- Berlin
- Wohnungsbau
Neubaurekord auf Zeit
Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) verbindet Erfolgsbilanz mit Kritik an der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik des Senats
Einen Neubaurekord in der Hauptstadt hat der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) 2020 erzielt. Wie der BBU in seiner am Dienstag vorgestellten Jahresbilanz bekannt gab, haben die Mitgliedsunternehmen in Berlin insgesamt 6792 Wohnungen fertiggestellt. Die Investitionen seien um 4,4 Prozent auf 2,85 Milliarden Euro gestiegen und hätten damit auch einen Rekordwert erreicht, heißt es in einer Mitteilung zur Statistik. Dabei hätten die Wohnungen durchschnittlich 6,20 Euro nettokalt pro Monat und Quadratmeter gekostet. Das seien trotz Mietendeckels mit seinen Absenkungsvorgaben bei Überschreiten von Höchstmieten nur 1,3 Prozent weniger als 2019.
Seit 2010 habe man in Berlin 25 988 Wohnungen gebaut. Das entspreche dem Bestand von Weißensee oder Lankwitz, erklärte BBU-Vorständin Maren Kern in einer online übertragenen Pressekonferenz. Bis 2025 sollen 42 064 weitere Wohnungen folgen. »Unsere Mitgliedsunternehmen haben im letzten Jahr ein absolutes Rekordniveau, was den Neubau anbelangt, erreicht«, sagte sie. Damit liege man bei der Fertigstellung sogar um 400 Wohnungen über dem Allzeithoch von 1997. »Die Fertigstellung ist 2020 nochmals um 24,3 Prozent gegenüber 2019 gestiegen.«
Trotz weit verfehlter Neubauziele von Wohnungen in Berlin hat der rot-rot-grüne Senat am Dienstag ein positives Fazit seiner Arbeit in der Legislatur seit 2016 gezogen. »Wir konnten 20 Prozent des Rückstands beim Wohnungsbau aufholen«, erklärte Bausenator Sebastian Scheel (Linke) am Dienstag nach der Senatssitzung im Roten Rathaus. Man sei auf dem Weg, die Angebotslücke auf dem angespannten Wohnungsmarkt zu schließen.
Dazu wäre es nötig, dass bis 2030 jährlich 16 500 Wohnungen in Berlin fertiggestellt würden. Im Jahr 2019 habe man mit knapp 19 000 Fertigstellungen dieses Ziel erreicht. Das ausgegebene Ziel zu Beginn der Legislatur, den kompletten Rückstand abzuarbeiten, wurde indes verfehlt. Genau wie die Zielvorgabe, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in der laufenden Legislatur 30 000 Wohneinheiten errichten sollten. Lediglich zwei von drei geplanten Wohnungen wurden tatsächlich gebaut. Angesichts der verfehlten Ziele räumte Stadtentwicklungssenator Scheel ein, dass »vieles verbesserungswürdig« sei. Er teile gar den »Verdruss«, den es bei diesem Thema gebe.
Dass er dennoch ein positives Fazit zog, begründete Scheel mit den Anstrengungen des Senats, Wohnungsbau in Berlin zu ermöglichen. Zudem wurde es erreicht, den gemeinwohlorientierten Bestand von Wohnungen von 300 000 auf 340 000 zu erhöhen. Als Ursache für das Scheitern an den eigenen Vorgaben beim Wohnungsneubau verwies der Bausenator auch auf Fehler des Vorgängersenats von SPD und CDU, der von 2011 bis 2016 regierte. »Man muss für den Senat eingestehen, dass in der letzten Legislatur zu spät gegengesteuert wurde«, kritisierte der Linke-Politiker. Als weiteres Hindernis für Wohnungsneubau sieht der Bausenator spekulative Prozesse. »Wir müssen feststellen, dass sich die Bodenpreise so entwickelt haben, wo der Wohnungsbau selbst bei Eigentumswohnungen wirtschaftlich an Grenzen gestoßen ist.« Martin Kröger
Die Investitionen hätten mit 2,85 Milliarden Euro ein »bemerkenswert hohes« Niveau erreicht. Allerdings sei das Wachstum deutlich geringer ausgefallen als in den Jahren zuvor. Habe der Zuwachs bei den Investitionen von 2017 zu 2018 noch 25,3 Prozent erreicht, sei er 2019 auf sechs Prozent und schließlich auf 4,4 Prozent, den niedrigsten Zuwachs seit acht Jahren, gefallen. Und das Investitionsklima kühle sich weiter ab. Eine Ursache dafür sehe sie im seit 2016 anhaltenden Rückgang der Baugenehmigungen. Ungeachtet des Überhangs von be᠆reits 80 000 vorliegenden Genehmigungen solle der Senat da weiteren Vorlauf schaffen.
Für besonders besorgniserregend hält der BBU den gegenüber 2019 weiter beschleunigten Rückgang der Modernisierungsinvestitionen um zwölf Prozent. »Hierin zeigen sich ganz klar die Spuren der Verunsicherung durch den gescheiterten Mietendeckel und die Enteignungsdiskussion«, so Kern.
Belastet werde der Wohnungsbau auch durch fehlende Lösungen bei der Baulandversorgung und ein eher konfrontatives Neubauklima in Berlin, so die Einschätzung des Verbands. »Die Politik hat in den letzten Jahren in Berlin viel Vertrauen verspielt«, sagte Kern an die Adresse des Senats und der rot-rot-grünen Koalition gerichtet. »Statt um Lösungen für die wachsende Stadt ging es leider zu oft um Konfrontation. In Zukunft muss es um eine kooperativere Stadtentwicklungspolitik gehen. Hierfür stehen wir gerne bereit.«
»Die vor uns liegenden Aufgaben werden größer statt kleiner. Wohnungsmarktentspannung, soziale Stadtentwicklung, Klimaschutz, Zukunft der Mobilität - auf all diesen Gebieten sollte Berlin den Anspruch haben, Modellstadt und Vorbild bei der Problemlösung zu sein. Das geht aber nur gemeinsam mit der Wirtschaft«, so Kern weiter. Dazu vor allem wichtig: Vertrauen zurückgewinnen.
Diese Einschätzung teilen aus Sicht von BBU-Chefin Kern zahlreiche Mitgliedsunternehmen. In einer Befragung stellten diese der aktuellen Berliner Neubaupolitik kein gutes Zeugnis aus, teilte der Verband mit. Gut 74 Prozent bewerteten die Neubaupolitik des Senats nur mit maximal zwei von fünf Sternen. Angesichts der Erwartungen eines weiteren Bevölkerungswachstums mit steigender Nachfrage nach - insbesondere größeren - Wohnungen wünschten sich die Unternehmen vom Land Berlin vor allem schnellere Bauplanungsverfahren, mehr Bauland und ein besseres Neubauklima. »Hierzu setzt der BBU für die nächste Legislatur unter anderem auf den Ausbau des gemeinwohlorientierten Mietwohnungsbestandes, ein Bau- und Infrastrukturbeschleunigungsgesetz, das Voranbringen der Verkehrs- und Mobilitätswende, die Stärkung der Energienetze und die Fokussierung auf den klimagerechten und klimaresilienten Umbau der Stadt«, heißt es.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.