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Zentrale Politikfelder bleiben ausgespart
Die Agrarexpertin Lena Bassermann vermisst beim Welternährungsgipfel wichtige Themen und Akteure
Die Zahl der hungernden Menschen weltweit stieg zuletzt auf 811 Millionen. Ist der Welternährungsgipfel zu begrüßen?
Auf alle Fälle ist es grundsätzlich gut, dass das ungemein wichtige Thema Welternährung auf so einer hohen Ebene bei der Anwesenheit von Staats- und Regierungschefs aus aller Welt behandelt wird. Die sich mit dem Thema kontinuierlich beschäftigenden Entwicklungsorganisationen wie Inkota beobachten den alarmierenden Trend der steigenden Zahlen beim Hunger seit Jahren. Im Corona-Jahr 2020 stieg die Zahl der Hungernden um mindestens 120 Millionen Menschen weltweit auf jetzt über 800 Millionen an. Das ist besorgniserregend. Allerdings wird der Gipfel, wie er nun ausgerichtet ist, nicht die so dringend notwendigen Veränderungen bringen.
Das Ziel des »UN Food Systems Summit« ist, die verschiedenen Ernährungssysteme daraufhin zu untersuchen, was sie zum Null-Hunger-Ziel der UN-Agenda bis 2030 beitragen. Ist der systemische Ansatz beim Gipfel angebracht?
Ein systemischer Ansatz ist natürlich gut, den fordern wir auch bereits seit Jahren. Die Umsetzung beim UNFSS-Ansatz muss jedoch hinterfragt werden. Es liegen unzählige Analysen aus den vergangenen Jahren vor, die die Ernährungssysteme bereits daraufhin untersucht haben, was sie zur Hungerbekämpfung beitragen oder eben auch nicht. Dort wurden sämtliche Fehlstellungen, die negativen Auswirkung auf den Klimawandel, aber auch auf die Gesundheit thematisiert. Die Ernährung vom Acker bis auf den Teller von Produktion über Weiterverarbeitung bis zum Verbraucher trägt bis zu 37 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Die Debatte über das Bienensterben ist ebenso bekannt wie die vielen Gesundheitsprobleme wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, die auf Fehlernährung, zum Beispiel durch zu zucker-, salz- und fetthaltiges Essen, zurückzuführen sind. Es fehlt nicht an Wissen, es fehlt am politischen Handeln. Es gibt massive Ungleichgewichte in den Ernährungssystemen. Im Corona-Jahr haben Lebensmittelketten wie Edeka und Rewe enorme Zusatzgewinne eingefahren, von denen bei den Produzenten am Anfang der Lieferkette nichts ankam. Dort werden im Globalen Süden nach wie vor Hungerlöhne gezahlt. Diese grundsätzlichen Fragen müssen angegangen werden. Auf dem Gipfel kommen diese Themen nicht prominent vor.
Als offizielle Schwerpunkte werden fünf Aktionsbereiche, die sogenannten Action Tracks, aufgeführt – und zwar zu den Themen gesunde Ernährung für alle, nachhaltiger Konsum, nachhaltige Produktion, Einkommen und wirtschaftliche Entwicklung sowie Armutsbekämpfung und Resilienz, also Widerstandsfähigkeit. Das hört sich recht progressiv an. Woran hapert es?
Es werden wichtige Themen angesprochen. Und fraglos ist Hunger und Ernährungssicherung ein sehr komplexes Thema, weil viele Sektoren darauf Einfluss nehmen von Gesundheit über landwirtschaftliche Produktion bis hin zu Wasserqualität. Deswegen ist es gut, dass sich der Welternährungsgipfel dem Thema unter systemischen Gesichtspunkten annehmen will. Aber zentrale Politikfelder bleiben ausgespart: die Handelspolitik, die den Globalen Süden massiv benachteiligt, oder die Begrenzung der Konzernmacht zum Beispiel. Die Frage, welche gesetzlichen Regulierungen notwendig sind, um die Ernährungssysteme zu verbessern, wird ausgeklammert. Die Knackpunkte stehen nicht auf der Gipfelagenda.
Viele Nichtregierungsorganisationen boykottieren den Welternährungsgipfel. Weil diese Knackpunkte fehlen?
Der zentrale Kritikpunkt ist ein anderer. Wir sehen klar die Staaten und ihre Regierungen in der Pflicht, die ihre Verantwortung und ihre Steuerungsfunktion wahrnehmen müssten. Beim Gipfel wird jedoch auf einen konzerngesteuerten Multi-Akteurs-Ansatz gesetzt, bei dem Staaten und Industrievertreter gleichberechtigt am Tisch sitzen. Zu diesem Welternährungsgipfel hatte der UN-Generalsekretär erstmals gemeinsam mit dem Davoser Weltwirtschaftsforum geladen und unter Federführung von Vertreter*innen des Ansatzes der Grünen Revolution. Von Beginn an bestimmten multinationale Konzerne die Konzeption des Gipfels – also jene Akteure, die vom Erhalt des Status quo profitieren. Wie sollen damit die Weichen weg von einer »Weiter so«-Politik gestellt werden, wie es der wissenschaftlich fundierte Weltagrarbericht schon 2008 gefordert hat? Das bezweifelt die Zivilgesellschaft, das bezweifeln mehr als 300 Wissenschaftler*innen, die zum Boykott aufgerufen haben.
Wie sieht der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Michael Fakhri, den Gipfel?
Auch Michael Fakhri kritisiert den Ansatz des Gipfels öffentlich: »Der Welternährungsgipfel schließt kleinbäuerliche und zivilgesellschaftliche Gruppen aus, verkennt die Ursachen von Hunger und Mangelernährung und befördert die Machtkonzentration von Unternehmen in Ernährungssystemen, anstatt diese anzugehen. Menschenrechte und Rechenschaftspflichten fehlen auf der Agenda des Gipfels gänzlich.« Diese Einschätzung teilen wir. Der Entschluss zum Boykott reifte im Laufe eines zweijährigen Prozesses bei der Gipfelvorbereitung, weil die Kritik nicht aufgenommen wurde – weder von der Bundesregierung, mit der wir in Dialog waren, noch international, wo sich 500 Organisationen mit Briefen an den UN-Generalsekretär wandten, ohne eine Antwort zu erhalten. Sie hatten gefordert, vorrangig diejenigen Menschen anzuhören und in Entscheidungen einzubeziehen, die am stärksten von Hunger betroffen sind und unter dem agroindustriellen System leiden wie kleinbäuerliche Erzeuger*innen, Fischer*innen, Frauen und viele mehr. Es gibt auf UN-Ebene bereits den Welternährungsausschuss (CFS), der genau diese Stimmen einbindet. Dieser muss dringend gestärkt werden. Tatsächlich fürchten wir derzeit eine Schwächung durch die aktuellen Entwicklungen.
Das Abschlussdokument soll den Weg nach vorn zeigen und die Selbstverpflichtungen der relevanten Akteure auf nationaler und globaler Ebene befördern. Selbstverpflichtungen sind bekanntlich ein stumpfes Schwert. Wie viel erwarten Sie von dem Gipfel?
Leider wenig. Ich sehe den Gipfel als verpasste Chance. Das Ergebnis wird sehr unverbindlich sein, öffentliche Interessen werden keinen Vorrang vor Konzerninteressen haben, ein menschenrechtsbasierter Ansatz steht nicht im Zentrum. Es soll einen Folgeprozess geben. Aber auch da ist nicht klar, wie der aussehen soll und bei dem zweifelhaft ist, ob der UN-Generalsekretär überhaupt das Mandat hat, diesen aufzusetzen. Die dringend erforderliche grundlegende Wende hin zu einer agrarökologischen, ressourcenschonenden Produktionsweise, die vielfältige Nahrungsmittel für alle Menschen produziert und eine gesunde Ernährungsweise fördert sowie die Dominanz von Konzerninteressen zurückdrängt, wird erneut verfehlt werden. Dabei hat der Weltagrarrat diese Wende schon vor 13 Jahren angemahnt.
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