - des Klimawandels, der Ressourcenknappheit, der Digitalisierung, des Hungers und der Armut - unterbreitet. Es ist an der Zeit, dass sie in der Welt Gehör und Anerkennung finden. Die Entwicklung Chinas muss zum entscheidenden Anstoß für eine weltweite Abkehr von den alten Strategien des Krieges, des Konflikts, der Aufrüstung und des feindseligen Gegeneinanders werden. Eine Fortsetzung des alten Kurses wird keine Sieger, sondern nur Verlierer kennen.
100 Jahre Gongchandang markieren den Weg der chinesischen Revolution: der Befreiung des bevölkerungsreichsten Landes der Welt von der westlichen Vorherrschaft. Das ist im Westen auch für die Linke eine gewaltige Herausforderung. Sie muss sich entscheiden: Fügt sie sich ein in den Block eines vermeintlich noch immer überlegenen »Westens« und macht sich so zum Bestandteil einer scheinbar auf nationale - oder auch »paneuropäische« oder »atlantische« - Interessenübereinstimmung abhebende Front gegen China oder begreift sie sich als Stimme des menschheitlichen Rufs nach Frieden und Verständigung, für den mit Chinas Befreiungsrevolution neue Voraussetzungen geschaffen sind.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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