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  • Kurdisches Filmfestival Berlin

Widerständigkeit als Normalität

Das Kurdische Filmfestival Berlin nimmt dieses Jahr den Süden Kurdistans in den Blick

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Das diesjährige Festival legt seinen Fokus auf den Süden Kurdistans. Warum?
Jedes Jahr fokussieren wir uns auf einen anderen Teil Kurdistans. Der Süden ist wichtig, weil seine Bedeutung für die Filmindustrie gerade zunimmt. Wahrscheinlich auch wegen der politischen Aufmerksamkeit in den letzten Jahren zieht die Region immer mehr internationale Filmemacher*innen und Produktionen an. Da dies die autonome Region Kurdistans ist, findet dort statt, was in anderen Teilen zensiert, sabotiert und unterdrückt wird. Man sieht viele kurdische Filme, die sich mit dem Norden oder zum Beispiel Rojava im Westen beschäftigen, die aber im Süden gedreht sind. Aber natürlich hat der Süden auch seine eigenen Themen.

Was sind Themen des Südens – und wie spiegeln sie sich im Programm wider?
Ich glaube, der Heimatverlust spielt eine ganz große Rolle – gerade in Bezug auf die Migrationsbewegungen der 1980er und 1990er. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Filmemacher*innen, die jetzt in Europa leben und größere Kinofilme machen, in dieser Zeit aus der Region geflohen sind. Im Programm zeigt sich das beispielsweise im Film »Kilomètre Zéro« von Hiner Saleem oder auch in seinem Film »Après la Chute« von 2009. Gerade in unserem Fokusprogramm erlauben wir uns, auch ältere Filme zu zeigen. Das Thema Heimat spielt auch für junge Filmemacher*innen aus der zweiten Generation der Diaspora eine Rolle. Der Dokumentarfilm »Paradies! Paradies!« von Kurdwin Ayub zeigt das. Darin kauft der Vater eine Wohnung in Kurdistan, die Tochter kommt mit. Es gibt ein paar komische Momente, in denen sie sich fremd fühlt, aber sie erkennt auch Aspekte aus ihrer Erziehung wieder. Politisch spielen in den Filmen außerdem der Sturz von Saddam Hussein und der Irakkrieg eine zentrale Rolle.
Der Eröffnungsfilm »The Exam« (Ezmûn) des kurdischen Regisseurs Shawkat Amin Korki handelt von einer jungen Frau vor einer großen Aufgabe.

Interview
Kani Marouf ist Filmemacherin und seit diesem Jahr künstlerische Leiterin des Kurdischen Filmfestivals Berlin. Die geborene Saarbrückerin hat im Bachelor Visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar studiert. 2015 war sie Mitbegründerin des Design- und Researchstudios Versus Eternity, das sich mit der Zerstörung mesopotamischen Kulturerbes beschäftigt. Seit 2021 ist sie Teil der Filmproduktionsfirma und des Filmverleihs Mîtosfilm mit Schwerpunkt auf jungem Nahost-Kino. Mîtosfilm veranstaltet das Kurdische Filmfestival Berlin.
Mit Kani Marouf sprach Inga Dreyer.

Was ist das für ein Film?
Es ist ein Film, der die Innenperspektive weiblicher Realität in Kurdistan zeigt und nicht unbedingt die politisch angenehme, die auch in Europa gerne zelebriert wird. Im Süden Kurdistans lebt es sich eher in einem strengen Patriarchat. Eine der beiden Schwestern in dem Eröffnungsfilm ist unglücklich verheiratet und weiß, dass die einzige Chance für die jüngere Schwester, diesem Schicksal zu entgehen, der Besuch einer Universität ist. Sie versucht, die Jüngere vor der Zwangsverheiratung zu bewahren. Die beiden verstricken sich in einem Netz von Korruption.

Welche Beziehung haben Sie selbst zur kurdischen Kultur und zum kurdischen Film?
Ich bin selbst Filmemacherin, meine Familie kommt aus Südkurdistan, und ich bin in Saarbrücken geboren. Früh habe ich mich gezwungenermaßen mit dem Thema beschäftigen müssen – so, wie es jede*r Migrant*in geht. Filmisch kam ich durch mein Interesse an dem visuellen Medium zur Auseinandersetzung mit Kurdistan. Da ich selbst aus dem Süden komme, hoffe ich, dass ich das Programm auf junge Filmemacher*innen lenken konnte, die gerade verstärkt von gesellschaftspolitischen Themen abrücken und anfangen, ein Genrekino aufzubauen. Wir haben im Kurzfilmwettbewerb auch Thriller und Komödien. Das junge kurdische Kino versucht sich gerade in alle Richtungen zu bewegen.

Sie haben das Design- und Researchstudio »Versus Eternity« mitbegründet. Was hat es damit auf sich?
Das ist während meines Studiums zusammen mit Michael Weber in Weimar entstanden. Wir haben die Zerschlagung von Nimrud in den Nachrichten gesehen. Ich war davon besonders berührt, da es Bilder aus der Heimat waren und plötzlich das ganze mesopotamische Kulturgut in Schutt und Asche lag. Die Trauer war immens, und so haben wir uns entschlossen, dem Gedenken von zerstörtem Kulturgut künstlerisch eine Stimme zu geben. Je mehr wir uns damit beschäftigt haben, desto mehr haben wir gemerkt, dass das offensichtlich vor allem den Westen ins Mark trifft. Vor Ort ist es auch schlimm, aber es gab lebendigere Orte als diese antiken Stätten, die zerstört wurden und die im Westen keine Aufmerksamkeit bekommen haben. Wir haben uns dann mit der Zerstörung von Kulturgut als politische Reaktion gegen den Westen auseinandergesetzt. Im Zuge dessen sind filmische und grafische Arbeiten entstanden.

Was sind Aspekte von kurdischer Kultur, die im Westen weniger bekannt sind oder die bestimmten Vorstellungen widersprechen?
Aktuell gibt es im politischen Diskurs ein sehr besänftigtes und verschönertes Bild der Freiheit von Frauen in Kurdistan. Der Kampf ist sehr präsent, deshalb gibt es die bewaffnete kurdische Miliz YPG und die Frauenbewegung, die sich kämpferisch gegen ein patriarchales System wehren. Mein Eindruck ist, dass das in einer künstlerisch-kulturellen Nische hierzulande zu einer Sentimentalisierung geführt hat. Als ob dort alles gut und frei ist.
Ich glaube, das Festival ist in diesem Jahr besonders interessant, weil wir hier im Westen selbst eine Krise erlebt haben. Das kommt dem Kurdischen schon ganz nah. Kurdischsein ist immer ein Stück weit Widerständigkeit als Normalität zu empfinden, im Angesicht der Krise. Das spiegelt sich im Festivalprogramm, aber auch in der Art und Weise, wie viele der Filme produziert wurden. Dass es sehr heikel sein kann, politisch repressive Regime darzustellen, zeigt zum Beispiel der Film »Brother’s Keeper« und versteht sich als eine Parabel zum politisch repressiven Regime der heutigen Türkei. Diese ganzen Einschränkungen führen zu einer spannenden neuen Filmkultur. Kurd*innen sind eine der größten migrantischen Gruppen in Deutschland. Deswegen finde ich es unerlässlich, wenn uns in Deutschland interessiert, was diese Menschen bewegt.

Wie kann man die Filme sehen?
Man kann auf den Webseiten der Kinos Moviemento, FSK und Babylon Kinotickets kaufen, wenn man die Filme auf der großen Leinwand sehen will. Nach den Vorstellungen gibt es häufig Fragerunden mit den Filmemacher*innen. Online kann man sich einen Festivalpass für 24 Stunden, für sieben oder für 30 Tage kaufen. Auf diese Weise wollen wir auch die kurdische Community im Rest des Landes erreichen. Wir sind eines der größten kurdischen Filmfestivals in Europa, deshalb haben wir eine gewisse Verantwortung, kurdischen Film sichtbar zu machen. Und natürlich hoffen wir auch auf Zuschauer*innen aus Kurdistan.

11. Kurdisches Filmfestival Berlin: 14. bis 20. Oktober im Moviemento, FSK und Babylon in Berlin sowie online als Streaming-Angebot. Mehr Infos unter: kurdisches-filmfestival.de

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