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Gedächtnis geht, Unruhe kommt

Ein Verein in Bayern bietet dementen Menschen und ihren Familien Begleitung und Beratung

  • Renate Wolf-Götz
  • Lesedauer: 6 Min.

In Deutschland leben etwa 1,7 Millionen Menschen mit Demenz. Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft kommen täglich 900 Neuerkrankungen hinzu. »Demenz ist eine Krankheit, die nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren familiäres Umfeld stark fordert«, sagt Andrea Birner. Für die gerontopsychiatrische Fachkraft, die den Verein Füreinander e.V. in Utting am oberbayerischen Ammersee leitet, steht deshalb fest: »Wenn sich das Leben eines älteren Menschen durch körperliche und geistige Einschränkungen verändert und Unterstützung notwendig wird, braucht es eine Beratung für die ganze Familie.«

Immerhin werden zwei Drittel der an Demenz Erkrankten zu Hause von ihren Angehörigen betreut. Das sei alles andere als selbstverständlich in den veränderten Lebenswelten heute, so Birner, die das von der Fachwelt bundesweit gepriesene Leuchtturm-Projekt maßgeblich geprägt hat. Während einst Mütter und Töchter ganz selbstverständlich für die Pflege zuständig waren, stünden sie heute in ihrem beruflichen Alltag nur noch begrenzt zur Verfügung. Auch mit den Kindern sei kaum zu rechnen. Sie wohnen oft zu weit entfernt, um ihre betagten, an Demenz erkrankten Eltern betreuen zu können. »Kulturgeschichtlich sind wir auf die Herausforderungen, die unsere älter werdende Gesellschaft an uns stellt, noch gar nicht vorbereitet«, gibt Birner zu bedenken. »Da ist es sehr hilfreich, von einem neutralen Verein wie unserem beraten und unterstützt zu werden«.

Die Beratung der Angehörigen bezieht sich nicht nur auf den Umgang mit einem dementen Familienmitglied, bei dem das logische Denkvermögen und die intellektuellen Kräfte zusehends schwinden. Auch über die gesetzlichen Regularien zur Unterstützung dementer Personen klärt der Verein auf. »Häufig fühlen sich Betroffene schon von der Fülle an Informationen überfordert.« Als Beispiel nennt Birner das erweiterte Pflegestärkungsgesetz PSG II, das auf die Förderung der Selbstständigkeit von Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen zielt. Damit sollen Betroffene nach Möglichkeit länger zu Hause unterstützt werden. Der gesetzliche Anspruch auf einen Zuschuss für unterstützende Hilfe von außen sei ein guter und hilfreicher Ansatz.

Ein anderes Thema sei aber, eine geeignete Betreuung zu finden. »Demenz wirkt sich bei jedem Menschen individuell aus«, betont die engagierte Vereinschefin. Da spiele das bisherige Leben mit den unterschiedlichen Erfahrungen oder auch Ängsten der Betroffenen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wichtig sei vor allem, die noch vorhandenen Fähigkeiten gezielt zu fördern. »In der Demenz verlieren die Betroffenen fortschreitend den Kontakt zur eigenen Identität«, erklärt Birner. Häufig verhielten sie sich extrem unruhig. Für Betreuende von außen stellt sich immer wieder die Frage: »Was hat der Betroffene erlebt, was treibt ihn um?« Am Beispiel eines dementen und fast pausenlos von innerer Unruhe getriebenen Mannes habe sich gezeigt, dass er sich nach seinem Wald sehnt, in dem er selbst Bäume gepflanzt hatte und der eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hat. »Wir haben dann eine Begleitung für Waldspaziergänge organisiert, auf denen er zurückfand zu Momenten innerer Ruhe«, so Birner.

Mit den zunehmend kognitiven Beeinträchtigungen, begleitet von einer schwindenden emotionalen Kontrolle und nachlassender Motivation, Kontakte und letztendlich sich selbst zu pflegen, sollte man demente Menschen nicht alleinlassen. Mit einfachen Tätigkeiten etwa im Haushalt könnte man sie ins Leben integrieren.

Auch an Utensilien für gezielte Beschäftigungen herrscht kein Mangel. Da lasse sich ein regelrechter Boom beobachten, sagt die Fachfrau. In ihrem Verein sind Mandalas besonders beliebt. Die einfachen Muster, die zum Ausmalen motivieren, fördern die kognitiven Fähigkeiten. In einigen Einrichtungen kommen auch sogenannte Tovertafeln zum Einsatz. Die in den Niederlanden entwickelten und in der Demenztherapie an der Universitätsklinik Mannheim eingesetzten »Zaubertafeln« werden beispielsweise auf eine Tischplatte projiziert und sollen dazu anregen, den flüchtigen Figuren zu folgen und sie zu berühren.

Auch bei diesen Übungen sollten demente Menschen nicht sich selbst überlassen werden. »Zum Glück«, freut sich Birner, »verfügen wir über einen großen Schatz an Alltagsbegleitern und Demenzhelfern.« Der Gesetzgeber bezuschusst die Hilfspersonen mit monatlich 125 Euro, sofern ein Pflegegrad bei den jeweiligen Hilfsbedürftigen vorliegt. Eine weitere Bedingung für den Zuschuss ist eine gezielte Ausbildung und kontinuierliche Betreuung der ehrenamtlichen Helfer durch eine anerkannte Einrichtung wie dem Verein Füreinander e.V.

Zum Uttinger Verein Füreinander e.V. gehört auch der Bürgertreff »17&Wir«. »Das ist der sichtbare Bestandteil unseres Konzeptes«, sagt Birner. Ein gutes Beispiel hierfür sei der Senioren-Mittagstisch jeden Mittwoch. Das Essen wird, soweit möglich, von den Senioren gemeinsam zubereitet, der Tisch dekorativ gedeckt und anschließend zusammen gegessen. Das gemeinschaftliche Essen sei dabei genau so wichtig wie das gemeinsame Zubereiten, denn dabei würden Kompetenzen erhalten, die sonst schnell verloren gehen.

»Wir haben hier schon Menschen erlebt, die wussten nichts mehr mit einer Gabel anzufangen«, erzählt Birner. Ein Zeichen dafür, dass ihnen aus Mangel an Zeit oder Geduld viel zu viel abgenommen wird. Außerdem sei das gemeinsame Essen die beste Gelegenheit, mit den Senioren ins Gespräch zu kommen, so die agile 60-Jährige. Dabei werde auch ihre Freude spürbar, am Leben teilhaben zu können. Allein und isoliert zu sein verunsichere alte Menschen. So ist es auch kaum verwunderlich, dass Depressionen im Alter zunehmen. Nach Ansicht der gerontopsychiatrischen Fachfrau müsste es mehr Angebote für regelmäßige Seniorentreffen geben. »Bei den gemeinsamen Aktivitäten und Gesprächen können wir Veränderungen bei den Senioren eher wahrnehmen und rechtzeitig Unterstützung anbieten«, betont sie. Durch den Zusammenschluss von Verein und Bürgertreff seien die Wege kurz, wenn sich Merkmale einer Demenz beobachten lassen.

Mit den Leistungen der Pflegekassen kann der Verein Füreinander e.V. derzeit 29 Seniorinnen und Senioren regelmäßig betreuen. »Aus Mangel an Hilfskräften rufen viele Einrichtungen diese Leistungen gar nicht ab«, bedauert Birner. Aus ihrer täglichen Erfahrung weiß sie, dass die Probleme unserer alternden Gesellschaft künftig eine noch größere Herausforderung darstellen werden. Deshalb ist sie froh, dass ihre Gemeinde vor zehn Jahren die vorausschauende Entscheidung getroffen hat, nach der Anschubfinanzierung durch das Deutsche Hilfswerk den Verein Füreinander e.V. weiterhin zu fördern. »Damit sind wir heute in der glücklichen Lage, Senioren und deren Familien individuell zu beraten, zu unterstützen und im Pflegealltag zu begleiten«, so die Leiterin des Vereins. In diesem Bereich sei Utting seiner Zeit voraus gewesen. Ambulant vor stationär ist inzwischen auch das Ziel der Politik. Doch dieses Ziel lasse sich nur mit der nötigen Infrastruktur umsetzen.

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