Verdrängte Einwohner

In Berlin werden am Sonntag Stolpersteine für zwei Schwarze Holocaust-Opfer verlegt

  • Robbie Aitken
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Juli 1945 war Edward Toles, Kriegsberichterstatter der afroamerikanischen Zeitung »Chicago Defender«, erstaunt, als er in den Straßen des kriegszerstörten Berlins auf Schwarze Einwohner traf. Zu denen, die er interviewte, gehörte die Künstlerin Josie Allen, die über ihre Erfahrungen mit dem Leben in Nazi-Deutschland sprach: »In Berlin war es gut, bis Hitler kam ... nachdem Hitler kam, verschwanden die Schwarzen allmählich aus dem Blickfeld ... viele kamen in Konzentrationslager und kehrten nie mehr zurück.« Josies ältester Bruder Ferdinand Allen gehörte zu jenen, die nicht zurückkehrten. Er wurde im Mai 1941 von den Nazis ermordet. Eine weitere Schwarze Deutsche, Martha Ndumbe, starb 1945 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Um an die Leben dieser beiden Schwarzen Holocaust-Opfer zu erinnern, werden am Sonntag in Berlin-Mitte Stolpersteine im Rahmen des Projekts von Gunter Demnig verlegt.

Mittlerweile sind in ganz Europa über 75 000 Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes verlegt worden. Nach jenen für den Tansanier Bayume Mohamed Husen in Berlin und den Südafrikaner Hagar Martin Brown in Frankfurt werden mit den Stolpersteinen für Ferdinand und Martha insgesamt vier Schwarze Opfer gewürdigt. Die kleine Zahl verweist auf die Tatsache, dass die Erfahrungen Schwarzer Menschen in der öffentlichen und historischen Erinnerung an das Dritte Reich fast vollständig in Vergessenheit geraten sind. Das ist das Ergebnis mehrerer komplexer Ursachen: das Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten, die geringe Größe der Schwarzen Bevölkerung in Deutschland vor 1945, ein Mangel an archivarischer Dokumentation und die anhaltende Unfähigkeit, sich konstruktiv mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands auseinanderzusetzen – eine Folge davon ist, dass die Tatsache, dass es in Deutschland jemals eine Schwarze Bevölkerung gab, die größtenteils aus den Kolonien stammte, verdrängt wird.

Sowohl Martha als auch Ferdinand wurden um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert in Berlin geboren. Sie waren Teil einer kleinen, aber zunehmend sichtbaren Schwarzen Bevölkerung in Deutschland, die ihrerseits ein Produkt der Globalisierung und des Kolonialismus war. Marthas Vater, Jacob Ndumbe, kam aus der damaligen deutschen Kolonie Kamerun zur Berliner Kolonialausstellung 1896. Er war einer von 106 Männern und Frauen aus dem deutschen Überseereich, die im Treptower Park ausgestellt wurden. Nach dem Ende der Ausstellung beschloss er, wie mehr als ein Dutzend andere Teilnehmer, zu bleiben. Er ließ sich in Berlin nieder, machte eine Ausbildung zum Schmied und heiratete 1903 Marthas Mutter Dorothea Grunwaldt. Damals war Martha bereits neun Monate alt.

Ferdinands Vater war der Schwarze britische Musiker James Cornelius Allen, der zu jenen Schwarzen Künstlern gehörte, die vor 1914 die Chance ergriffen, in Deutschland aufzutreten. Auch er ließ sich in Berlin nieder und heiratete 1898 die weiße deutsche Näherin Lina Panzer. Im selben Jahr wurde Ferdinand, das zweitälteste der sechs Allen-Kinder, geboren.
Das Leben von Martha und Ferdinand war turbulent und von Tragödien geprägt. Marthas jüngerer Bruder Alfred starb im Säuglingsalter. Die Familie kämpfte ständig ums finanzielle Überleben. Im Jahr 1910 trennten sich ihre Eltern, sie wuchs teilweise bei Freunden der Familie auf. Ihr Vater Jacob starb 1919 in der psychiatrischen Anstalt Dalldorf in Wittenau. Kurz darauf starb Marthas eigene Tochter noch vor ihrem ersten Geburtstag. Angesichts der zunehmenden rassistischen Diskriminierung und der schlechten wirtschaftlichen Lage in den späten Weimarer Jahren wurden viele Schwarze in Deutschland zunehmend vom »normalen« Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Martha bestritt ihren Lebensunterhalt mit Kleinkriminalität und Prostitution.

Für Ferdinand war der Erste Weltkrieg ein entscheidender Moment seines Lebens. Sein Vater James war wahrscheinlich karibischer Abstammung und als solcher britischer Untertan. Als der Krieg ausbrach, wurden zuerst James, dann Ferdinand und sein jüngerer Bruder Robert als zivile feindliche Ausländer im Kriegsgefangenenlager auf der Pferderennbahn Ruhleben in Berlin inhaftiert und bis November 1918 dort festgehalten. Kurz nach der Entlassung starb James an einem Herzinfarkt. Zwei Jahre später wurde Ferdinand nach einem Anfall in die Städtische Heilanstalt für Epileptiker im Berliner Wuhlgarten eingewiesen und dort festgehalten. Obwohl ihm regelmäßige Heimatbesuche erlaubt waren, wurde die Anstalt für die nächsten zwanzig Jahre zu seinem Wohnsitz.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wirkte sich stark auf das Leben aller Schwarzen in Deutschland aus, auch auf das von Ferdinand und Martha. Als »rassische Außenseiter« sollten Schwarze Menschen für das neue Deutschland, das die Nazis aufbauen wollten, ausgeschlossen werden. Vor allem nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Jahr 1935 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschlechterte sich ihre Situation dramatisch. Sie waren zunehmend von Sterilisationen und Inhaftierungen bedroht. Ferdinand wurde 1935 auf Grundlage des Gesetzes zur »Verhütung erbkranken Nachwuchses« sterilisiert. Zu dem Zeitpunkt waren drei seiner Geschwister bereits aus Deutschland geflohen.

Schwester Josie entschied sich zu bleiben. Sie war eine erfolgreiche Künstlerin, doch wie andere Schwarze Männer und Frauen erhielt sie in den frühen 1940er Jahren Auftrittsverbot vor Publikum. Später tauchte sie kurzzeitig mit ihrem Sohn unter, um ihm zu helfen, der Sterilisation zu entgehen. Im Sommer 1940 erhielt Josie die Nachricht von Ferdinands Tod. Im Mai desselben Jahres war er in die »Euthanasie«-Anstalt Bernburg verlegt worden, wo er im Rahmen des berüchtigten T4-Programms der Nazis ermordet wurde.

Marthas Position innerhalb der »Volksgemeinschaft« war ähnlich prekär. Als Wiederholungstäterin, Prostituierte und Schwarze Frau war sie der Berliner Polizei bekannt. Nach einer Verhaftung wegen Diebstahls und Besitzes von Diebesgut im Jahr 1943 wurde sie schließlich im Juni 1944 als sogenannte Asoziale in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Sie ist eine von fünf Schwarzen Frauen, von denen bekannt ist, dass sie in diesem Lager inhaftiert waren. Martha wurde dort im Februar 1945 im Alter von 42 Jahren ermordet.

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Die Stolpersteine für Martha und Ferdinand erinnern an die Leben dieser beiden Menschen – und an die verheerenden Auswirkungen der NS-Herrschaft auf das Leben der Schwarzen Bevölkerung in Deutschland.

Der Historiker Robbie Aitken forscht an der Universität Sheffield Hallam zur Schwarzen Community in Deutschland 1884-1960 und zu Entschädigungsforderungen Schwarzer Holocaust-Opfer. Er hat die beiden Stolpersteine initiiert. Am Sonntag, den 29. August wird der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in Erinnerung an Martha Ndumbe (12:40 Uhr, Max-Beer-Straße 24) und Ferdinand James Allen (13:40 Uhr, Torstraße 176-178) verlegen.

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