Kahlschlag heizt das Klima auf

Durch Abholzung und Brandrodung wurden die amazonischen Regenwälder vom Kohlenstoffspeicher zum CO2 -Produzenten

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.

An Warnungen hat es nicht gefehlt: Seit Jahrzehnten fordern brasilianische und internationale Forscher sowie Umweltschützer, die Abholzung der Amazonas-Wälder zu stoppen. Die für das globale Klima wichtige größte Regenwaldregion der Erde könne ihre Funktion als Kohlenstoffspeicher und Bremser der globalen Erwärmung verlieren. Doch insbesondere die wechselnden Regierungen Brasiliens - verantwortlich für den größten Teil Amazoniens - beließen es bei Lippenbekenntnissen und ignorierten trotz zweier UN-Umweltkonferenzen in Rio de Janeiro 1992 und 2012 die Rufe von Ökologen und Klimaforschern. Nun scheint deren schlimmste Befürchtung eingetroffen zu sein, Amazonien hat einen Kipppunkt erreicht: Die scheinbar unendliche Kohlenstoffsenke, die die Klimagasemissionen der Industriestaaten aufsaugt und so den Treibhauseffekt ausgleicht, ist heute ein Nettoemittent von CO2.

Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass Amazonien der Atmosphäre jährlich viele Millionen Tonnen Kohlendioxid entzieht und es in Form von Kohlenstoff in seiner wachsenden Pflanzenmasse speichert. Seit wenigstens zehn Jahren ist dies offensichtlich nicht mehr der Fall. Im Gegenteil: Brandrodungen und Kahlschläge haben den größten Regenwald in einen CO2-Nettoproduzenten verwandelt, wie eine im Juli im Fachblatt »Nature« veröffentlichte Studie erstmals zeigt.

Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung von Brasiliens Weltraumforschungsinstitut INPE hat von 2010 bis 2018 per Kleinflugzeug alle zwei Wochen vier repräsentative Regionen im Amazonasgebiet überflogen und in 300 bis 4400 Metern Höhe über dem Kronendach die CO2-Konzentrationen gemessen. »Die erste schlechte Nachricht ist, dass die Brandrodungen etwa dreimal mehr CO2 produzieren, als der Wald absorbiert«, erläutert Luciana Gatti, die Hauptautorin der Studie. »Die zweite schlechte Nachricht ist, dass die CO2-Emissionen in den Regionen, wo die Abholzung 30 Prozent oder mehr beträgt, zehnmal höher sind als in den Gebieten mit einer Entwaldung von weniger als 20 Prozent.« Die Emissionen stammten zunächst von den Brandrodungen selbst und später von der Zersetzung der abgestorbenen Pflanzenmasse.

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Konkret gibt das Regenwaldgebiet demzufolge seit 2010 im Jahresschnitt 1,51 Milliarden Tonnen CO2 nicht nur, aber vor allem durch Brandrodung in die Atmosphäre ab, während es nur 450 Millionen Tonnen in seiner Biomasse speichert. Damit stellt Amazonien als Nettoproduzent so manche Indus-trienation in den Schatten. Statt also den Klimawandel zu bremsen, heizt das Amazonasbecken die Atmosphäre schon seit Jahren noch viel stärker auf als beispielsweise Deutschland, das seine jährlichen CO2-Emissionen von 1,05 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 auf 644 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr reduzieren konnte.

Den größten Teil steuert zu dieser Klimakatastrophe der brasilianische Teil Amazoniens mit 870 000 Tonnen jährlich bei. Am schlimmsten sei die Situation in der südöstlichen Amazonasregion, vornehmlich in Pará und Mato Grosso, wo der Wald bereits zu mehr als 30 Prozent vernichtet ist. Die Abholzung hat hier zu einer regionalen Klimaveränderung mit einer längeren, trockeneren und wärmeren Trockenzeit in den Monaten August, September und Oktober geführt. Die Forscher registrierten einen Temperaturanstieg um mehr als zwei Grad bei gleichzeitigem Rückgang der Niederschläge um rund 25 Prozent. Dieser Klimastress führe dazu, dass die Wälder leichter brennen und die Bäume früher absterben.

»Im Süden von Pará und im Norden von Mato Grosso gehen die empfindlichsten Baumarten ein, und nur die widerstandsfähigsten überleben«, erläutert Wissenschaftlerin Gatti. »Bereits heute sterben im Südosten des Amazonas mehr Bäume ab, als nachwachsen.« Dies bedeute, dass der Wald in dieser Region, selbst wenn er nicht in Brand gesetzt wird, jedes Jahr mehr Kohlenstoff emittiert als aufnimmt. Weniger Bäume führten zu weniger Regen und höheren Temperaturen, was Trockenzeit und Klimastress für den verbleibenden Wald noch erhöhe - ein Teufelskreis.

Für Gatti steht zweifelsfrei fest: Der Amazonas ist heute eine Kohlenstoffquelle. Doch dies ließe sich wieder umkehren, erläutert die Forscherin. Es brauche allerdings ein Moratorium für Abholzung und Brandrodungen für mindestens fünf Jahre im gesamten Amazonasgebiet, besonders in der Südostregion, die zusätzlich wieder aufgeforstet werden müsste. »Bei einem solchen Szenario glaube ich an eine Umkehrmöglichkeit.«

Doch die Signale der Regierung Jair Bolsonaro verheißen das genaue Gegenteil. Weder ein Abholzungsstopp noch ein Ende der Waldbrände ist in Sicht. Für Antonio Donato Nobre, der seit mehr als 30 Jahren in und über Amazonien forscht und die ökologischen Folgen wie kaum ein anderer Wissenschaftler kennt, ist schon in den 1990er Jahren eine Null-Abholzungs-Politik in Brasilien eine dringende Notwendigkeit gewesen. Obwohl heute ein Ende der Abholzung unvermeidlich sei, werde dies wohl nicht ausreichen, die bedrohlichen Klimatrends umzukehren, warnte Nobre bereits 2017. »Wir müssen außerdem soweit wie möglich alles wiederherstellen, was verändert und zerstört wurde.« Und dies setze eine Umkehr der Landnutzung in weiten Teilen Amazoniens voraus.

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