Abba sind wie Elvis und Falco

Plattenbau.CD der Woche: Verdammt, Abba sind wieder da

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Abba kehren zurück. Am 5. November soll ihr neues Album »Voyage« erscheinen. Im Frühjahr wollen sie auf Tour gehen: Als vier Avatare, die von einer zehnköpfigen Band begleitet werden sollen. Die Avatare sind alterslos und sollen »Abbatare« heißen.
Mitte der 80er waren Abba auf dem Friedhof der Kuschelpoptiere gelandet. Keiner wollte mehr das 1986 veröffentlichte Album »Abba live« kaufen. Abba waren Popmainstream pur. Aber die 80er waren das Jahrzehnt, in dem die Subkulturen zum Mainstream wurden. Für die Abba-Songwriter Björn Ulvaeus und Benny Anderson wurde damals die Luft dünn.

Acht Jahre lang war es gut gelaufen. Mit »Waterloo« und dem Sieg beim Grand Prix Eurovision de la Chanson ging es los. Es hätte keinen passenderen Karriere-Kick-Off für diese Band geben können. Zwischen 1974 und 1982 absorbierten die beiden ABBA-Köpfe Björn und Benny sämtliche musikalische Moden von Glamrock (»Waterloo«), Cheesy Schlager (»Fernando«, »I do, I do, I do, I do, I do«) bis Disco (»Gimme, Gimme, Gimme, A Man after Midnight«) in ihre schlageresken Pop-Esperanto-Songs.

So wie die Texte rhythmische, gut klingende und leicht verständliche englische Phrasen aufreihten, so bot die Musik alles auf, was beim Hörer hängen blieb. Aber die popmusikalische Ausdifferenzierung Anfang der 80er beendete das Geschäftsmodell Abba. Mehr war die Band nie. Abba wollten von zeitgenössischer, an Hörerwünschen orientierter Musik leben. Als das nicht mehr funktionierte, machte man unsentimental Schluss. Die Frauen versuchten sich leidlich erfolgreich an Solokarrieren. Björn und Benny komponierten 1984 mit dem Librettisten Tim Rice das Musical »Chess«, eigentlich nur ein Update des ABBA-Sounds der 80er.

1992 kehrten Abba vom Kuschelpoptiefriedhof zurück und veröffentlichten die Hitkompilation »Abba Gold«. Das Album platzte mitten in das 70er Revival hinein. Die Elektropopper Erasure verpassten »Abba Gold« einen ordentlichen Schub mit ihren Abba-Coverversionen »Abba-esque«. Abba-Coverbands wie die A*Teens schossen direkt in die Charts. Björn und Benny sprangen auf die Retrowelle auf und verpackten 1999 die Hits von »Abba Gold« in ein klamaukiges Musical. 2008 wurde es verfilmt und zu einem großen Erfolg. Abba entwickelten sich zum Legacy-Konzern.

Elvis ist nicht tot. Der Mensch Elvis Presley hat sich von Elvis gelöst und ist heute in tausendfacher Impersonisation unterwegs. Falco hat sich von Johann Hölzel gelöst und »tourt« mit zwei verschiedenen Musicals durch die Lande. Freddy Mercury ebenso. Beatles-, Pink-Floyd- oder Rolling-Stones-Coverbands bringen deren Songs zur Aufführung, wie man es bisher nur mit klassischer Musik gemacht hat. Popmusiker sind nie authentisch. Der Popstar inszeniert immer die Impersonisation einer Rolle. Und diese kann sich vom Menschen lösen, der sie inszeniert. Der Star als Marke kann wie Buddha in immer neuen Inkarnationen erscheinen.

Abba als Avantgarde des Mainstreams gehen jetzt den nächsten Schritt der Loslösung von ihrer Leiblichkeit und verwandeln sich in technische Gespenster. Sie übernehmen das Roboterprinzip der Band Kraftwerk und schicken Hologramme auf Tournee. Warum auch nicht? Popmusik ist immer schon ein nachfrageorientiertes und kapitalistisches Unternehmen gewesen. Und Abba sind in diesem Geschäft nicht nur Dancing Queens, sondern auch Commercial Kings.

In den 70ern punkteten ABBA mit der handwerklichen Brillanz ihres multilateralen Esperanto-Pops, nicht, weil sie von ihrer Bedeutsamkeit überzeugt waren. Heute promoten sie ziemlich laue neue Songs (»I Still Have Faith In You« und »Don’t Shut Me Down«) durch ihre Bedeutsamkeit. So geht Pop!

Abba: »I Still Have Faith In You« (Universal), Abba: »Don’t Shut Me Down« (ebenda)

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