Nie gelernt: Schwangerschaftsabbruch

Das Thema Schwangerschaftsabbruch kommt im Medizinstudium kaum oder gar nicht vor. Papaya-Workshops sollen Abhilfe schaffen

Groß und schwer liegt sie auf dem Tisch. Eine Papaya. Vermutlich aus Süd- oder Mittelamerika und laut Etikett nach Deutschland geflogen, wo sie schließlich für ganze elf Euro auf einem Berliner Markt gekauft wurde. Die überteuerte Frucht mit schlechter Klimabilanz hat an diesem Wochenende einen ungewöhnlichen Zweck: Zu helfen, zu verstehen, warum die Papaya als Modell für die Gebärmutter genutzt wird, um an ihr Schwangerschaftsabbrüche zu üben.

Genau das machen die »Medical Students for Choice« (MSFC) an der Berliner Charité bereits seit 2015. Die Studentin Elisa Habermann ist eine von ihnen. Sie ist im fünften Jahr ihres Medizinstudiums, damit kurz vor dem Staatsexamen, und bereits seit vielen Jahren bei der Organisation der Papaya-Workshops dabei. Bei einem Treffen in Berlin-Mitte zeigt sie, wie so ein Abbruch an der Papaya funktioniert: Habermann nimmt sich die Papaya, die auf dem Tisch zwischen Kaffee und Limo liegt, und erklärt: »Erst wird mit Metallstiften, sogenannten Hegarstiften, der Muttermund geweitet. Man fängt mit einem dünnen an und nimmt immer dickere, damit man hier am Ende der Papaya ein Loch hat.« Sie zeigt auf den schmaleren Teil der Papaya und die Stelle, an der die Frucht einmal am Baum hing. »Dann führt man den Plastikschlauch, der mit dem Aspirationsgerät, also dem Ansauggerät, verbunden ist, ein und saugt Fruchtfleisch und Kerne aus.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Was für die meisten Menschen absurd klingen mag, ist für Habermann total normal. »Auch wenn die Verwendung von Obst für manche Leute erstmal komisch klingt, ist es doch ein sehr gutes Modell«, betont sie. Weil die Frucht in ihrer Form und Festigkeit gewisse Gemeinsamkeiten mit der Gebärmutter aufweise. »Es gibt einen dickeren runden Teil und einen schmalen Zulauf vorne.« Gleichzeitig sei gut, dass man Fruchtfleisch und Kerne absaugen kann, so wie man bei einem chirurgischen Eingriff das Schwangerschaftsgewebe absaugen würde. »Drittens entspricht die Gewebefestigkeit einigermaßen der eines Uterus und man muss auch beim Arbeiten am Modell vorsichtig sein, nichts zu verletzen.«

In der Tat sind solche Papaya-Workshops an einigen US-amerikanischen Universitäten sogar Teil der Lehrpläne. Nicht in Deutschland. Hier werden sie von engagierten Studierenden und ehrenamtlich arbeitenden Gynäkolog*innen organisiert. In Berlin seien die Veranstaltungen von Beginn an sehr beliebt gewesen, berichtet Habermann. »Wir hatten immer eine viel längere Warteliste als wir überhaupt Plätze vergeben konnten.« Denn viele der Studierenden würden beim Thema Abtreibung eine Lücke im Lehrplan wahrnehmen. Knapp 100.000 Abbrüche wurden im Jahr 2020 in Deutschland durchgeführt. Der Eingriff gehört zu den häufigsten im Alltag einer Gynäkologin. Umso paradoxer ist es, dass er im Medizinstudium und auch der späteren fachärztlichen Ausbildung kaum oder sogar gar nicht vorkommt.

»Man ist zu einem gewissen Grad selbst verantwortlich, Abbrüche zu lernen«, erklärt Habermann, die selbst nach ihrem Studium in die Gynäkologie will. Wegen der Corona-Pandemie konnten die Papaya-Workshops eine ganze Weile nicht angeboten werden, im November soll es jedoch wieder losgehen, heißt es bei den MSFC. Neben dem praktischen Teil wird in den Sitzungen auch über rechtliche, ethische und politische Grundlagen zum Schwangerschaftsabbruch gesprochen. Klar ist: Studierende sind nach den Workshops nicht qualifiziert, echte Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. »Das ist auch gar nicht unser Anspruch«, betont Habermann. »Der Sinn dieser Workshops ist es, sich intensiver mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch auseinanderzusetzen, und zwar auch auf eine praktische Art, weil das bewiesenermaßen den Wissenszuwachs steigern kann.« Zudem würden häufig Fehlinformationen kursieren und der Abbruch dramatischer oder medizinisch komplexer dargestellt werden, als er tatsächlich ist. »In diesem Sinne, sind die Papaya-Workshops sogar realistischer als das, was man so über Abbrüche hört.«

Tatsächlich einen Abbruch durchzuführen, sollte man in seiner Facharztausbildung lernen. In Deutschland geschieht das nur leider nicht immer, kritisiert die Ärztin Jana Maeffert. Die Gynäkologin ist Teil des Vereins »Doctors for Choice«, der 2019 von den Ärztinnen Alicia Baier und Leonie Kühn gegründet wurde. Beide hatten zuvor die Berliner Gruppe der MSFC ins Leben gerufen.

Bei einem morgendlichen Telefonat erklärt Maeffert, dass die große Mehrheit der Schwangerschaftsabbrüche in den Niederlassungen und ambulanten OP-Zentren stattfinden. Die fachärztlichen Ausbildungen hingegen in den Kliniken. So kommt es, »dass man in einem Krankenhaus ausgebildet wird, in dem gar keine Abbrüche durchgeführt werden und dann lernt man das auch nicht. Dann lernt man es nie.« Sie würde sich wünschen, dass jede Fachärztin für Gynäkologie, wenn sie ihre fünfjährige Facharztausbildung durchlaufen hat, weiß, wie man einen Schwangerschaftsabbruch durchführt.

Immer weniger Anlaufstellen

Vielleicht würde sich das auch positiv auf die insgesamt schlechte Versorgungslage in Deutschland auswirken. Vergangenes Jahr gab es laut Statistischem Bundesamt 1109 Praxen und Kliniken, in denen ungewollt Schwangere eine Abtreibung durchführen lassen können – nach der gesetzlich vorgeschrieben Beratung und Wartezeit von mindestens drei Tagen. Und die Zahl sinkt stetig. »Ich frage mich, was wir in sechs Jahren machen, wenn es nur noch 800 Praxen gibt«, zeigt sich Maeffert besorgt. Hinzu kommt, dass die Versorgung in Großstädten noch gut, auf dem Land aber wirklich schlecht ist. »Wenn sie nicht in Hamburg oder Berlin wohnen, dann haben sie fast überall Schwierigkeiten, eine Praxis zu finden«, weiß Maeffert.

Zur schlechten Versorgungslage kommt ein weiterer gesundheitsgefährdender Aspekt: Rund zwölf Prozent der Abbrüche in Deutschland werden immer noch per Ausschabung, der sogenannte Curettage, durchgeführt. »Eine Katastrophe«, findet Maeffert, denn dabei handelt es sich um eine veraltete Methode, von der auch die Weltgesundheitsorganisation abrät. Statt etwa das Schwangerschaftsgewebe abzusaugen, wird bei dieser Methode eine Art scharfer Löffel benutzt, um das Gewebe abzuschaben. Dabei können schwerwiegende Verletzungen an der Gebärmutterschleimhaut entstehen, Fruchtbarkeitsstörungen auftreten und sich das Risiko für Fehlgeburten erhöhen.

Maeffert hofft, dass in den Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch, die derzeit durch eine Kommission erarbeitet werden, auch steht, dass die Ausschabung nicht mehr durchgeführt werden sollte. Denn wenn jemand gegen diese Leitlinie handelt, kann das problematisch werden. »Aber diese Qualitätssicherung fehlte bisher in Deutschland«, so Maeffert.

Ob sich die schlechte Versorgungslage aus der dürftigen Lehre ergibt, darüber lässt sich nur spekulieren, meinen sowohl Habermann als auch Maeffert. Die Ärztin glaubt, es sei eine Mischung aus dem gesellschaftlichen Stigma, das eben auch Gynäkolog*innen trifft, und einer gewissen Bequemlichkeit, sich nicht mit dem rechtlich und politisch doch recht komplizierten Thema auseinander setzen zu wollen. »Als Gynäkologin muss ich mich mit bestimmten Themen beschäftigen, weil es nicht geht, die nicht anzubieten. Die Pille zum Beispiel.« Würde man für die Pille zur Schwangerschaftsverhütung immer an Kolleg*innen verweisen, wäre die Praxis irgendwann leer, so Maeffert. »Aber beim Schwangerschaftsabbruch geht das durch.« Gynäkolog*innen können ungewollt Schwangere »im Regen stehen lassen« und es passiert nichts. Keine Kritik, keine schlechte Bewertung, kein gesellschaftlicher Aufschrei.

Die Studentin Habermann meint auch, dass die Tatsache, dass Ärzt*innen bereits nach Paragraf 219a Strafgesetzbuch verurteilt wurden, weil sie auf ihren Webseiten informierten, welche Methoden des Schwangerschaftsabbruchs sie durchführen, abschreckend sei. Die politische Reglementierung sei mindestens mitverantwortlich, findet auch Maeffert. Sie mache es schwieriger, Abbrüche anzubieten, als sie nicht anzubieten. Gerade deswegen ist die Arbeit der MSFC und auch der »Doctors for Choice« so bedeutend. »Ganz viele wissen gar nicht, dass es eine schlechte Versorgungslage gibt«, sagt Habermann.

Umso wichtiger ist es, das Thema bereits im Studium aufzugreifen, ein Problembewusstsein zu schaffen. An der Charité in Berlin habe es fast keine Lehre zum Schwangerschaftsabbruch gegeben, inzwischen gibt es immerhin zwei Veranstaltungen, so Habermann. Dabei würden allerdings hauptsächlich politische und rechtliche Aspekte beleuchtet und die medizinischen weniger. »Es ist trotzdem eine große Veränderung«, sagt die Studentin, die auch deutschlandweit einen Wandel im Umgang mit dem Thema sieht. »Wir haben als MSFC nie gefordert, dass der Papaya-Workshop Teil des Curriculums ist, sondern einfach das Thema an sich. Das wäre schon ein großer Fortschritt, denn das ist definitiv unterrepräsentiert.«

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