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Unverkäufliche Würde
Am Sonntag erhält Tsitsi Dangarembga aus Zimbabwe den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Eine nicht ganz junge Frau mit guter Ausbildung lässt es sich nicht mehr gefallen, ausgebeutet zu werden. Sie bezahlt diesen Anspruch mit langer Arbeitslosigkeit, Verelendung, Wahnvorstellungen und psychischer Erkrankung. Endlich bekommt sie eine zweite Chance. Sie steigt wieder auf, kommt in eine Position, die sie nur halten kann, wenn sie selbst zur Ausbeuterin wird.
Ein solcher Romanplot kann heute fast überall in der globalisierten Welt spielen. Und doch ist es erstaunlich, dass »Überleben« in Zimbabwe spielt, einem Land, über das wir kaum mehr wissen, als dass seine Entwicklung nach der Unabhängigkeit besonders schwierig verlief: Der als Marxist geltende Präsident Robert Mugabe regierte zunehmend diktatorisch und lavierte das Land in eine wirtschaftliche Dauerkrise hinein, aus der es auch nach der Enteignung weißer Großfarmer nicht herausfand. Tsitsi Dangarembga, Filmemacherin und Autorin aus Zimbabwe, die den diesjährigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält, schreibt gegen das Image des hoffnungslos Hinterwäldlerischen an, das westliche Medien ihrem Land aufdrücken. Sie kritisiert es jedoch aus einer anderen Perspektive: Zimbabwes Probleme rühren nicht daher, dass es sich zu wenig, sondern zu viel dem Westen angepasst hat.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Protagonistin Tambudzai, kurz Tambu genannt, meint, gute Voraussetzungen für eine glänzende Karriere zu haben, da sie in der Endphase des Kolonialismus zu den wenigen schwarzen Mädchen gehört hatte, die in gemischten Schulen eine solide Ausbildung erhalten hatten. Nach der Unabhängigkeit bekommt sie tatsächlich einen gut bezahlten Job bei einer Werbeagentur in der Hauptstadt Harare. Sie macht jedoch die Erfahrung, dass nicht nur ihr Geschlecht, sondern auch ihre Hautfarbe weiterhin zu Diskriminierungen führt. Als sie sich wehrt, stürzt sie ab in Armut, Verwahrlosung und Psychose: Eine gnadenlose Konkurrenzgesellschaft scheint ihr keine Aussicht auf Arbeit mehr zu bieten. Allerdings will Tambu auch nicht jede Arbeit annehmen. Und ihr Elend ist nicht groß genug, um sich Essen aus Maismehl zuzubereiten, das ihr die Mutter aus dem Heimatdorf geschickt hat. Sie versucht, den kleinen Sack loszuwerden. Denn um nichts in der Welt will Tambu wieder irgend etwas mit ihrem Dorf zu tun haben. Jedoch wird ihr der Sack überall, wo sie hinkommt, nachgetragen.
Nur zufällig bietet sich ihr schließlich doch eine zweite Chance in einem Touristikunternehmen. Aber auch dessen Geschäftsgrundlage läuft auf eine Perpetuierung der ehemaligen Machtverhältnisse zwischen der kolonisierenden und der kolonisierten Welt hinaus. Tambu erhält den Auftrag, in ihrem bettelarm gebliebenen Dorf Vorrichtungen zu treffen, damit es von europäischen Globetrottern besucht werden kann. Sie lässt sich darauf ein, macht aber eine beschämende Erfahrung: Es gibt hier Menschen, die fast nichts besitzen, sich aber ihre Würde nicht abkaufen lassen. Allerdings fragen auch sie sich, was ihnen der neue Staat gebracht hat. Die alten Kampflieder, die Unabhängigkeit forderten, wurden umgedichtet mit der Forderung nach Jobs.
Das Bestehen auf die Unantastbarkeit der Würde, ist in den Augen von Afrikaner*innen wie Tsitsi Dangarembga der bescheidene, aber doch höchst bedeutsame Gewinn der Unabhängigkeit. Hier folgt sie Hegel, dessen Fortschrittskonzept fälschlich oft als lineare sozioökonomische Entwicklung missverstanden wird. Hegel, der nicht nur Napoleon Bonapartes bürgerliche Gesetzgebung schätzte, sondern auch die von Simón Bolívar geführte Entkolonisierung lateinamerikanischer Völker begrüßte, meinte, dass das Streben der Menschen nach Befreiung von Bevormundung immer weniger unterdrückt werden kann und sich mit der Zeit verallgemeinern würde. Genau das zeigt sich auch in Zimbabwe: In Tambus Dorf haben sich - trotz der »Diktatur« des »alten Fossils« Mugabe - verschiedene Selbstverwaltungsstrukturen entwickelt, insbesondere auch Interessenvertretungen der Frauen.
Der Roman »Überleben« ist der letzte Teil einer auf autobiografischen und familiären Erfahrungen Dangarembgas beruhenden Trilogie, von der auf Deutsch bislang nur der 1991 erschienene erste Teil »Der Preis der Freiheit« vorlag, jetzt unter dem Titel »Aufbruch« neu herausgegeben. Hier wurde geschildert, wie sich die Shona-Mädchen Tambu und ihre Cousine Nyasha eher schlecht als recht in einer Missionsschule zurechtfinden. Sie entwickeln beide Essstörungen.
Dangarembga, die unter anderem auch Psychologie studiert hatte, fokussierte schon in ihrem Erstling stark auf die psychischen Verspannungen und Entgleisungen, die die direkte Konfrontation der Kolonisierten mit den Kolonisierenden, insbesondere bei weiblichen Menschen hervorrief. Deren Selbstbewusstsein musste sich zugleich gegen die patriarchal geprägte eigene Welt durchsetzen. Dass das im neuen Zimbabwe ebenfalls schwierig war, lässt sich auch an den in »Überleben« geschilderten Schicksalen ehemaliger Soldatinnen des Unabhängigkeitskrieges erkennen: Sie galten als »vermännlicht« und deshalb für die Ehe ungeeignet. Auch sozial wurden sie benachteiligt, zum Beispiel bei der Ausstattung mit Prothesen.
Dangarembga kennt die afrikanische und die westliche Welt gut. Außer in England lebte sie auch in Deutschland. In Berlin absolvierte sie eine Regieausbildung und wurde zu einer der profiliertesten afrikanischen Filmemacherinnen. Auch in diesem Medium weiß sie die universellen Seiten der Entwicklung ihrer Gesellschaft und zugleich deren besondere Herausforderungen herauszuarbeiten. Ihre Kritik am auf hemmungsloses Konsumstreben orientierten neoliberalen Wirtschaftsmodell ist grundsätzlich. Dessen Scheitern offenbart sich auch in den sozialstaatlich abgepufferten westlichen Gesellschaften und hat in afrikanischen Ländern nur eine verschwindend kleine, aber hoch privilegierte Schicht hervorgebracht. Auch dort erzeugt der Neoliberalismus schwere Psychosen.
Tsitsi Dangarembga macht sichtbar, dass auch aus ökologischer Sicht Fortschritt nur möglich ist, wenn das konsumistische Modell überwunden und die ökonomische Entwicklung der ganzen Gesellschaft ins Visier kommt.
Tsitsi Dangarembga: Aufbrechen. A. d. Engl. v. Ilija Trojanow, Orlanda-Verlag, 280 S., br., 22 €.
Tsitsi Dangarembga: Überleben. A. d. Engl. v. Anette Grube, Orlanda-Verlag, 376 S., br., 24 €.
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