»Weil die Realität grotesk ist«

Ein Gespräch mit dem Regisseur Johannes Naber zu seiner Politfarce »Curveball – Wir machen die Wahrheit«

  • Marit Hofmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Schon vor einigen Jahren enthüllten verschiedene Dokus, wie der Bundesnachrichtendienst mit einer falschen Quelle den USA Gründe für den Irakkrieg 2003 lieferte. Warum jetzt noch ein Spielfilm?
Na, die bisherigen journalistischen Aufarbeitungen haben ja leider nicht dazu geführt, dass die drängenden Fragen beantwortet werden, die sich hier nach wie vor stellen. Der Wald schweigt, der BND, die damalige Regierung. Aber auch im Suppentopf der Medien schwimmen die großen Stücke nach wie vor am Boden. Wir rühren noch mal um und probieren es mit einer fiktionalen, etwas pointierteren Darstellung der »Curveball«-Affäre.

Frühere Reportagen und Presseberichte schürten Empörung über den »Asylschmarotzer«, der unter dem Decknamen Curveball falsche Informationen zu Chemiewaffen Saddam Husseins lieferte. Ihr Film macht angenehmerweise klar, dass der irakische Flüchtling Rafid Alwan den Deutschen nur das erzählt, was sie hören wollten, um sich und seine Familie in Deutschland in Sicherheit zu bringen. Was hat Sie dazu bewogen, den Fokus auf die Verlogenheit des deutschen wie amerikanischen Geheimdienstapparats und der rot-grünen Bundesregierung, die sich beim Irak-Krieg als Friedensapostel verkaufen wollte, zu verlagern?
Ich glaube schon, dass das damalige »Nein« zu einer offenen Kriegsbeteiligung bei Schröder und Fischer aus tiefer Überzeugung kam. Aber die verdeckte Unterstützung des Krieges danach, eben auch das Schweigen zu der amerikanischen Massenvernichtungswaffen-Lüge, welchem Kalkül ist das gefolgt? Der BND wollte unter den Teppich kehren, dass sie einem Hochstapler aufgesessen sind. Aber welches Motiv hatte die Regierung? Staatsraison? Oder eine transatlantische Agenda? Es geht um Hunderttausende Tote, wir haben ein Recht, das zu erfahren.
Zu Rafid Alwan: Der Mann träumte von Reichtum und Glück und hat sich schon im Irak mit erfundenen Geschichten durchschlawinert. Das hätte man schon damals leicht rausfinden können. Den verfolgten Regimekritiker nehme ich ihm nicht ab. Er gehörte als Ingenieur zur Oberschicht, aber er hat sich mit seinen Geschichten zu Hause verheddert. Er ist über Marokko nach Europa geflohen, auf der Suche nach einer Lebensperspektive. In Deutschland hat er dann versucht, über den BND die Abkürzung dahin zu nehmen, was ihm, zumindest was seine Einbürgerung angeht, auch gelungen ist. Er stilisiert sich heute als Opfer des BND, das ist aber nur die halbe Wahrheit, wenn überhaupt. Schuld an der Eskalation haben auf jeden Fall andere.

Interview
Johannes Naber ist 1971 in Baden-Baden geboren. Er studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg und schloss das Studium 1999 mit dem Diplom im Fachbereich Regie Dokumentarfilm ab. An seinem ersten Spielfilm »Der Albaner« arbeitete er fast zehn Jahre. Der Film wurde 2010 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet. Sein zweiter Spielfilm »Zeit der Kannibalen« feierte 2014 in der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale Premiere. Der Film wurde mit dem Deutschen Filmpreis in Bronze ausgezeichnet. Auf der Berlinale 2020 präsentierte Naber den Spielfilm »Curveball – Wir machen die Wahrheit«, der sich mit der gleichnamigen Agentenaffäre befasst. Naber lebt und arbeitet in Berlin. Mit ihm sprach Marit Hofmann.

Wie in Ihrem Film »Zeit der Kannibalen«, der das skrupellose Gebaren deutscher Unternehmensberater in »Entwicklungsländern« seziert, setzen Sie auch bei diesem ernsten Thema auf die Mittel der Groteske. Warum?
Weil die Realität grotesk ist, ganz einfach. Wir mussten nicht viel dazuerfinden.

Das haben Sie aber trotzdem getan. Zum Beispiel bei der Figur der US-Spionin Leslie, die ihre Affäre mit dem BND-Biowaffenexperten, Curveballs Quellenführer, ausnutzt.
Die Figur ist ein Destillat verschiedener realer Figuren auf US-amerikanischer Seite. Wir haben das Figurenkarussell stark vereinfacht und oft mehrere Personen zu einer zusammengefasst. Sonst hätte eine fiktionale Erzählung nicht funktioniert. Es wäre zu kompliziert geworden. Ich habe fünf Jahre gebraucht, um die Zusammenhänge zu begreifen. Die Zuschauer*innen können das jetzt in 100 Minuten schaffen.

Wenn Sie eine clowneske Verfolgungsjagd im Schnee mit Agenten im Pyjama inszenieren, ist ganz klar, dass das Fiktion und Komödie ist. Wollen Sie damit auch auf das notgedrungen Spekulative Ihrer Version hinweisen?
Natürlich auch das. Es ist ein Spielfilm und als solcher eine fiktionalisierte Interpretation der realen Vorgänge. Uns war aber immer wichtig, dass wir im Kern an den wahren Ereignissen bleiben. Und natürlich haben wir uns bei einem Film über Agenten auch am Genre des Agentenfilms abgearbeitet. War ein Heidenspaß, nebenbei gesagt.

Könnte die satirische Darstellung des BND als unfähige Beamtenspießer und provinzielle Möchtegern-007 nicht dazu beitragen, den Geheimdienst zu verharmlosen?
Also ganz ehrlich, die größte Sorge macht mir ein dysfunktionaler, unfähiger Geheimdienst. Weil das dazu führt, dass fahrlässige Recherchen und falsche Informationen zur Grundlage politischer Entscheidungen werden, wie man es in Afghanistan gerade wieder beobachten kann. Das ist die größtmögliche Gefahr, und wir wollen mit dem Film genau davor warnen. Im BND finstere Verschwörungen zu wittern, ist abwegig, spätestens wenn man ein bisschen genauer hinschaut. Viele stellen da ihre privaten Interessen über den altruistischen Auftrag des Dienstes, und das ist das Problem.

Der für die Geheimdienste zuständige damalige Kanzleramtschef war, worauf Sie im Abspann hinweisen, der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Heute scheinen offensichtliches Versagen und blanke Lügen der Spitzenpolitiker erst recht kaum Konsequenzen zu haben. Glauben Sie, dass Ihr Film ihnen noch unbequem werden könnte?
Wem jetzt, mir oder denen? Also erst mal: Ich konnte diesen Film ohne irgendwelche Einschränkungen und mit öffentlichen Mitteln drehen, und das ist bemerkenswert. Es gibt nicht viele Länder, in denen das möglich wäre. Dieses »kritische Positionen aushalten«, das zeichnet unsere Demokratie aus, bei aller berechtigter Kritik. Und dann: Ich hoffe, das habe ich eingangs schon gesagt, dass der Druck auf die damaligen Entscheidungsträger noch mal wächst, sich den unbequemen Fragen zu stellen. Mal sehen.

»Curveball – Wir machen die Wahrheit«: Deutschland 2020. Regie: Johannes Naber. Mit: Sebastian Blomberg, Thorsten Merten, Dar Salim. 108 Minuten. Kinostart: 9. September.

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