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  • Perspektiven für Sozialismus

Osten plus Sozialismus macht Perspektive

Nach Hause gehen, Hegel und Lenin lesen, von vorne anfangen: Die nächsten Aufgaben linker Politik - ein Kommentar

  • Detlef Kannapin
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem Philosophen Slavoj Žižek wird folgende Äußerung zugeschrieben. Frage: Was machen Linke, wenn sie verloren haben? Antwort: Sie gehen nach Hause, lesen Hegel und fangen wieder von vorne an. Vom Schriftsteller Dietmar Dath ist die leninistische Wendung überliefert, wenn wirksame (politische) Mittel gefunden sind, sie aufzugeben kein Fortschritt sein kann. Gemeint ist damit vor allem Bewusstseinsbildung. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die vom kapitalistischen Alltag gebeutelten Individuen irgendwann nach Feierabend sich daran machen, über ihre gesellschaftliche Lage reflektierend nachzudenken. Wenn linke Politik wirklich gesellschaftsverändernd sein soll, dann bedarf es dazu eines Verständnisses der Sorgen und Nöte der sogenannten »kleinen Leute«, das Sprechen ihrer Sprache und ein Argumentationsverhalten, das ideologische Vernebelungen und gesunden Menschenverstand gleichermaßen berücksichtigt.

Hegel und Lenin stehen für die nächsten Aufgaben linker Politik in allerengstem Zusammenhang. Vernunftbegriff und Staatsauffassung von Hegel, Parteilichkeit und strategisches Denken von Lenin sind zwingend zu rekapitulieren und zu aktualisieren, will linke Politik in Zukunft ernst genommen werden und Eingriffsmöglichkeiten zurückerobern. Klarer Kurs, klarer Standpunkt und klare Zielvorstellungen müssen her, um den von den spätimperialistischen Zumutungen unserer Tage geschlagenen Individuen zunächst einmal ihre Stimme zurückzugeben und von hieraus einen alternativen Weg aufzuzeigen, der tatsächlich den Kapitalismus als Wirtschafts- und Lebensform überwinden hilft.

Hierzulande sind dafür zwei Erkenntnisse von entscheidender Bedeutung. Erstens: Die strukturelle, parteiliche und kulturelle Rückbesinnung auf den Osten. Dabei geht es nicht um lokale Borniertheit, sondern um die Einsicht, dass auf dem Gebiet der DDR (»es gibt keine ehemalige DDR«, sagt die von Henry Hübchen gespielte Figur Carsten Zelewski in dem Film »Die Nachrichten« von 2005) eine über ein halbes Jahrhundert gewachsene Sozialstruktur entstanden ist, die sich nicht nur signifikant vom kapitalistischen Effizienzdenken unterschied, sondern die auch viele Elemente dessen (wenn auch vielleicht unzureichend) vorbereitet hat, was als sozialistische Eigenverantwortung, als Eigenerfahrung und Eigensinn in zukünftige Modelle gesellschaftlicher Selbstbestimmung eingehen kann. Spätestens, als die zweite »Allianz für Deutschland« in einem der Wahlkämpfe damit begann, ihre Wahlplakate mit dem Slogan »Ernst Thälmann würde AfD wählen« auszustaffieren, da hätten - im Jahr 2017 - bei allen Linken die Alarmglocken schrillen müssen. Wenn es so etwas wie eine Ost-Identität gibt, dann lässt sich diese aus einer quantitativen Minderheitenposition nur verteidigen, wenn man sie mit ihrer sozialistischen Tradition pflegt und immer wieder auffrischt.

Damit wesentlich verbunden ist auch die allgemeine Sozialismusfrage. Denn zweitens: Was soll linke Politik sein, wenn sie sich nicht den Sozialismus und den Kommunismus als mittel- und langfristige Ziele stellt? Es mag ja sein, dass die Pfade dorthin unterschiedlich und die Auseinandersetzungen hart sind, aber in einem darf ganz bestimmt nicht gezaudert werden: Dass man den Sozialismus will! Und dieser ist ohne die produktive und progressive Annahme der bisherigen Sozialismusvarianten seit 1917 mit Sicherheit nicht zu realisieren, denn das schlösse die gesamte Vorarbeit in den historischen Klassenkämpfen aus und würde überdies mit dem Vergessen den an sich schon übermächtigen Manipulationen der herrschenden Klassen Tür und Tor öffnen, nicht nur hinsichtlich der Zurichtung auf eine ressourcenfressende Lebensweise, sondern auch und gerade in Bezug auf die ständig erklärte Vergeblichkeit jeglicher Bemühungen, eine menschliche Gesellschaft zu errichten. Erst wo der Begriff Solidarität Verfassungsrang besitzt, ist der Weltgeist am Ziel.

Kurzum: Osten plus Sozialismus schaffen die notwendige Perspektive im sozialen Zusammenleben, ohne die jede Gesellschaft dem Verfall preisgegeben ist und ihre Mitglieder zur Ohnmacht verurteilt sind.

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