- Politik
- Hochwasser
Wer warnt im Katastrophenfall?
Innenausschuss des Bundestags geht auf Fehlersuche nach dem Hochwasser. Funkzellenwarnung kommt
Der Innenausschuss des Bundestags hat am Montag in einer Sondersitzung über die Folgen der Hochwasserkatastrophe vor anderthalb Wochen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gesprochen. Dabei ging es vor allem darum, wie der Katastrophenschutz in Deutschland aufgestellt ist. Nach dem Hochwasser war eine Debatte über Sirenen und Warn-Apps entbrannt. Die Apps erreichen nur einen geringen Teil der Bevölkerung. Die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bereitgestellte App »Nina« wurde nur acht Millionen Mal heruntergeladen. Sirenen wurden in vielen Städten nicht aktiviert.
Wie gewarnt wird und wer warnen soll, darum ging es auch in der Innenausschusssitzung. Bereits im Vorfeld hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, dass die Warnung per Cell Broadcast kommen soll. Dabei handelt es sich um Warntexte, die an jedes Mobiltelefon einer vorher ausgewählten Funkzelle gesendet werden. Die Warnungen erscheinen auch, wenn das Telefon sich im Ruhemodus befindet. Seehofer erklärte gegenüber der ARD, dass »nicht immer alle begeistert gewesen« seien von dieser Warnmethode. Er habe aber »entschieden, dass wir es tun und machen, da gibt es überhaupt kein vernünftiges Argument dagegen«. Cell Broadcast wird in zahlreichen Ländern eingesetzt. Auch eine EU-Vorgabe verpflichtet Deutschland quasi dazu, das Verfahren im nächsten Jahr einzuführen. Bisher hatte die Bundesregierung allerdings auf eine Weiterentwicklung der »Nina«-App gesetzt.
Eine andere Veränderung, die Seehofer nach der Ausschusssitzung betonte: Das BBK soll zu einem »Kompetenzzentrum« ausgebaut werden. Das Konzept dafür hatten der Bundesinnenminister und BBK-Präsident Armin Schuster schon im Frühjahr präsentiert. Das Kompetenzzentrum sei »keine Zukunftsmusik«, sondern beschlossene Sache, so Seehofer. Dabei zog er Parallelen zum »Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum«, in dem Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern zusammenarbeiten. Gleichzeitig sprach sich der Innenminister gegen eine grundsätzliche Neuverteilung der Kompetenzen aus. »Wir sind im Kriegs- und Spannungsfall zuständig. An dieser Architektur möchte ich nichts ändern«, so Seehofer. Um das zu ändern, brauche es außerdem eine Grundgesetzänderung, und das würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Er sei nur noch acht Wochen im Amt, wenn ein Nachfolger solche »Theoriediskussionen« führen wolle, könne er das gerne machen, erklärte der Innenminister. Er selbst sei aber dafür, jetzt zu handeln und Strukturen zu verbessern.
Die Grüne Innenpolitikerin Irene Mihalic kritisierte, dass Seehofer »an den Strukturen nichts verändern« wolle. Die Flutkatastrophe habe gezeigt, dass nur pragmatische Entscheidungen von den Kräften vor Ort dafür gesorgt hätten, dass die Hilfe gut funktioniert hat. Sie forderte ein besseres Frühwarnsystem und mehr regionale Forschung und Analyse. Auch spontan Helfer müssten besser eingebunden werden.
Nach dem Hochwasser kommt die Bürokratieflut
Sachsen hat in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten drei Überschwemmungen erlebt und daraus gelernt
Ulla Jelpke von der Linken kritisierte nach der Ausschusssitzung gegenüber dem »nd«, dass die Warnung der Bevölkerung nicht funktioniert habe. »Es hat heute leider keine Aufklärung zu diesem Fehlversagen gegeben. Weder Bund noch Länder dürfen sich hinter formalen Zuständigkeiten verstecken und sich gegenseitig die Verantwortung für die Tragödie zuschieben.« Die Einführung des Cell Broadcast sei vom Innenministerium in den letzten Jahren »hintertrieben« worden. »Diese falsche Politik hat wahrscheinlich mit zu der hohen Zahl an Todesopfern beigetragen. Es ist erbärmlich, dass jetzt niemand dafür verantwortlich sein will.« Jelpke spricht sich auch gegen eine Zentralisierung der Zuständigkeiten aus. »Notfälle in einzelnen Regionen können nicht von einer Zentrale aus gemanagt werden.« Allerdings sei es nötig, dass »die lokalen Katastrophenschutzorganisationen personell und materiell gestärkt und die Kooperation zwischen Kreisen, Ländern und auch dem Bund vereinfacht werden«.
Alles kaputt: Brücken, Gleise, Bahnhöfe
Bahnreparaturen nach dem Unwetter werden Monate dauern
Manuel Atug sitzt nicht im Bundestag. In der »AG Kritis« beschäftigt sich der IT-Experte aber schon seit langem mit Katastrophenschutz und Kritischer Infrastruktur. Am Freitag veröffentlichte die AG ein Papier zur Geschichte von Cell Broadcast in Deutschland. Atugs Fazit: »Cell Broadcast ist dem Bundesministerium seit 2001 als Mittel für den Katastrophenschutz bekannt. Nur eingeführt wurde es bislang nicht. Es scheint also ein jahrzehntelanges Desinteresse an präventiven Maßnahmen zu geben.« Auch an der Art, wie bisher Warnungen veröffentlicht worden sind, übt er Kritik. Es gebe dort »zu viel Behördensprech und zu wenig Verständliches für Betroffene«. Auch an klaren Handlungsanweisungen fehle es. Ein anderes Problem sei, dass App-Warnungen oft an ganze Bundesländer verschickt werden, das erzeuge dann zu weit gefasste Warnmeldungen.
Atug hatte klare Vorstellungen für ein besseres Warnmanagement: »Es muss klar geregelt werden, wer meldet, was zu melden ist; und es braucht harte Vorgaben, ab wann eine Krise oder Katastrophe auszurufen ist.« Bisher gebe es zu viel Nebeneinander von unterschiedlichen Stellen statt eines ineinandergreifenden Warnmeldekonzepts. Atug ist nicht der Meinung, dass im Katastrophenfall alles vom Bund geregelt werden müsse; es brauche aber »klare und verbindliche Zuständigkeiten für das BBK, sonst kann es nur empfehlen und dem Desaster zuschauen«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.