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Wie man aus Helfern Terroristen macht
Israels Verteidigungsminister Gantz will palästinensische Hilfsorganisationen auf Terrorliste setzen und brüskiert die Koalitionspartner
Die Kabinettsitzung der israelischen Regierung ist normalerweise Routine. Doch jene am vergangenen Sonntag endete mit einem gewaltigen Eklat. Man werde sechs palästinensische Menschenrechtsorganisationen auf die Liste der terroristischen Vereinigungen setzen, hatte Verteidigungsminister Benny Gantz am vorangegangenen Freitag angekündigt, überraschend für einige der acht Fraktionen in der Koalition. Aber nicht für alle. Denn Gantz, Vorsitzender der als zentristisch eingestuften Blau-Weiß-Partei, hatte schon lange zuvor den rechtsgerichteten Justizminister Gideon Sa’ar und Regierungschef Naftali Bennett eingeweiht, der Chef der Kleinpartei Die Rechte ist.
Man sei sauer, verstört, empört, müsse jetzt erst einmal drüber nachdenken, ob und wie es weitergehen soll, sagten nach der Sitzung indes Nitzan Horowitz, Gesundheitsminister und Vorsitzender der linksliberalen Meretz, und Merav Michaeli, Transportministerin und Chefin der sozialdemokratischen Arbeitspartei. »Wenn Gantz eine rechte Regierung will, dann soll er eine rechte Regierung bilden«, so Michaeli im Gespräch mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender KAN.
Sie dokumentieren Menschenrechtsverletzungen, bieten Inhaftierten Rechtsbeistand an, bekämpfen häusliche Gewalt und Drogenmissbrauch, setzen sich für die Rechte von Kindern und Frauen ein, unterstützen Bauern bei der Vermarktung ihrer landwirtschaftlichen Produkte. Damit könnte bald Schluss sein, denn gleich sechs palästinensische Hilfsorganisationen sollen als »terroristisch« eingestuft werden - nach dem Willen des israelischen Verteidigungsministeriums. Damit wird die Arbeit dieser Organisationen de facto unmöglich, internationale Geber werden sich hüten, sie weiter zu unterstützen. Dabei leisten diese Organisationen wichtige Arbeit für die palästinensische Gesellschaft.
Al-Haq
1979 war Al-Haq eine der ersten Menschenrechtsorganisationen überhaupt in der arabischen Welt. Gegründet von palästinensischen Anwält*innen, machte man es sich zur Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten des israelisch-palästinensischen Konflikts zu dokumentieren, was seitdem mit einer Vielzahl von Berichten und Stellungnahmen geschieht. Sowohl israelische Militäreinsätze als auch Gewaltanwendung durch palästinensische Sicherheitsbehörden werden dabei dokumentiert. Generaldirektor Schawan Dschabarin verweigern die israelischen Behörden seit 2006 die Ausreise - der Vorwurf: Er sei Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Mehrere Gerichte bestätigten den Vorwurf nach Einsichtnahme in geheime Unterlagen des Inlandsgeheimdienstes. Dschabarin und sein Anwalt durften die Unterlagen allerdings selbst nicht einsehen.
Adameer
Nach wie vor sitzen in israelischen und palästinensischen Gefängnissen viele Hundert Menschen ohne Anklage ein. Für ihre Rechte setzt sich die 1992 gegründete Organisation Adameer ein, bietet kostenfreien Rechtsbeistand und organisiert Solidaritätskampagnen. Auch die Funktionäre von Adameer gerieten bereits in die Mühlen der Justiz: 2012 und 2019 durchsuchte das Militär das Büro in Ramallah - der Vorwurf: Man sei mit der PFLP verbandelt. Doch damals wie heute bestreitet Adameer dies; Beweise wurden nicht vorgelegt und die israelischen Behörden ergriffen auch keine weiteren Maßnahmen. Allerdings: Khalida Dscharrar, die bis 2005 Direktorin von Adameer war und heute dem Aufsichtsgremium angehört, wurde 2006 für die PFLP ins palästinensische Parlament gewählt.
Bisan Center for Research and Development
Der Aufbau einer pluralistischen, demokratischen Zivilgesellschaft steht im Mittelpunkt der Arbeit von Bisan - Center for Research and Development. Dabei werden auch schwierige Themen wie häusliche Gewalt, Armut und Drogenmissbrauch in den Vordergrund gerückt. Neben der Veröffentlichung von Berichten führt Bisan auch eine Vielzahl von Projekten durch, meist mit Unterstützung aus dem Ausland. Im Juli 2021 durchsuchten israelische Soldat*innen die Räume der Organisation in Ramallah; auch hier war der Vorwurf die »Nähe zu Terrororganisationen«. Bisan bestreitet vehement, dass man sich von Gruppen wie der PFLP instrumentalisieren lasse. Unter den Aktivist*innen seien so gut wie alle politischen Ansichten und Zugehörigkeiten vertreten. Dementsprechend gehören auch einige der PFLP an oder unterstützen sie.
Defence for Children International (DCI-P)
Kinderrechte stehen im Vordergrund der Arbeit der palästinensischen Sektion von Defence for Children International (DCI-P), einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Genf, die über insgesamt 48 Ableger verfügt. Die palästinensische Sektion leistet vor allem rechtliche Unterstützung für inhaftierte Kinder und Jugendliche und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen. Im Juli durchsuchte das israelische Militär das Büro in Ramallah; offizielle Begründung war, dass man nach Unterlagen suchte, die im Zusammenhang mit Anschlägen oder Terrororganisationen stehen könnten. Nachdem 2014 ein Aktivist getötet worden war, erklärte die PFLP auf Flugblättern, dass er »seit seiner Jugend« der PFLP angehört habe. Gleichzeitig lobte man die Arbeit von DCI-P - aus dem Text ergibt sich aber nicht, dass man zusammengehört.
Union of Palestinian Women’s Committees (UPWC)
Die Union of Palestinian Women’s Committees (UPWC) setzt sich für Frauenrechte ein. Man wolle eine »demokratische, progressive Gemeinschaft frei von allen Formen der Diskriminierung aufbauen«, heißt es in der Selbstdarstellung. Mit Unterstützung vor allem aus EU-Staaten setzt man Projekte um, die die Schaffung einer demokratischen Zivilgesellschaft in den palästinensischen Gebieten erreichen sollen. Sowohl die in Palästina regierende Fatah als auch die Behörde der Vereinigten Staaten für Entwicklungszusammenarbeit USAID halten UPWC für einen Teil der PFLP. 2018 erklärte die Vizepräsidentin der Organisation, Sauhai Khader, man sei das feministische Rahmenwerk der PFLP. Khader gehört auch dem Zentralkomitee der PFLP an. Auch mindestens sechs Mitarbeiter*innen unterhalten enge Verbindungen zur PFLP.
Union of Agricultural Work Committees (UAWC)
Die Union of Agricultural Work Committees (UAWC) wurde 1986 von einer Gruppe von Agrarwissenschaftler*innen gegründet, um sich für die palästinensische Landwirtschaft einzusetzen. Ziel war es, in den ländlichen Gebieten landwirtschaftliche Kooperativen aufzubauen. Heute versucht man allerdings eher, Landwirt*innen bei der Vermarktung zu helfen und die Landwirtschaft mit Hilfe von ausländischen Geldgeber*innen effizienter zu machen. Die einstigen Gründer*innen waren Unterstützer*innen der PFLP. 2012 warf eine rechte israelische Organisation der UAWC vor, eine Front für die PFLP zu sein. Mehrere internationale Geldgeber*innen, darunter auch die australische und die US-amerikanische Regierung, wiesen die Vorwürfe nach eingehender Prüfung allerdings als »unbegründet« zurück.
Auf der Liste der sechs Organisationen, die das Verteidigungsministerium aufgesetzt hat, finden sich ausschließlich Namen, die sowohl für die israelische Öffentlichkeit als auch in der internationalen Entwicklungshilfe seit Jahrzehnten präsent sind: Al-Haq, Adameer, die palästinensische Sektion von Defence For Children International, die Union of Palestinian Women’s Committees, das Bisan Center for Research and Development sowie die Union of Agricultural Work Committees gehören zu den prominentesten unter den weit über 800 Organisationen, Gruppen und Einrichtungen, die sich in Israel und den palästinensischen Gebieten für so gut wie jede Facette der Zivilgesellschaft einsetzen.
Doch aus Sicht des israelischen Verteidigungsministeriums haben die sechs Organisationen aber auch noch ein anderes, kaum sichtbares Gesicht: Sie würden eng mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zusammenarbeiten, im Ausland eingesammelte Gelder an die in Israel, den USA und in der Europäischen Union als terroristisch eingestufte Organisation weiterleiten. In den 60er und 70er Jahren wurde die PFLP mit einer Reihe von Flugzeugentführungen international bekannt. 2001 ermordeten Angehörige des unter dem Namen Abu-Ali-Mustafa-Brigaden agierenden bewaffneten Flügels Israels Tourismusminister Rehawam Ze’ewi. Heute steht die Gruppe hinter der Hamas und dem Islamischen Dschihad eher im Hintergrund. 2014 bekannte man sich auch zu einem Angriff auf eine Synagoge in West-Jerusalem, bei dem vier Menschen getötet wurden. Israels Behörden rechnen diese Tat aber einem Einzeltäter zu.
Der letzte Anschlag, der ihr klar zugeordnet werden kann, war ein Raketenangriff im Juli 2017. Doch vieles deutet darauf hin, dass die PFLP im Hintergrund massiv an einer Ausweitung ihres Einflusses in den palästinensischen Gebieten arbeitet. Während Hamas und Islamischer Dschihad momentan ein eher distanziertes Verhältnis zur iranischen Führung haben, wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Vertreter der PFLP zusammen mit Funktionären der vom Iran unterstützten Hisbollah im Libanon und der iranischen Revolutionsgarden gesehen. Im Gazastreifen und im Westjordanland demonstrierten zuletzt im September größere Gruppen, die die Embleme der Abu-Ali-Mustafa-Brigaden und der PFLP trugen und Bilder von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in die Höhe hielten. Im Westjordanland ging die palästinensische Polizei mit Gewalt gegen die Ansammlungen vor.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Ramallah bestritten die sechs Organisationen nicht, dass es Kontakte zur PFLP gebe. Aber so klar, wie die Dinge scheinen, sind sie nicht. Fatah, Hamas, Islamischer Dschihad, PFLP und eine Vielzahl weiterer Organisationen haben immer auch eine politische und gesellschaftliche Ausrichtung. Es dürfte kaum möglich sein, praktische Arbeit in Palästina zu leisten und gleichzeitig alle potenziell kontroversen Organisationen oder Gruppen zu umgehen, zu tief sind viele der Gruppen in der Gesellschaft verwurzelt. Und so gut wie allen waren im Laufe ihrer Geschichte paramilitärische Flügel zugeordnet, von denen sich die meisten nach der zweiten Intifada zumindest offiziell unter den Befehl von Präsident Mahmud Abbas gestellt haben oder gar nicht mehr aktiv sind. PFLP, Hamas und Islamischer Dschihad hingegen betonen, der bewaffnete Kampf gegen Israel gehe weiter.
Der extrem unbeliebte Abbas verurteilte das drohende Verbot der Organisationen. Doch seine Polizei geht selbst ebenfalls bereits seit Längerem unter anderem gegen die PFLP vor, weil man sie als Bedrohung für den Allmachtsanspruch von Abbas’ Fatah-Fraktion sieht.
Belege dafür, dass die sechs Organisationen tatsächlich Mittel an die PFLP weitergeben, legte das israelische Verteidigungsministerium auch auf Anfrage nicht vor; die Gruppen wollen sich nun vor Gericht gegen die Terroreinstufung zur Wehr setzen. Sollte sie Bestand haben, können die israelischen Behörden Konten sperren und Büros schließen, müssen dies aber nicht. Die wichtigste Auswirkung ist derzeit das reine Signal.
Ausländische Geldgeber*innen könnten nun zurückhaltend mit weiterer Unterstützung sein. Aber vor allem haben die rechten Parteien in der israelischen Regierung nun ihren linken Koalitionspartner*innen kräftig vor den Kopf gestoßen, und das gleich zweimal innerhalb weniger Tage: Am Sonntag kündigte Bauminister Zeev Elkin auch den Bau von 1300 Wohnungen im israelisch besetzten Westjordanland an. Von der demonstrativen Einheit, die die Koalition aus acht arabischen, linken und rechten Parteien bei ihrer Gründung im Juni zur Schau trug, ist nun nichts mehr zu spüren.
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