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»Weiße Menschen reden nicht genug über Weißsein«

Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo über Erfahrungen im deutschen Literaturbetrieb, komplexes Erzählen und die Macht von Netzwerken

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie haben kürzlich bei einer Diskussionsrunde des postmigrantischen Netzwerkes »neue deutsche Organisationen« berichtet, Sie seien als Britin in den deutschen Literaturbetrieb mit Glück »hineingerutscht«. Wie haben Sie das gemeint?

Wenn ich gefragt werde, welchen Rat ich anderen Schriftsteller*innen geben kann, sage ich immer: Meine Erfahrung ist gar nicht so typisch. Was den Bachmann-Preis, den ich 2016 erhalten habe, betrifft, hatte ich das Glück, dass ich angesprochen worden bin. In der Regel ist es so, dass man sich direkt bei den Juror*innen bewirbt. Diese können dann zwei Texte aus Hunderten Einsendungen vorschlagen. Ich aber habe vom Jurymitglied Sandra Kegel, einer Journalistin und Literaturkritikerin, einen Anruf bekommen. Sandra Kegel hat nicht wie üblich gewartet um zu gucken, welche Texte kommen. Wenn sie das getan hätte, wäre ich nie in Klagenfurt gelandet. Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, mich zu bewerben, denn ich hätte nie gedacht, dass ich für einen deutschsprachigen Literaturwettbewerb geeignet wäre. Aber diese Jurorin hat geguckt, was im Wettbewerb fehlt. Drei Jahre hintereinander hat sie den Siegertext eingeladen: In 2015 die Lyrikerin Nora Gomringer, mich 2016 und im Jahr danach den Dramatiker Ferdinand Schmalz, der jetzt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht. Ich denke: Um die deutschsprachige Literaturlandschaft zu verändern, müssen solche neuen Wege beschritten werden.

Was bekommen Sie von den Erfahrungen anderer Schwarzer Schriftsteller*innen oder People of Colour im deutschen Literaturbetrieb mit?

Die Schriftstellerin Noah Sow hat auf ihrer Webseite über die schwierige Agent*innen- und Verlagssuche geschrieben - und in diesem Zusammenhang auch über diskriminierende Erfahrungen. Zum Beispiel, wie versucht wird, eine Geschichte, die sie explizit aus einer Schwarzen Perspektive geschrieben hat, einem weißen Publikum schmackhaft zu machen. Vor ein paar Jahren gab es ein Netzwerktreffen von Schwarzen Kulturschaffenden im Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Mehrere Autor*innen erzählten, sie hätten den Rat bekommen, sie sollten einen deutsch klingenden Namen annehmen. Oder, dass sie eine Geschichte schreiben sollten, in der schon eine Schwarze Figur vorkommen könne, aber lieber nicht in der Hauptrolle. Oft wird Schwarzen Kulturschaffenden erzählt, es gäbe kein Publikum für ihre Themen. Neulich habe ich einen Instagram-Post von einer Schwarzen Kinderbuchautorin gelesen. Es gab eine Agentur, die sich für sie interessiert hat, aber als so eine Art Alibi-Schwarze. Die Verlage suchen anscheinend händeringend nach Schwarzen Autor*innen. Aber es ging nur um ein neues Gesicht auf der Webseite, nicht um die Inhalte. Schwarze Autor*innen sind nicht einfach weiße Menschen, die irgendwie dunkel aussehen. Sie haben ihre eigenen Erfahrungen, ihre Expertise, ihre Traditionen. Und das muss berücksichtigt werden. Es geht um weitere Perspektiven auf Kunst, Ästhetik und die Welt.

Wie sieht das bei Ihrer eigenen Arbeit aus? Sie haben dieses Jahr den Roman »Adas Raum« veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die in verschiedenen Epochen Erfahrungen macht. Es gibt sie sozusagen in mehreren Inkarnationen. Was ist das für eine Figur?

Die Hauptfigur ist Ada, die im Jahr 2019 lebt. Sie trägt diverse historische und gesellschaftliche Bezüge in sich: unter anderem die Geschichte des Kolonialismus, die Industrialisierung und die damit einhergehenden Gewalterfahrungen. Sie ist auch Teil der deutschen Gesellschaft und deren Geschichte. Der Roman war nicht gedacht als Geschichte einer Person, die ausschließlich als Opfer zu lesen ist, wie es oft von der Literaturkritik angenommen wurde.

Mir ging es darum zu zeigen: Diese Figur, die als Frau und Schwarze markiert ist und in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft lebt, die immer noch patriarchalische Strukturen hat, findet Strategien, um damit klarzukommen. Sie ist eine Figur, die nicht so klar in eine Zeitepoche oder eine Region einzuordnen ist. Die Menschen, die meinen Roman lesen, spüren das. Sie werden die ganze Zeit durch die Gegend geschleudert. Ich habe keinen Roman geschrieben, um andere Personen zu sensibilisieren. Es ging darum, mein Erleben der Welt spürbar zu machen.

Dieses »Herumgeschleudert-Werden« wurde nicht nur positiv rezipiert, oder?

Nein, aber das ist für mich kein Problem. Es gibt in dem Roman »Drei Kameradinnen« von Shida Bazyar ein Zitat, das ich sehr liebe: »Es ist ja auch nicht so, als hätte die Welt uns eine Reihenfolge geliefert, die Sinn ergeben würde. Warum sollte ich mich dann an eine halten? Reihenfolgen sind was für Deutschlehrer, damit sie unsere Geschichte zügeln können«. Als ich das las, hatte ich meinen eigenen Roman längst geschrieben, aber das hat es toll auf den Punkt gebracht, warum ich ihn so schreiben musste.

Sie sagen, Ihre Leser*innen seien teilweise gedanklich weiter als die Literaturkritik. Wie meinen Sie das?

Ich habe mich über die positiven Kritiken meines Romans sehr gefreut. Oft hatte ich allerdings das Gefühl, dass dabei sehr darauf fokussiert wurde, was ich über Deutschland und die Kontinuität von der Shoah bis heute sagen möchte. Auch wird der Roman oft als ein Text gelesen, der für die Perspektiven einer armen Schwarzen, schwangeren Frau sensibilisieren soll. Das kann man so lesen, das ist kein Fehler. Aber ich habe auch versucht, weiteren Erfahrungen Platz zu geben.

Da gibt es eine zum Beispiel die Figur eines Mannes, der als Rollstuhlfahrer Behindertenfeindlichkeit erlebt. Gleichzeitig ist er maßgeblich daran beteiligt, dass die dritte Ada im KZ landet. Ich glaube, das ist noch nie in einer Rezension zum Ausdruck gebracht worden. Man kann nicht alles unterbringen, aber der Fokus war sehr eng. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich immer betone, dass ich Aktivistin bin.

Und die Leser*innen?

Nach Lesungen berichten Menschen immer wieder von ihrer Dankbarkeit, dass ich mich getraut habe, Tabuthemen anzusprechen, die in der Literatur sehr selten vorkommen. Zum Beispiel die Trauer, die Menschen erleben, wenn sie kurz nach der Geburt ein Kind verlieren. Für diese immens große Trauer gibt es in der Gesellschaft kaum Platz.

Oft sagen Menschen: Das ist kein leichter Roman. Aber das Leben ist auch nicht leicht. That’s the point. Ich habe nicht absichtlich einen schwierigen Roman geschrieben. Ich habe versucht, in der Kunst Platz für Geschichten zu finden, die wir erleben. Und mein Eindruck ist, dass Leser*innen und Blogger*innen sehr viel offener für dieses Gedankenexperiment sind als die Kritik.

Denken Sie, dass eine Schublade mit bestimmten Vorurteilen und Erwartungen an »Schwarze Literatur« entsteht - so ähnlich, wie das bei »Frauenliteratur« der Fall ist?

Ja, das passiert. Andererseits fordere ich das auch ein bisschen heraus, indem ich immer wieder betone, dass ich Schwarz bin. Schwarz mit großem »S«. Um zu markieren, dass es mir um eine politische Identität geht und nicht um eine vermeintliche Hautfarbe. Die Leser*innen sind überwiegend weiß, genauso wie die Menschen, die in Agenturen und Verlagshäusern arbeiten, die Jurymitglieder und auch die, die die Preise gewinnen. Das alles spielt eine Rolle.

Meine Wahrnehmung ist, dass diese weiße Dominanz zu wenig thematisiert wird. Es wird nicht genug über Weißsein gesprochen. Es geht stattdessen viel über Menschen mit Migrationshintergrund. Das frustriert mich sehr. Tatsächlich bin ich von Großbritannien nach Deutschland emigriert, aber das ist nicht das, was Leute meinen, wenn sie bei mir von Migrationshintergrund reden.

Wir müssen darüber reden, wie Weißsein konstruiert und als Norm gesetzt wird. Wenn ich sage, dass ich Schwarz bin, meine ich nicht, dass ich von der weißen Norm abweiche. Ich versuche meine Schwarze Perspektive zu benennen. Ich möchte zum Beispiel unbedingt in der Tradition von Olivia Wenzel, Yaa Gyasi, Chinua Achebe und Toni Morrison gelesen werden. Ich möchte, dass weitere Räume entstehen, in denen Schwarze Menschen über unsere kollektiven Erfahrungen nachdenken können.

Sie selbst sind in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) aktiv und haben bei einer Diskussionsrunde des Bundeskongresses der neuen deutschen Organisationen teilgenommen. Warum sind Ihnen solche Netzwerke und Räume wichtig?

Manchmal kann man Sachen besser reflektieren und Worte finden, wenn man beim Denken redet. An Orten wie dem Podium der neuen deutschen Organisationen ging es nicht darum, irgendetwas zu erklären, damit Menschen bestimmte Dinge besser verstehen, die solche Erfahrungen nicht machen. Es ging darum, weiterzudenken und über Strategien zu sprechen.

An der Diskussionsrunde haben auch die bildende Künstlerin Moshtari Hilal und der Schauspieler Hassan Akkouch teilgenommen. Wenn drei Menschen erzählen, dass sie ähnlichen Erfahrungen machen, hat man nicht mehr das Gefühl, es läge an einem selbst. Man kann sich selbst ermächtigen und neue Wege beschreiten.

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