Heilsbringer Technik?

Für eine nachhaltige Nutzung der Meere und Ozeane sind auch technologische Ansätze gefragt. Alle Probleme lösen werden sie jedoch nicht

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Ozeane sind das größte Ökosystem der Erde. Gleichzeitig erfüllen sie wichtige Funktionen für uns und unseren Planeten: So nehmen sie einen Großteil der Sonneneinstrahlung und rund ein Drittel der anthropogenen Kohlendioxidemissionen auf. Auch stellen sie für die Menschheit eine wichtige Proteinquelle dar und ermöglichen es, Waren in alle Welt zu transportieren. Wie lassen sich Ozeane und ihre Ressourcen nutzen und zugleich schützen, zumal wenn die Zahl der Menschen und ihre Bedürfnisse weiter wachsen?

Auf ihrer Konferenz »A boost for sustainable sea and ocean solutions« - Auftrieb für nachhaltige Lösungsansätze für Meere und Ozeane - präsentierten die weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung, die Fraunhofer Gesellschaft und ihre europäischen Partnerorganisationen vergangene Woche eine Vielzahl ihrer Forschungsprojekte. Der Fokus lag dabei auf Offshore-Energie, Aquakulturen und der Entfernung von Plastikmüll aus Fluss und Meer. Die Veranstaltung stand im Kontext der im Juni eröffneten UN-Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung.

Speziell in Nord- und Ostsee ist der Sektor der Offshore-Windanlagen in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur waren Ende 2020 rund 1500 deutsche Windräder in Nord- und Ostsee gemeldet, die insgesamt 7,7 Gigawatt (GW) Strom lieferten. Damit deckten sie knapp fünf Prozent des deutschen Stromverbrauchs. Laut dem europäischen Windenergieverband WindEurope erzeugten alle Offshore-Windgeneratoren des Kontinents im selben Jahr 25 GW Strom. Spitzenreiter ist dabei Dänemark.

Wenig weiß man noch zu der Haltbarkeit der Fundamente und der Anlagen selbst im Meer. In diesem Kontext lassen sich zwei der vorgestellten Projekte sehen: Das Fraunhofer IWES analysiert mittels eines seismischen Mehrkanal-Messsystems den Untergrund möglicher Standorte für Offshore-Windanlagen, um Risiken bei einer Installation zu minimieren. Das Technische Forschungszentrum Finlands Ltd. (VTT) forscht seinerseits daran, wie Bewuchs und Korrosion der Energieanlagen verhindert werden kann.

Grüne Forschung an Aquakulturen

Weltweit verzeichnen Aquakulturen enorme Wachstumsraten. Über die Hälfte aller verzehrten Meeresprodukte stammen heute aus diesem Sektor. Dabei gerät speziell die Zucht von Raubfischen in die Kritik, da sie ganz oben in der Nahrungskette stehen. Ihr Bedarf nach fischhaltigem Futter erhöht noch den Druck auf die Wildfischpopulationen. Thilo Maack, Meerescampaigner von Greenpeace Deutschland, spricht von einer Veredelung von Eiweiß statt Eiweißproduktion. »Von den Auswirkungen dieser Massentierhaltungen ganz zu schweigen: Ihre Fäkalien verschmutzen ganze Fjorde, hinzu kommt der Einsatz von Chemikalien«, kritisiert er.

Zumindest ist es Wissenschaftler*innen gelungen, den Anteil von Fischmehl und -öl im Fischfutter stark zu senken. Laut Monika Weiß vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung, die nicht an der Konferenz teilnahm, sind es in gut komponiertem Lachsfutter nur noch 15 Prozent. Weil aber der Aquakultursektor so schnell wächst, fließt immer noch der größte Teil der Fischmehlproduktion dorthin. Als Ersatz dient in der Regel gentechnisch verändertes Soja. Bei deren Anbau kommen Totalherbizide zum Einsatz, und die Pflanzen wachsen auf Flächen, für die tropischer Regenwald gerodet wurde - nachhaltig ist auch das nicht.

Weiß untersuchte deshalb in zwei Forschungsprojekten die Verwendung heimischer Hülsenfrüchte. Erfolgreich erwies sich die Verfütterung von Lupinen an Shrimps: »Bei einem Anteil von zehn Prozent wuchsen die Tiere sehr gut«, berichtet die Biologin. »Sehr interessant war, dass die Lupine positive Effekte auf das Immunsystem zu haben scheint« - gerade in Gefangenschaft, bei hohen Dichten ein großer Pluspunkt. Die Wolfsbarsche vertrugen sogar Futter mit 30 Prozent unbehandeltem Lupinenmehl noch sehr gut. In einem weiteren Versuch, der noch in der Auswertung ist, ersetzten Weiß und Kolleg*innen den Sojaanteil im Lachsfutter komplett durch Lupinen und Ackerbohnen. »Das hat ebenfalls sehr gut funktioniert, nur ganz ohne Fischmehl ist das Wachstum wieder eingebrochen«, sagt sie.

Eine Möglichkeit, nachhaltig Meeresprodukte zu produzieren, ist, Arten zu züchten, die möglichst nahe am Beginn der Nahrungskette stehen, wie Muscheln oder Algen. So hat das baskische Wissenschafts- und Technologiezentrum AZTI offshore eine Langleinen-Zucht von Mittelmeer-Miesmuscheln erprobt. »Der (gewählte) Ort liegt 3,2 Kilometer vor der (baskischen) Küste in einer Tiefe von 35 bis 50 Metern«, erklärt Izaskun Zorita, die an dem Projekt mitgearbeitet hat. »Studien der letzten zehn Jahre bestätigten die technologische, biologische und ökologische Durchführbarkeit der Muschelzucht im Offshore-Bereich.« In Folge sei dort ein kleiner Betrieb entstanden, der seit einem Jahr Muscheln verkaufe. Für diesen kontrolliert AZTI heute die Produkte auf Biotoxine und Verunreinigungen mit Bioplastik. Weitere Betriebe könnten folgen, eine Erweiterung auf andere, gewinnbringendere aber ebenfalls in der Nahrungskette unten stehende Arten wie Austern sei angedacht.

Roboter gegen Plastikmüll

Ein großes Problem für die Gesundheit der Meeresökosysteme stellt die Plastikverschmutzung dar. So wird vielerorts darüber nachgesonnen, wie speziell die größeren Objekte abgefischt werden können. Dabei gewinnen roboter- und drohnenbasierte Ansätze zunehmend an Bedeutung. Auf der Fraunhofer-Konferenz wurden gleich mehrere solcher Forschungsprojekte vorgestellt: So hat das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen in Hamburg ein System autonomer Roboter entwickelt, das den Meeresboden von Plastikmüll reinigen soll, denn der Einsatz von Tauchern ist, laut Michael Thurm, Physiker am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Rostock, teuer und gefährlich.

Jukka Sassi vom VTT und ihr Team untersuchen währenddessen, wie mittels multisensorischer Bildverarbeitung Monitoring-Daten über Plastikmüll in Flüssen und Küstengewässern geliefert werden können. Nicht von ungefähr: Rund 80 Prozent des Plastikmülls, der in den Ozeanen landet, werde über die Flüsse ins Meer transportiert. Die optischen Sensoren können in eine Drohne oder in eine feste Installation montiert werden. Labortests und erste Feldversuche seien bereits erfolgreich abgeschlossen.

»Bezüglich der Datenanalyse ist die Hauptherausforderung, wie wir Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen so einsetzen können, dass diese automatisch erfolgt und wir die Daten den Endnutzern in brauchbarer Form zur Verfügung stellen können«, erklärt der finnische Wissenschaftler. Ein weiteres Problem bestehe noch darin, die Drohne mit den Sensoren zu bestücken. »Dies betrifft zum Beispiel die Stromversorgung der Sensoren, die Datenspeicherung oder die Online-Überwachung der Messungen«, so Sassi. Keine der bekannten Methoden taugt für Mikroplastik. »Dieses befindet sich in der Größenordnung von Plankton. Will man das herausholen, fischt man auch alles andere mit heraus«, erklärt Thurm.

Insgesamt muss man sich die Frage stellen, ob sich so große Probleme wie die Vermüllung der Ozeane, Hunger oder der Klimawandel allein mit innovativen Technologien lösen lassen. Sassi verneint diese Frage. Bezüglich des Plastikmüllproblems vertritt er die Meinung, dass über Monitoring und Abfischen von Makroplastik hinaus, Plastikmüll, wo es geht, vermieden werden muss. Er plädiert dafür, erdölbasierte Polymere zu ersetzen, Einwegplastik zu reduzieren und für eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffprodukte.

Auch Maack betont, man müsse das Plastikproblem bei der Wurzel packen und die Plastikproduktion runterfahren. Auch unser Fischkonsum müsse sich deutlich reduzieren. Offshore-Windenergie sieht er zwar als wichtigen Bestandteil der Energiewende, einen Bau neuer Anlagen in Schutzgebieten lehnt er jedoch ab, da sie wichtige Rückzugsgebiete für Seevögel, Schweinswale und andere Tiere darstellen. Je kleiner unser ökologischer Fußabdruck, desto weniger werden wir uns mit Flächennutzungskonflikten plagen müssen.

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