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Von Lichtenberg nach Walhalla
Das anarchische Theaterfestival »Berlin is not am Ring« nahm Richard Wagner auseinander und wartete mit neuartigen Nibelungen auf
Hoch ragt der Funkmast der einstigen Fahrbereitschaft der DDR-Regierung über dem Garagenareal in der Herzbergstraße in Berlin-Lichtenberg auf. Er ist derart präsent, dass man sich fragt, welche Signale er noch jetzt in den Äther hinaussendet. Zu seinen Füßen hatte sich am Wochenende auf drei Bühnen und diversen Nebenspielstätten eine etwa hundertköpfige Festivalcrew versammelt. Sie nahm Richard Wagners Mammutwerk »Der Ring des Nibelungen« auseinander.
Glockenheller Sopran war zu vernehmen aus dem Munde von Opernsängerin Vera Maria Kremers. Mal trat die Frau mit dem enormen Stimmvolumen als Walküre auf, mal war sie Rheinmutter, die schier daran verzweifelte, dass ihre Rheintöchter partout in einer Punkband spielen wollen. Da machte sie selbstverständlich auch mit. Denn dieser »Ring« setzte sich aus musikalisch sehr unterschiedlichen Kettengliedern zusammen. Zum mitunter noch zu erkennenden Wagner-Sound gesellten sich Punk, Hip-Hop, kalt glühender Agit-Prop sowie Elektroklänge. Durch das Bühnenprogramm der freien Musiktheatergruppe Glanz und Krawall, die das Festival auch initiiert hatte, führten im launigen Duett ein selbsternannter Showstar namens Wotan und ein Thomas Gottschalk-gleicher Moderator, der aber die dunkle Perücke des anderen Thomas - Thomas Anders - auf dem Haupte trug. Den Germanengott spielte sehr lässig der derzeit am Theater Dortmund beheimatete Christopher Heisler, den doppelten Tommy interpretierte nicht minder lässig Festivalmitinitiator Dennis Depta. Wie es sich für eine Fahrbereitschaft auch gehört, fuhren die beiden mit einem Auto vor. Weil aber der alte Wagenpark der Tschaikas und Volvos längst abgewickelt ist, geschah dies per Taxi. Wotan verabschiedete sich am Ende der Show mit Rollkoffer gen Mars. Die Wagner’sche Hybris fand damit eine zeitgenössische Entsprechung.
Vor Glanz und Krawall hatte das allein schon von der Besetzung her opulente Omniversal Earkestra die Hauptbühne vor der großen Rasenfläche am Eingang des Areals in Besitz genommen. Die 15-köpfige Big Band nahm Wagner-Motive auf, ließ sie durchs reichlich mitgebrachte Blech strömen und stellte eine ganz eigene Verschmelzung von Dixieland an den Elbwiesen und Woodstock mit Tram-Anschluss her. Im Hintergrund quietschten die Wagen der Straßenbahn.
Parallel zum Earkestra performte inmitten des alten Garagenensembles und unter dem Dach der ausgeweideten Tankstelle das inklusive Theaterensemble Thikwa aus der Hauptstadt. Die Spielerinnen und Spieler lieferten dabei Kurzcharakteristiken von Siggy, Bruni und Co. ab. Stark, aber dumm sei der strahlende Held, in einer Stricherbar arbeite er und mit dem Drachen habe er sich angefreundet, hieß es. Brünnhilde wurde als »Wettbewerbs-Uschi« abgelehnt. König Gunther ebenfalls, denn er schicke ja jemand anderen vor, um seine Liebe zu erobern. »Wie erbärmlich ist das bloß?«, lautete der Kommentar dazu.
Die Herstellung des Schwerts durch die Thikwas wird zu einer brillanten Szene: Akustisch werden da Metalle und Mineralien miteinander verschmolzen. Am Ende zieht die Truppe mit einer Polonaise durchs Areal, dabei immer dumpfer die Worte »Schwert«, »Sterben«, »Töten« sowie »Geboren, um zu töten« und »Geboren, um zu sterben« skandierend. Der Blutrausch, der Wagners Musik eigen ist und sie als Soundtrack der Blockbuster-Kriegsfilme auch so geeignet macht, wurde vom Theater Thikwa brachial-bodenständig verdichtet.
Zu einem ganz besonderen Kunstgriff ermächtigten sich die Festivalmacher Dennis Depta und Marielle Sterra, indem sie echte Wrestler und Wrestlerinnen des Project Nova zu Showkämpfen einluden. Das traditionell sehr domestizierte und im Sublimieren exzellente Alternativopernpublikum entdeckte angesichts der aufs nackte Fleisch klatschenden Fausthiebe und Fußtritte lange verschüttete archaische Instinkte wieder. Es wurde gejohlt, gebrüllt und gepfiffen. Für gut gesetzte Kontrapunkte sorgte die Wildauer Rockband Weinhardt. Ab dieser »Berlin is not am Ring«-Show mag man sich die klassischen Opernmetzeleien gar nicht mehr ohne Wrestling und Rockmusik vorstellen. Opernhäuser, öffnet euch für den Ring - den viereckigen Wrestling-Ring in diesem Fall.
Grenzen sprengte dieses Festival auch deshalb, weil Menschen mit Behinderung nicht nur performten, sondern nach dem Auftritt auch mitten unter dem Publikum waren, sich an den Ess- und Getränkeständen aufhielten und nachts tanzten, als die DJs und DJanes vom Spaceship an den Reglern standen. Das war gelebte, nicht nur behauptete Barrierefreiheit.
Glanz und Krawall produzierte mit diesem Festival bereits die dritte Ausgabe ihrer »Berlin is not«-Reihe. Für manche, die dem Team die Treue hielten, war die aktuelle auch die gelungenste Ausgabe. Viel passte zusammen, gerade wegen der immensen Kontraste. Wagner, die Burgunderkönige und die Nibelungen waren immer irgendwie dabei - wenn auch ganz anders, verdreht, verschränkt, verbogen. Dass es sich um ein sehr besonderes Event handelte, sprach sich soweit herum, dass sich auch am Sonntag, dem dritten und letzten Tag des Festivals, trotz strömendem Regen, noch Publikum in den fernen Osten der Stadt aufmachte.
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