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Das Virus macht weiter

Gegen Corona, die Normalität und das »Immerhin«: Thomas Ebermann betrachtet die »Störung im Betriebsablauf«

Die Pandemie geht weiter. Kommt einem so ähnlich vor wie letzten Sommer. Die Infektionszahlen steigen, aber es werden nicht mehr so viele Menschen krank. Das liegt daran, dass mehr als die Hälfte der Deutschen doppelt geimpft ist. Doch diese Zahl steigt nur langsam. Zuerst war zu wenig Impfstoff da, jetzt sind es nicht genug Impfbereite. Auch die Geimpften können das Virus verbreiten, aber nicht so schwer daran erkranken wie die Nichtgeimpften. Letzteren erscheint das Nicht-geimpft-werden-Wollen als so etwas wie das letzte Menschenrecht im Kapitalismus, das es unbedingt zu verteidigen gelte. Der Kapitalismus ist nicht so schlimm, das Impfen aber schon. Wer krank wird, hat eben Pech gehabt.

»Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Zustand der Welt setzt sich fort in der Gleichgültigkeit gegenüber den Alten, Vorerkrankten, Behinderten und Zufallsopfern der Pandemie«, schreibt Thomas Ebermann in seinen »systemirrelevanten Betrachtungen zur Pandemie«, die er »Störung im Betriebsablauf« betitelt hat. Diese Betrachtungen resultieren aus der erweiterten Fassung eines Vortrags und Texten, die er für »Konkret« geschrieben hat. Er möchte eine »linke Position« zur Pandemie entwickeln. Grundsätzlich gilt für ihn: »Linkssein ist nur denkbar als Feindschaft gegenüber dem Tod«. Es ist ein lesenswerter Versuch, sich der Coronakrise gesellschaftstheoretisch zu nähern und eben nicht nur medizinisch oder moralisch.

Gesellschaftstheorie gilt heute bestenfalls als Nerd-Ding oder Hobby, weil man doch eh’ nichts machen könnte. Und die Politiker? »Die sind alle doof!«, wie Helge Schneider schon 1990 gesungen hat. Bewusstsein bringt nichts mehr, eher geht es um »Achtsamkeit« und »Nachhaltigkeit«. Der Körper ist die Maßeinheit. Ist er krank, kann man nicht arbeiten. Idealerweise soll er »nachhaltig« bewirtschaftet werden.

Erwünscht ist permanente Selbstoptimierung. Gesunde Ernährung, genug Schlaf und Sport. Kommt man so einer Pandemie bei? Nein. »Die Legitimität des Eingeständnisses von Angst und Schwäche scheint mir heute von zentraler Bedeutung«, schreibt Ebermann, dem einfach »zu viele Kraftprotze durchs Bild laufen«. Der Staat wolle einem nur Angst machen, um einen besser kontrollieren zu können, lautet ein Argument der Menschen, die sich vor Corona nicht mehr fürchten wollen. Und sich die Masken runterreißen, um besser atmen zu können. Es ist die Karikatur der Demaskierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sie geschieht rein individuell. Manche nennen das den Kampf um die Freiheit. Die Freiheit, anderen zu schaden, ist die Freiheit der kapitalistischen Produktionsweise.

Der Körper gilt als das Konkrete, Greifbare, das Nachdenken über die Gesellschaft, die ihn definiert, als das Mysteriöse. Ebermanns Ausgangspunkt bleibt dagegen »die Analyse der Art des gesellschaftlichen Produzierens«. Für ihn ist klar, dass die fortschreitende Vernutzung der Natur und Durchkapitalisierung der Landwirtschaft der Ursprung der Pandemie ist. Die Pandemie hat also dieselbe Ursache wie die Klimakatastrophe. Obzwar menschengemacht, erscheinen beide als Naturgewalt – das ist moderne Ideologie.

Der Hauptwiderspruch in pandemischen Zeiten ist die Einschränkung des Privatlebens bei der Aufrechterhaltung des Arbeitslebens. Nur eine Minderheit war oder ist im Homeoffice. Und wer zu Hause nicht viele Menschen aus »anderen Haushalten« treffen soll, der fährt mit ihnen zur Arbeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ökonomisch stark eingeschränkt, beziehungsweise geschlossen wurde nur die Ausgeh-, Reise- und Kulturwirtschaft. Ihre Betreiber und Künstler bekamen vom Staat erklärt, nicht »systemrelevant« zu sein. Entschädigungs- und Überbrückungsgelder bekamen eher die Konzerne, wie die großen Tickethändler, während die individuellen Akteure große Schwierigkeiten hatten, überhaupt an diese Gelder zu gelangen.

Das wirft ein Schlaglicht auf das prekäre Dasein der meisten Künstler*innen, die als »Soloselbständige« abseits aller Sicherheiten existieren müssen. Fest angestellt sind meist nur die Leute in der Verwaltung, weshalb die Künstler*innen ein »Projekt« nach dem nächsten aus dem Hut zaubern müssen. Niemand hat was gegen Kunst und Kultur, aber kosten soll es bitte nicht soviel. Andererseits bemerkt Ebermann, der ja auch als freier Autor und Vortragskünstler unterwegs ist: »Alles, was ich mache – darauf bestehe ich vehement –, ist nicht systemrelevant. Und Kunst, die sich für systemrelevant hält, schafft sich ab.« Ob »Zerstreuung« systemrelevant ist, lässt er offen.

Das sind große Worte, aber es geht ja auch um große Dinge. Der Kommunismus beispielsweise ist jederzeit auf einer Theaterbühne mit hübschen roten Fahnen und Zitaten der frühen sowjetischen Avantgardekunst hochwillkommen, in den Betrieben aber Teufelszeug. Überhaupt orientiert sich der offizielle Diskurs an der Aufrechterhaltung der ökonomischen Imperative. »Die Gleichsetzung von Funktionstüchtigkeit und Gesundheit ist konstitutiv«, schreibt Ebermann, der aber auch die linke Initiative »Zero Covid« dafür kritisiert, dass sie ihren Ansatz, die Arbeitsstätten zur besseren Bekämpfung von Corona vorübergehend schließen zu wollen, unter die Maxime stelle, dies »müsse Vorteile für Gesundheit, Gesellschaft und für die Wirtschaft bieten«. Ohne »die Wirtschaft« ist kein Staat zu machen, aber anscheinend auch keine politische Fantasie zu entwickeln.

Ebermann wirft »Zero Covid« vor, dass auf eine »Kritik der Bedürfnisse« verzichtet werde. Für ihn ist dies aber »einer der wichtigsten Aspekte gesellschaftskritischen Forschens«. Insofern ist für ihn die fast überall erhobene Forderung nach der Rückkehr in die »Normalität« ohne Reiz, ja eine »trostlose Hoffnung«, will er doch »das Pathogene im Normalen erkennen«: das völkische Gefühl, den Wohlstandschauvinismus, das entfremdete Arbeiten, die Umweltvernichtung und den Weltausbeutungszusammenhang.

Logisch, dass ihn auch das Argumentieren mit dem »Immerhin« abstößt: »Immerhin«, so ist oft zu vernehmen, sei Deutschland bislang »ganz gut« durch die Pandemie gekommen. »Immerhin« habe der Staat sich vom Dogma der »schwarzen Null« verabschiedet, usw. Ebermann ist sich sicher: »Nur in der Ablehnung des ›Immerhin‹ scheint das Glücksversprechen des möglichen Besseren, zu dem wir keinen Weg wissen, auf«. Für Ebermann besteht das »notwendige kapitalistische Kalkül« des Staats, darin, »das Ausbalancieren von akzeptierten Opfern und die Vermeidung einer ›zu hohen‹, das nötige Reservoir der Ware Arbeitskraft beeinträchtigenden Zahl von Infektionen« hinzubekommen, ohne dass die Loyalität zum Staat allzu sehr leidet. Es gehe um »eine abgebremste Herstellung von Herdenimmunität«.

Deshalb sei der Staat als »Regulator der Akkumulation« bestenfalls »bedingt souverän«. Seine führenden Vertreter im Bund und in den Ländern agierten unsicher und improvisatorisch, auf der Suche nach der »Balance zwischen Restriktionen und Lockerungen«. Wenn das seit den 90ern durch die »Gesundheitsreform« kommerzialisierte und ruinierte Gesundheitssystem zusammenbricht, bekommt auch der Kapitalismus zu wenig Luft.

Warum machen die Menschen dieses System mit? Ebermann erklärt dies mit den einschlägigen Überlegungen (und öfter auch zu lang geratenen Zitaten) von Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse, dessen Hauptwerk »Der eindimensionale Mensch« er 2014 zusammen mit Popkünstlern auf die Bühne gebracht hatte.

Das Virus macht weiter. Und die Querdenker auch. Sie warnen vor dem Impfen. Von der Reinheit des Körpers ist es nicht weit zur Reinheit des sogenannten Volkskörpers. Für Johannes Creutzer, der diesem Band einen Text über die Ängste und die Hoffnungen des Impfens gegen Corona beigesteuert hat, korreliert die Impfgegnerschaft »nicht nur mit Verschwörungserzählungen, sie gehört zu ihnen und ist Ausdruck von Aufklärungs- und Wissenschaftsfeindlichkeit«.

Ebermann nennt sie die »mörderisch Wahnsinnigen«, weiß aber mit Adorno (und dessen Essay von 1963 »Meinung Wahn Gesellschaft«) anzumerken, dass mitunter der Eindruck entsteht, dass die objektive Welt sich »dem Bild nähert, das der Verfolgungswahn von ihr entwirft«. Und manche »arme Verwirrte« möchte Ebermann einfach nur trösten, »um auch das noch zu konzedieren, weil es auf die politische Bewertung keinen Einfluss hat«.

Thomas Ebermann: Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie. Konkret Texte 80, 134 S., brosch., 19,50 €.

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