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Unangepasster Boulevardjournalismus
Wo Männer noch zusammenhalten
»Warum hat er so lange an Reichelt festgehalten?«, rätselt ein Kommentator in der »Süddeutschen Zeitung« nach der Entscheidung des Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner, den Chefredakteur der »Bild«-Zeitung zu entlassen. Wo kann sie herkommen, die tiefe Zuneigung des mächtigen Managers für den halbseidenen Hetzjournalisten?
Ein definitiv innig geteiltes Anliegen ist den beiden deutschen Leistungsträgern bekanntermaßen ihr Antikommunismus: Während Döpfner der Meinung ist, er würde im heutigen Deutschland in einem »autokratischen DDR-Regime« leben, fürchtet Julian Reichelt in der Linkspartei den »Geist der Mauermörder-SED« (Twitter) und sieht links von der »Taz« »im demokratischen Spektrum nur noch die Wand« (O-Ton im »Taz Lab«). Die Verständigung mit den sogenannten Querdenkern hingegen gehörte für Reichelt als Propagandist der deutschen Mehrheitsgesellschaft naturgemäß zum Job, und »Stolz« empfindet der bellizistische Journalistensohn über Formationsflüge der deutschen Luftwaffe. Mit diesen schönen Ansichten schmiegte sich Reichelt stromlinienförmig an den internen Leitfaden für Axel-Springer-Publikationen, insbesondere an das bedingungslose Einstehen für ein »vereinigtes Europa« und eine Ökonomie des freien Marktes.
Vielleicht haben sich der Vorstandsvorsitzende und der Chefredakteur aber auch über die Betrachtung von Döpfners Kollektion weiblicher Aktgemälde angefreundet - immerhin eine der bedeutendsten Sammlungen in Deutschland, wie die »New York Times« zu berichten wusste. Sexismus als geteiltes Hobby. Nicht dass Bilder von nackten Frauen per se sexistisch wären, aber wenn reiche weiße Männer sich gerade solche Kunstwerke haufenweise unter den Nagel reißen, scheint klar, wo der Hase langläuft. (Auch Jeffrey Epstein war schließlich bekannt dafür, seine diversen Paläste mit Darstellungen oft nackter, oft extrem junger Frauen zu dekorieren.)
Wie auch immer! Die Freihandelszone EU und der Kapitalismus jedenfalls dürften auch dem Springer-Konkurrenten Dirk Ippen Herzensanliegen sein. Soll man ihm deshalb glauben, dass er die Veröffentlichung eines Investigativberichts über Julian Reichelts sogenannten Machtmissbrauch als »Bild«-Chef verhindert hat, »um den Anschein zu vermeiden, eine journalistische Veröffentlichung mit dem wirtschaftlichen Interesse zu verbinden, dem Konkurrenten zu schaden«, wie ein Sprecher bekannt gab? Schwierig. Denn schon die oberflächlichste Anschauung der globalen Wirtschaftsaktivitäten ergibt, dass gerade diese Art von Rücksichtnahme unter Kapitalisten absolut unüblich, ja geradezu unnatürlich ist. Entsprechend verfolgen auch der Springer-Verlag und die Ippen-Mediengruppe das gnadenlose Projekt Wachstum. Springers jüngster Neuerwerb ist die US-amerikanische Zeitschrift »Politico«, Ippen Digital kaufte 2020 die Tech-Plattform Buzzfeed. Markus Knall, Chefredakteur der Ippen-Digital-Zentralredaktion mit programmatischem Namen, freute sich noch Ende letzten Jahres darüber, dass Buzzfeeds »Investigativ-Team … mit der Ippen Digital Plattform eine hohe Wirksamkeit entfalten … und noch mehr Menschen erreichen« könne (Ippen Digital).
Genau diese Funktion hätte der Reichelt-Report erfüllt - und hier soll nun plötzlich die Angst dazwischengekommen sein, dem Konkurrenten Springer zu schaden. Viel plausibler lassen sich doch auch Dirk Ippens plötzliche Gewissensbisse auf patriarchale Herrschaft zurückführen: Männerbündelei - eine Liebe, die stärker ist als die Gesetze des Marktes. Schön eigentlich, oder?
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