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Bühnenkunst vom Band

Am Deutschen Theater Berlin erlebt »Oedipus« in der Regie von Ulrich Rasche seine Premiere

Der ausgesprochen erfolgreiche Regisseur Ulrich Rasche ist aus den Schauspielhäusern im deutschsprachigen Raum gar nicht mehr wegzudenken. Spätestens seit seiner Inszenierung von Friedrich Schillers »Die Räuber« (2016) am Münchner Residenztheater, die auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, aufgrund der Opulenz des Bühnenbildes aber dort nicht gezeigt werden konnte. Überall zeigt er seine Theaterarbeiten, für die er auch die Bühnen selbst gestaltet: in Dresden und in Bern, in Salzburg und in Basel, in Frankfurt am Main und in Berlin.

Der Beliebigkeit so mancher Regiekollegen setzt Rasche eine strenge Form entgegen - und sorgt so für hohen Wiedererkennungswert. Das, was man als Regiehandschrift bezeichnet, ist bei ihm in besonderer Weise ausgeprägt. Der Theatermacher mit der Vorliebe für den Chor lässt seine Schauspieler gern auf der Bühne marschieren. Häufig entwirft er dafür große Maschinen, mit Rollbändern bestückt, auf denen die Darsteller, Text deklamierend, ihre Kilometer zurücklegen. Künstlerische Darbietungen als Fließbandarbeit gewissermaßen.

Das Formbewusstsein rächt sich im Fall Rasche allerdings, weil es den Inhalt ganz und gar entwertet. Egal, ob antike Stoffe oder solche der Weimarer Klassik oder von Gegenwartsautoren, ob große Tragödien, Stückfragmente oder Prosabearbeitungen, Abend für Abend stellt der Regisseur die Schauspieler auf die Bühne, die gemeinsam einen Chor formen, die maschinelle Bewegung wird in Gang gesetzt, körperliche Anstrengung und Lautstärke sollen sich energetisch aufs Publikum übertragen.

Am vergangenen Sonnabend hatte Ulrich Rasches jüngste Arbeit am Deutschen Theater in Berlin Premiere, wo bereits Sarah Kanes »Psychose 4.48« in seiner Inszenierung zu sehen war. Sophokles’ »Oedipus« in einer Fassung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens nach der Hölderlin’schen Übertragung wurde nun von einem neunköpfigen Spielerensemble in Begleitung von vier Live-Musikern gegeben.

Bekannt ist der antike Mythos um Oedipus, der als Königskind von Laios und seiner Frau Iokaste geboren wird. Einer Prophezeiung wegen wollen die Eltern den klumpfüßigen Sohn dem Tod anheimgeben. Aber Oedipus stirbt nicht, sondern wird vom König von Korinth großgezogen. Das Orakel hat die Wahrheit gesprochen: Der erwachsene Oedipus gerät an einer Wegkreuzung in Streit mit dem ihm unbekannten Laios, den er tötet. Oedipus vermag seine Geburtsstadt Theben durch Klugheit von der Sphinx zu befreien, zum Dank wird ihm Iokaste zur Frau gegeben, mit der er vier Kinder zeugt.

Hier erst setzt die sophokleische Handlung ein. Es ist ein großes Drama um Erkennen und Verstecken, um Taktieren und Erliegen. Gerade zum Herrscher geworden, vom Volk für die Befreiung von der Sphinx gefeiert, gerät hier ein Machthaber ins Wanken. Bedrohungen von innen und außen, vom Orakel und vom Königinnenbruder Kreon - gleichsam des Ödipus Schwager wie auch Onkel - tasten seinen Führungsanspruch an. Es ist, kurz gesagt, ein Stück zum Thema politisches Überleben. Und auch das Deutsche Theater verspricht, jedenfalls laut Ankündigung, einen »besonderen Blick« »auf das Macht- und Herrschaftsverständnis, den Spalt zwischen Regierenden und Volk sowie die grundlegenden Fragen an die Demokratie« zu werfen.

Für diesen Theaterabend verzichtete Rasche auf ein monumentales Bühnenbild. Im kaum beleuchteten Raum dreht sich die nackte Bühne drei Stunden lang, darauf, unaufhörlich die Beine hebend, die schwarz kostümierten Spieler. Lediglich gigantische ringförmige Leuchten - erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier - sorgen für etwas Abwechslung, wenn sie auf- und absteigen und die Farben wechseln. Schön anzusehen, aber ein tieferer Sinn bleibt verborgen.

Die Darsteller sind unentwegt in Bewegung, um doch nur auf der Stelle zu treten. Ist das ein Sinnbild für das Diktat des Schicksals? Oder doch nur Zeichen von Rasches formalem Dogmatismus? Hier erweckt keiner den Eindruck, Herr seiner Selbst zu sein. Also auch keine politisch handelnden Menschen. Das Stück scheint bloßer Anlass für aufgeblasenen Ästhetizismus zu sein. Das ist schade, hätte der antike Mythos uns heute doch vielleicht noch einiges zu sagen.

Hier wird aus dem Halbdunkel gebrüllt, doch kaum etwas gelangt so in den Zuschauersaal, als würde es jemanden etwas angehen. Einzig Almut Zilcher, die die Iokaste gibt, vermag etwas auszubrechen aus dem vorgegebenen Trott. Dem Gleichschritt der marschierenden Spieler, die einem leidtun können, wird der Rhythmus der Verse angepasst, mit Pausen ins Endlose gezogen. Um drei Stunden ärmer verlässt man, gleich dumm, gleich klug wie zuvor, das Theater.

Nächste Vorstellungen am 11., 12., 29. und 30.9.

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