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Politik am Kneipentresen
Trinken, Rauchen, Revolution: Tom Schmieders Roman über die linke Szene im Westberlin der 70er Jahre
Wie viele Biere der Protagonist Mark in seiner Stammkneipe trinkt und wie viele Zigaretten er dort oder direkt nach dem Aufstehen in seiner heruntergekommenen und unaufgeräumten Wohnung, bei politischen Treffen oder Aktionen raucht, habe ich nicht nachgezählt. Man braucht jedoch nur einige Seiten des über 500 Seiten dicken Wälzers »Als wir einmal fast erfolgreich waren« von Tom Schmieder zu lesen, um zu wissen, dass dies die Hauptmotive des Buchs sind: trinken, rauchen und nebenbei die Weltrevolution voranbringen.
Der flott geschriebene Roman spielt vor dem Hintergrund der niedergehenden linken Bewegungen im Spätherbst 1979 in Westberlin. Schmieder versetzt seine Leser*innen durch seine Romanfigur Mark in die Mauerstadt und deren linke Szene. Man erfährt, dass der Dauerstudent bereits in zahlreichen kommunistischen Grüppchen aktiv war, ehe er aus Bremen nach Westberlin gekommen war.
Der kleine, unabhängige Liesmich-Verlag aus Leipzig, in dem das Buch erschienen ist, hat es als einen »Roman über Bullen. Bier. Und lange Nächte. Und Berlin« angekündigt. Dies ist zweifellos gelungen, und man taucht schnell ein in die Subwelt der linken Gegenkultur der Stadt. Man begleitet Mark mit seinen Genoss*innen beim Plakatieren, beim Wodkakaufen in Ostberlin, bei Taxi- und Bahnfahrten durch die gesamte Stadt, bei der Durchführung einer illegalen Radiosendung und der Planung der nächsten großen Aktion, in deren Vorbereitung Mark aktuell steckt: Der nächste aufsehenerregende Schlag gegen das »Schweinesystem« soll ein »Hausbesuch« bei einem besonders reaktionären Staatsanwalt sein, der harte Urteile gegen Linke gesprochen und daher eine Abreibung verdient hat. Wer einen Einblick in dieses linksradikale und aktionistische Milieu haben will, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Es ist durchaus aufregend, Mark bei seinen Aktionen in Westberlin zu begleiten und zu sehen, wie er (meist äußerst knapp) seiner Verhaftung entgeht.
Schmieder gelingt die Beschreibung dieser linken Szene aus kommunistischen Parteien (die eher Sekten waren), aktionistischen Fraktionen (die aus dauernden Abspaltungen entstanden) und »Massenorganisationen« (die eher kleinen Grüppchen entsprachen) kenntnisreich und wohlwollend, ohne zu verhehlen, dass diese Form der Heterogenität bereits die Schwäche der radikalen Linken symbolisierte. Wirklich lustig wird es, wenn er die Schwierigkeiten selbst der Beteiligten beschreibt, herauszufinden, wer gerade welcher Gruppe zugehörig und damit entweder Genossin, Sektierer oder gleich Klassenfeind war.
Immer wieder durchziehen Einschübe das Buch, die die Kindheit und Jugend von Mark schildern. Diese war von Schlägen, Demütigungen und einer autoritären Erziehung in einem katholischen Elternhaus in der norddeutschen Provinz geprägt. Marks Hinwendung zur radikalen Linken und sein Umzug nach Berlin können als Reaktion darauf verstanden werden und drücken den Frust der gesamten rebellierenden Generationen der Nachkriegszeit aus. Somit reflektiert das Buch durch seinen Romanhelden auch den gesamtgesellschaftlichen Aufbruch der 60er und 70er Jahre.
Gleichwohl bleiben die Figuren des Romans manchmal etwas blass. Da gibt es neben Mark etwa Hascher, den alkoholkranken Polizisten, der heimlich Informationen weitergibt, oder den Bürgersohn Johann aus Berlin-Dahlem, der dort in seiner Villa wohnt und Mark auch mal seine Edelkarosse für heimliche Fahrten leiht - tief im Inneren ist dieser Jakob nämlich auch »links«. Äußerst spannend ist das nicht. Aber ohnehin muss das Buch als das gelesen werden, was es eigentlich ist: eine Hommage an das (real existierende) Café »Jonas« in der Naumannstraße in Berlin-Schöneberg.
Das Café ist Kieztreffpunkt, Restaurant, Kneipe und Debattierklub in einem. Für Mark ist das Café Jonas sein zweites Wohnzimmer und Ausgangspunkt für politische Aktionen oder Abende, an die er sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern kann. Dazu so viel: Weniger Alkohol und Nikotin hätten nicht nur dem Protagonisten des Romans gutgetan, auch das Buch hätte von einer Straffung einiger solcher Episoden durchaus profitiert.
Liest man Schmieders Roman, drängt sich der Vergleich mit dem Roman »Begrabt mein Herz am Heinrichplatz« des Autors Sebastian Lotzer auf, in dem dieser ganz ähnlich die Bewegung der Autonomen und der starken Hausbesetzerszene der 80er Jahre in Westberlin beschrieben hat. Dabei fallen zwei frappierende Ähnlichkeiten auf: Zum einen äußern sich weder Mark noch Paul (der Romanheld in Lotzers Buch) vertieft zu ihren (kommunistischen) Ideen und Vorstellungen. Beide betonen ihre subjektive Handlungsfähigkeit und die Notwendigkeit, »Fanale« zu setzen. Inhaltlich unterfüttert erscheint dies jedoch nicht zu sein. Der »Klassenkampf« ist in beiden Fällen eine Phrase. Und Politik heißt hier jeweils, sich subjektiv zu behaupten (und sei es nur durch die Flucht vor der Polizei), und weniger, sich Gedanken über den Aufbau einer anderen Welt zu machen. Dazu passt, dass beide Helden so richtig nachdenklich und selbstkritisch nicht werden. Ihre Handlungen und deren Effekte bleiben Selbstzweck und werden nicht hinterfragt.
Zum anderen sind es sehr männliche Bücher. Mark gelingt es immer wieder, seine Umwelt durch coole Sprüche und seine an Arroganz grenzende Selbstsicherheit zu beeindrucken und auch zu blenden. Frauen tauchen in beiden Büchern nur am Rand auf. Sie sind zwar auch an den politischen Aktionen beteiligt, sind jedoch in erster Linie Liebhaberinnen von Mark (alles immer ein bisschen kompliziert) oder Mitglieder der neuen Frauenbewegung (Klischee: Latzhose), die darüber diskutieren, ob in ihrer Frauenwohngemeinschaft ein männlicher Kater wohnen darf. Sonderlich witzig ist das nicht.
Als Erinnerung an die häufig vergessene Vorgeschichte aktueller linker Bewegungen ist das Buch jedoch unbedingt lesenswert. Und wer mag, kann ja beim Lesen versuchen, beim Bier- und Tabakkonsum von Mark mitzuhalten.
Tom Schmieder: Als wir einmal fast erfolgreich waren. Liesmich-Verlag, 527 S., br., 18,95 €.
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