- Politik
- Versammlungsgesetz NRW
Auf dem Weg zum Polizeistaat
Das neue Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen wird auch von Juristen scharf kritisiert
Künftig bis zu zwei Jahren Gefängnis bei einem gewerkschaftlichen Spontanstreik, für die Teilnahme an einem Fanmarsch, an einer Demonstration gegen Braunkohleabbau oder Neonazis? Das könnte in Nordrhein-Westfalen Realität werden. Das neue NRW-Versammlungsgesetz, noch weitaus schärfer als das bayerische Versammlungsgesetz, enthält erhebliche Einschränkungen dieses demokratischen Grundrechts. Vorgelegt von einer Landesregierung, aus deren Reihen möglicherweise der künftige Bundeskanzler hervorgehen wird. »Wir regieren NRW so, wie ich es mir auch im Bund vorstellen würde«, erklärte der amtierende Ministerpräsident Armin Laschet Ende des vergangenen Jahres gegenüber der »Wirtschaftswoche«.
Nicht nur im Kontext der NRW-Umweltpolitik kann seine Äußerung als Drohung gelesen werden, sondern auch gegenüber rechtsstaatlichen Standards. Ende des Jahres - voraussichtlich nach der Bundestagswahl - soll das NRW-Versammlungsgesetz vom Landtag verabschiedet werden, mit den Stimmen der CDU- und FDP-Abgeordneten.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Gesetzgebungskompetenz ist mit der Föderalismusreform 2006 vom Bund auf die Länder übergegangen. Viele halten - wie Rheinland-Pfalz - immer noch an den Regelungen des Bundes fest und sehen bisher keine Notwendigkeit, daran etwas zu ändern. Andere, zum Beispiel Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen, haben eigene Versammlungsgesetze verabschiedet bzw. zur Abstimmung im Landtag vorgelegt.
Wenn Politiker der NRW-Landesregierung in der Öffentlichkeit auftreten, führen sie gerne rechtsextreme Aufmärsche ins Feld, die durch das neue Gesetz effektiver verhindert werden könnten - etwa durch den besonderen Schutz symbolträchtiger Orte und Tage und den neu eingeführten Straftatbestand des »Militanzverbotes«. Demnach sollen Demonstrationen dann verboten werden können, wenn die Teilnehmer*innen einheitlich gekleidet sind und »einschüchternd« wirken. Die polizeiliche Einsatzleitung soll darüber entscheiden. Wer an einer solchen Demonstration teilnimmt, kann dafür bis zu zwei Jahren ins Gefängnis.
In der Begründung des Gesetzestextes wird deutlich, dass sich das NRW-Versammlungsgesetz dabei nur am Rande gegen rechtsextreme Versammlungen richtet. Vor allem zielt sie auf die medienwirksamen Proteste gegen die Energie- und Klimapolitik der Landesregierung. An unzähligen Stellen erwähnt sie die Proteste im Braunkohlerevier und behauptet deren »Überrepräsentation in der Berichterstattung«. Die Begründung gehe »geradezu obsessiv auf Demonstrationen in Garzweiler ein, um bestimmte Regelungen zu rechtfertigen«, schreiben der Republikanische Anwaltsverein (RAV), die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) und das Komitee für Grundrechte und Demokratie in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Kritik an der Vorlage kommt nicht von rechten Gruppierungen und Parteien, sondern aus der Klimabewegung, von Gewerkschaften, Parents for Future, Fußballfans und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die den »Weg in den Polizeistaat« bereitet sieht. Jede Versammlung würde künftig vom Gutdünken der polizeilichen Einsatzleitung abhängen. Die Neue Richtervereinigung spricht sogar von einem »Versammlungsgesetz ohne Versammlungsrecht«.
Besonders rigide soll künftig mit »Gegendemonstrationen« umgegangen werden. Die AfD, wegen ihres offenen Rassismus wie keine andere Partei mit Protesten konfrontiert, forderte schon vergangenen Herbst im NRW-Landtag, das sogenannte »Störverbot« zu verschärfen und eine »grobe Störung« künftig nicht als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat zu werten. Der im Januar veröffentlichte Regierungsentwurf von CDU und FDP entspricht dieser Forderung der AfD.
Die »grobe Störung« einer Versammlung gilt demnach als Straftat und kann mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Wenn Gemeindepfarrer also künftig laut Kirchenglocken läuten, AfD-Gegner in ihre Trillerpfeife blasen oder junge Antifaschistinnen einen Parteitag blockieren, setzen sie sich dem Risiko einer Strafverfolgung und letztendlich einer Haftstrafe aus. Das gilt sogar schon für ein Blockadetraining im Vorfeld eines politischen Protests. Der Kölner Rechtsanwalt Christian Mertens sieht eine eindeutige Tendenz. Die Landesregierung wolle einige »Verhaltensweisen unter Strafe stellen, die von Rechten nicht begangen werden, sondern von Linken«, so der Rechtsanwalt, der schon viele Mandanten in politischen Strafprozessen verteidigt hat.
Auch Gewerkschaften sind alarmiert. Der DGB in Nordrhein-Westfalen will eine Überarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs, kritisiert neben Stör- und Militanzverbot auch die Überwachung von Großversammlungen mit Video- und Tonaufnahmen ohne jeden Anlass und die langen Anmeldefristen für Veranstaltungen und namentliche Ordnerlisten. Außerdem fehle ein »Deeskalationsgebot« für die Polizei, wie etwa im Berliner »Versammlungsfreiheitsgesetz«. Ende August beteiligte sich die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di an einer landesweiten Demonstration in Düsseldorf, die den Entwurf grundsätzlich ablehnt. Immer mehr Gewerkschafter schließen sich dieser Forderung an.
Lesen Sie auch das Interview mit Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie »Noch mehr Macht für Beamte ist brandgefährlich«
»Was ist mit Arbeitskämpfen oder Streiks, in denen die Beschäftigten teilweise in Arbeitskleidung daherkommen, beispielsweise mit Helmen oder Anzügen und damit auf die Straße gehen? Fällt das unter das Militanzverbot?«, fragt Eva Maria Zimmermann, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Köln.
Der Entwurf zum Versammlungsgesetz »will das Brokdorf-Urteil schleifen«, warnt Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Im Brokdorf-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht 1985 erstmals das Grundrecht auf Versammlung präziser definiert. Es bezeichnet Versammlungen als wichtigen Teil der »politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich ›staatsfrei‹ vollziehen muss.« Die »ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts« wirke »gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen«. Das Brokdorf-Urteil gilt bis heute als Standard in der Rechtsprechung. Das NRW-Versammlungsgesetz hingegen sei durchtränkt von »einem Widerwillen gegen Versammlungen«, so Winkler, es sei Ausdruck der »Missachtung von politischer Teilhabe«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.