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Auf dem Ascheplatz
Lutz Seiler schreibt Heimatlyrik der wohltuenden Art
Zuerst siehst du die blätter, die vollkommen / unverständlich winken mit / ihren bleichen innenseiten. jeder baum / spielt jetzt den clown mit tausend / ungelenken händen …« Nachdem sich Lutz Seiler in zwei Romanen mit der finalen Phase der DDR und der Wende beschäftigt hat, kehrt er in »schrift für blinde riesen« ins gewohnte Lyrikhabitat zurück.
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Lutz Seiler: schrift für blinde riesen: Gedichte. Suhrkamp, 112 S., geb. , 24 €.
Und zack! - nimmt er uns huckepack mit nach Thüringen, ins heimatliche Waldstadion, wo er beim lokalen Bolzclub Traktor Langenberg auf dem Schlackeplatz debütierte und anschließend die Knaben-, Schüler- und Juniorenteams durchlief - »waldstadion traktor langenberg«: seit dem sturz trag ich das mal / der aschenbahn in meiner hand, ich / nannte es den schlangenbiss / jeder wusste, woher, aus / welcher grube diese schwärze / kam & lange wusch ich die wunde /im bach.» Womöglich erlebte er beim Mannschaftssport Momente gemeinsamen Glücks?
Ein paar Seiten weiter serviert er Brot wie Wein in seinem Heimatdorf. Wir begegnen seinem Ahnenapparat und lauschen seinen Toten, wir durchstreifen Brandenburgs Kiefernwälder und stolpern über loses Wurzelwerk. Seiler sagt: «Der Hallraum eines Gedichts sollte nicht kleiner sein als der eines Romans. Jedes gute Gedicht kann der gestische Kern eines Romans sein und die Verbindung herstellen zum Ursprung des Genres: zum Epos und zu seinem Gesang.»
Das liest sich gelehrt, fast gestelzt, ist aber immer auf den Punkt genau. Mir war es, als schlüpfte ich in Krusos Haut und pirschte mich zur blechernen Musik von Feeling B durchs Unterholz, dem Helden seines Debütromans von 2014. Die Wucht der Seiler’schen Bildwelten - «passepartout menaggio»: ja, ich wollte beichten, aber / etwas summte in der zunge wie von stumm / gestellten telefonen. das leben hier: es gleicht / dem knirschenden der käfer am / grund der sakristei. dem hinkenden der hunde / zu den mittagsstunden. bergab / der matte glanz des fleischwolfs durch / ein seitenfenster, grand hotel - mühsam / die notizen …«.
Lutz Seiler bewegt sich souverän in seinem Sprachraum und bläst uns abseits aktueller Moden den Marsch, der mal zur Hochzeit, mal zur Beerdigung führt. Nimmer moralisierend und niemals bemüht, auf Teufel komm raus das sogenannte Richtige zu verkünden, ist Seilers Sprache gut abgehangen, der Sound knorke bis berauschend. Schönster Satz in diesem Buch: »seltsam ist, wie meine schiffsgedanken immer noch auf kiefernrinde reisen.«
Wer »Kruso« liebte und »Stern 111« einsaugte, wie ich es tat, wird an den neuen Gedichten Seilers seine Freude haben und insgeheim die Brille für den nächsten Roman des einstigen Jugendfußballers von Traktor Langenberg putzen.
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