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Leben im Studio
Am besten, man verfügt über die Produktionsmittel: Lee »Scratch« Perry ist tot
Manche sagen, Lee »Scratch« Perry habe den Reggae erfunden, als eine Verlangsamung der Ska-Musik: 1968 mit seinem Song »People Funny Boy«. Den Dub hat er ebenfalls erfunden, das ist gesichert, zusammen mit dem Produzenten King Tubby, entwickelt aus den »Versions«, den Instrumentalrückseiten der Reggae-Singles, die dann völlig neu abgemischt und eingekocht werden. Bob Marley hat er ebenfalls erfunden, bzw. ihm den richtigen Sound empfohlen, damit er der erste Star der »Dritten Welt« werden konnte.
Und kennen Sie »Fisherman«, das Lied von den Congos, mit dem ihr Debütalbum »Heart of the Congos« (1977) anfängt? Wenn Sie es zum ersten Mal hören, gehen Sie garantiert zum DJ und fragen: »Was ist denn das für ein Song«? Lee Perry hat die Platte produziert, in seinem legendären »Black Ark«-Studio in Kingston, Jamaika. Ebenso »War In A Babylon« von Max Romeo (1976) und »Police & Thieves« von Junior Murvin (1977), die mit den Upsetters, der Begleitband von Perry, eingespielt wurden. Das sind Reggae-Klassiker, die Titelsongs der gleichnamigen Alben, die als die »heilige Trinität« des »Black Ark«-Studios gelten.
Perry hatte es sich 1973 eingerichtet, weil er wusste, am besten ist es, wenn man über die Produktionsmittel verfügt. 1979 brannte es ab. Er war als Kind eines Straßenarbeiters in armen Verhältnissen aufgewachsen und als Musiker 1959 im sehr berühmten »Studio One« von Coxsone Dodd gelandet. Das ist das Label, dessen Katalog bis heute auf diversen größtenteils hörenswerten Compilations wiederveröffentlicht wird. Für Perry war das Studio alles, es war sein hauptsächliches Musikinstrument, damit, bzw. darin hat er die vorliegende Musik, bearbeitet, neu montiert und praktisch neu erfunden – sensationellerweise reichten ihm dafür vier Spuren.
Wenn in der sogenannten Wegwerfgesellschaft das Bedürfnis nach Verzicht artikuliert wird, heißt es, dass »weniger mehr« sei. Im Dub lautet so das Grundprinzip. Anders gesagt: es geht um die Addition des Weggelassenen, denn die Summe ist mehr als die verschwundenen Teile. Klingt esoterisch? Lee Perry hat gerne so geredet und sich als cannabis-philosophischer »Madman« von weit draußen, als »Jamaican ET« oder »Alien Star Man« präsentiert. Für die Musik war das ungemein produktiv. Er war einer der wichtigsten Musiker des Reggae überhaupt. Am Sonntag ist er in Lucea, an der Nordküste Jamaikas gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.
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