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»Im Nachtprogramm wird’s dann auch mal kritisch«
Der Medienforscher Uwe Krüger über Meinungsmacht, den Elitendiskurs in den Medien und einen herrschaftskritischen transformativen Journalismus
Als kritischer Medienwissenschaftler haben Sie unter anderem zu »Meinungsmacht« und »Mainstream«, so die Titel zweier Bücher von Ihnen, geforscht und publiziert. Wie sehen Sie die Verbindung von Medien und Herrschaft?
Grundsätzlich können Medien in einer liberalen Demokratie ein Instrument zur Herrschaftsstabilisierung sein. Sie können aber auch kritische Potenziale, Emanzipation und Systemalternativen befördern. Zugespitzt würde ich sagen: Zur Hauptsendezeit werden die jeweils aktuellen Herrschaftsstrukturen abgesichert und Machtverhältnisse legitimiert, im Nachtprogramm wird’s dann auch mal kritisch. Wenn man das Mediensystem als Ganzes nimmt, könnte man einen ähnlichen Kontrast zwischen dem Zentrum und der Peripherie aufmachen: Im Zentrum sind Leitmedien, die eng an Elite-Quellen, Werbewirtschaft und politischen Betrieb gekoppelt sind und den Elitendiskurs maßgeblich prägen; in der zivilgesellschaftlichen Peripherie finden Sie mehr Lebenswelt, Dissens und auch Utopien.
Uwe Krüger, geboren 1978 in Leipzig, ist Medienforscher an der Universität Leipzig. Er arbeitete selbst als Journalist, inzwischen ist er in der Ausbildung tätig. Für seine Bücher »Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen« und »Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten« erhielt er 2016 den Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik der Initiative Nachrichtenaufklärung. Er ist Mitgründer des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft (KriKoWi).
Nach Marx und Engels ist die herrschende Meinung auch immer die Meinung der Herrschenden. Dass Medien vor allem den Elitendiskurs und -konsens abbilden, gilt heute noch immer? Inwieweit?
Im nachrichtlichen Kernbereich des tagesaktuellen Politik- und Wirtschaftsjournalismus dominiert das Abbilden des Elitendiskurses. In diesem Diskurs summieren sich wichtige Nachrichtenfaktoren, die Journalist*innen als Selektionskriterien verwenden: Folgenschwere, Elite-Personen, Elite-Institutionen und Konflikt. Diese oft unbewusst verfolgte Medienlogik sorgt zugleich dafür, dass die mediale Debatte das politische und wirtschaftliche Establishment nicht zu stark herausfordert: Denn man gibt dadurch immer den aktuell Mächtigsten den meisten Raum. Gleichzeitig können Journalist*innen die Fiktion aufrechterhalten, sie seien neutral und objektiv, denn sie machen sich ja nicht gemein mit irgendwelchen Rändern, Aktivist*innen oder absurd anmutenden Ideen. Stattdessen machen sie sich meist gemein mit den Werten und der Ideologie, die als Prämissen im Elitendiskurs stecken.
Dass sich die Medien und der Journalismus gegenwärtig in einer großen Transformation befinden, dürfte kaum jemand bestreiten - Stichwort: Krise der gedruckten Medien. Was sind für Sie dabei die entscheidenden Aspekte?
Globalisierung, Individualisierung, Digitalisierung und Ökonomisierung. Das sind gesellschaftliche Mega- oder Metatrends, die auch den Journalismus verändern. Sie setzen ihn unter Druck, entgrenzen ihn, zwingen ihn aber auch, näher an die Menschen heranzurücken, die früher einmal »Publikum« genannt wurden - um Aufmerksamkeit, Legitimation und Geld zu bekommen.
Seit einigen Jahren ist vermehrt vom »konstruktiven Journalismus« die Rede. Immer positiv berichten, so klingt das für manche, und damit als Gegenstück zum »kritischen Journalismus«. Wo kommt der Trend her - und was bedeutet er?
Der Trend geht auf zwei kritische, progressive Geister zurück: den Zukunftsforscher und Publizisten Robert Jungk, Vordenker der neuen sozialen Bewegungen der 1970er und 80er Jahre und Erfinder der Zukunftswerkstätten, sowie den Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung, der die Nachrichtenwerttheorie der Kommunikationswissenschaft mit geprägt und für Konfliktthemen einen lösungsorientierten »Friedensjournalismus« angemahnt hat. Beiden ging es keinesfalls darum, unkritisch zu sein, sondern gesellschaftliche Alternativen und reale Utopien im Sinne von Gewaltfreiheit, ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit zu fördern. Heute wird der konstruktive Journalismus stark zusammen mit positiver Psychologie gedacht und oft als unkritische Wellness-Berichterstattung missverstanden - so ist der Ansatz aber nicht gemeint.
In Ihrem Beitrag für den Band »Transformation der Medien - Medien der Transformation« skizzieren Sie Grundzüge eines herrschaftskritischen »transformativen Journalismus«. Was kann man sich darunter vorstellen?
Mit der Bezeichnung »transformativer Journalismus« möchte ich dem konstruktiven Journalismus ein schärferes Profil geben. Es ist mittlerweile weithin anerkannt, dass unsere Gesellschaften ohne eine »Große Transformation« zur Nachhaltigkeit nicht zukunftsfähig sind - wir müssen neue Formen des Wirtschaftens finden, die die Grenzen unseres Planeten beachten, also unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen, und die besser mit sozialer und politischer Gerechtigkeit vereinbar sind als der derzeitige Shareholder-Value-Kapitalismus. Transformativer Journalismus kritisiert nun einerseits jene Akteure, Strukturen und Prozesse, die eine solche Transformation behindern, und schafft stärkere öffentliche Sichtbarkeit für die Pioniere des Wandels und die Inseln der Zukunft, die es schon gibt - damit diese wachsen und sich vernetzen können.
Sie sind Teil des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft. Der Band »Transformation der Medien - Medien der Transformation« ist aus einer Tagung des Netzwerks hervorgegangen. Können Sie noch ein paar Sätze zu dem Netzwerk, dessen Anliegen und Themen sagen?
Das Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft hat sich 2017 mit dem Ziel gegründet, verstärkt kritisch-normative Forschung zu machen. Der Mainstream der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft erschien vor allem vielen jüngeren Kolleg*innen zu affirmativ gegenüber den herrschenden Verhältnissen und zu kleinteilig - wir vermissten Bezüge zu Gesellschaftstheorie und Kapitalismusanalyse. Seitdem haben wir Tagungen und Sammelbände zu Ideologiekritik und Medientransformation gemacht. Und im November gibt es eine spannende Tagung mit dem Titel »Eigentum, Medien, Öffentlichkeit«: Wem gehören die Medien, wem gehören unsere Daten, wie wird über Eigentumsfragen berichtet, wie sind Superreiche und Armut medial repräsentiert und was müsste sich ändern? Da sind alle herzlich eingeladen: Wir sind offen für Forscher*innen aus anderen Disziplinen, Aktivist*innen, Gewerkschafter*innen und alle anderen Interessierten.
Nils S. Borchers, Selma Güney, Uwe Krüger, Kerem Schamberger (Hg.): Transformation der Medien - Medien der Transformation. Verhandlungen des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft. Westend Verlag, 480 S., br., 32 €.Das »nd« bleibt gefährdet
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