- Kultur
- »Die Geschichte meiner Frau«
Ehe mit Magenschmerzen
Der Kinofilm »Die Geschichte meiner Frau« enttäuscht mit der Darstellung der weiblichen Hauptfigur
Auf See kennt Jakob Störr die Regeln. Der Kapitän weiß, wann das Wasser gefährlich werden kann und wie er seinen Frachter sicher in den nächsten Hafen bringt. Er liebt dieses raue Leben, aber gut geht es ihm trotzdem nicht. Das Essen bekommt ihm nicht mehr, es liegt ihm wie ein Stein im Magen. Das muss die Seemannskrankheit sein, meint der Schiffskoch. Er selbst leidet nicht daran, erzählt er Jakob, denn er sei schließlich verheiratet. Das helfe.
Da Jakob gewohnt ist, für jedes Problem auf dem Schiff schnell eine Lösung zu finden, überlegt er nicht lange und beschließt, so bald wie möglich zu heiraten. So beginnt eine intensive Liebesgeschichte, die Jakob in eine Welt katapultiert, deren Regeln er nicht kennt.
»Die Geschichte meiner Frau« ist ein poetischer Film über die Liebe zwischen zwei Menschen, die eigentlich überhaupt nicht zueinanderpassen. Die preisgekrönte ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi hat den gleichnamigen Roman von Milán Füst aus dem Jahr 1942 in perfekt komponierte Szenen verwandelt. Jakobs Weg führt von den knarzenden Bohlen der Frachtschiffe in die Caféhäuser von Paris und die belebten Straßen Hamburgs. Enyedis stimmungsvolle 20er-Jahre-Szenerie mit einem Schuss Seemannsromantik ist wunderschön anzusehen und schafft es trotzdem, nicht in Kitsch abzudriften.
Für Kitsch ist bei Jakob und der Suche nach seiner zukünftigen Ehefrau auch viel zu viel Pragmatismus im Spiel. Er sitzt mit einem Freund im Café, als er scherzt, dass er die erste Frau heiraten wird, die zur Tür reinkommt. Als Lizzy das Café betritt, geht Jakob kurzerhand auf sie zu und kommt gleich zur Sache: »Bitte werden Sie meine Frau. Ich meine es ernst.« Lizzy grinst, flirtet mit ihm, und eine Woche später sind sie verheiratet. Schon in der Hochzeitsnacht wird klar, dass Jakob anders als auf seinem Schiff in dieser Beziehung nicht die Kontrolle hat.
Sie sind ein ungleiches Paar. Lizzy, gespielt von Léa Seydoux, die zuletzt im neuen James-Bond-Film »Keine Zeit zu sterben« zu sehen war, ist verführerisch, selbstbewusst und bewegt sich ungezwungen in der High Society. Der vom niederländischen Schauspieler Gijs Naber gespielte Jakob dagegen ist ruhig, eher introvertiert und an die Einsamkeit auf See gewöhnt. Die so unterschiedlichen Charakterzüge der beiden, aber auch das soziale Umfeld, das ihnen jeweils vertraut ist, führt zu den Problemen in ihrer Beziehung.
Jakob dringt nicht zu Lizzy durch, die sich unnahbar gibt, er versteht sie nicht, obwohl er sich alle Mühe gibt. Sie ist unzufrieden, weil Jakob nicht von selbst darauf kommt, was sie sich wünscht. Ein frustrierendes Missverständnis jagt das nächste, und statt miteinander zu reden, spielt Lizzy mit Jakob, verwirrt und provoziert ihn. Und er nimmt alles viel ernster, als er müsste. Jakobs Seefahrer-Pragmatismus funktioniert in Lizzys Welt nicht, und seine Versuche, Lizzy mit auf sein Schiff zu nehmen, dahin, wo er sich sicher fühlt, scheitern. Der enge Raum eines Schiffs passt nicht zu ihr. Sie lässt sich nicht einengen, sondern braucht das gesellschaftliche Leben, ihre Freund*innen und ihre Liebhaber.
Jakobs Eifersucht nimmt ihren Anfang mit dem ersten Kuss der beiden, als Lizzy feststellt: »Also küssen kannst du!« Alarmiert fragt er nach, ob sie denn viele Vergleichsmöglichkeiten hat. »Verdirb es nicht«, erwidert sie. Als Jakob später zufällig erfährt, dass Lizzy ihm tatsächlich untreu ist, unternimmt er nichts. Aber es quält ihn und die unterschwellige Spannung zwischen den beiden wächst. Ein gutes Mittel gegen seine Magenschmerzen scheint die Ehe für Jakob nicht zu sein. Als er den Schiffskoch danach fragt, erfährt er, dass dieser ein ganz besonders pragmatisches Modell der Ehe pflegt: Er hat drei Frauen, die er einsperrt und von seiner Mutter bewachen lässt, wenn er auf See ist. Dieses Frauenbild teilt Jakob zwar nicht, aber das Narrativ von der selbstbestimmten und damit untreuen Frau als Problem hängt dennoch unangenehm über dem Film.
Am Tiefpunkt ihrer Beziehung rät Lizzy ihrem Mann, auch ein wenig mit anderen zu flirten, ein bisschen dreister zu sein und weniger aufrichtig. »Erwarte nicht, dass dir das Leben entgegenkommt, du musst dem Leben entgegenkommen«, rät sie ihm. So schaffen sie es wieder, sich zusammenzuraufen. Jakob lernt mit der Zeit, Lizzys Spiel mehr oder weniger gut mitzuspielen und sieht schließlich ein, dass er sie nicht besitzen kann.
»Die Geschichte meiner Frau« erzählt nicht Lizzys Geschichte, sondern die von Jakob. Ihre Ehe wird vollständig aus seiner Sicht dargestellt. Und dafür, dass es eigentlich um Lizzy gehen soll, wie der Titel suggeriert, erfährt man auffallend wenig über sie. Wer ist sie eigentlich? Was macht sie den ganzen Tag? Was sind ihre Wünsche? Wie will sie ihr Leben gestalten? Man weiß es nicht. Lizzys Haupteigenschaft im Film ist es, unnahbar zu sein, ein verführerisches Rätsel für Jakob. Der eigene Wille, den sie hat, spielt nur als Beziehungsproblem eine Rolle. Das ist nicht nur enttäuschend, sondern der Film bekommt durch diese Leerstelle auch von Anfang an etwas Unrealistisches. Es wird nie thematisiert, was Lizzy an Jakob findet und warum sie sich spontan dazu entschließt, einen völlig Fremden mit einer anderen sozialen Herkunft zu heiraten, was ziemlich seltsam erscheint.
Aber auch Jakobs Figur ist bei genauerem Hinsehen nicht besonders komplex angelegt: Auf See weiß er, wo es langgeht und lässt sich durch die Einwände anderer nicht verunsichern. An Land allerdings verliert er seine aktive Rolle fast vollständig und trifft Entscheidungen, die sein ganzes Leben verändern, weil ihm jemand gesagt hat, das sei eine gute Idee. Das soll wohl heißen, dass das Leben und die Frauen nicht so leicht zu handhaben sind wie ein Dampfer.
»Die Geschichte meiner Frau« ist filmisch ein Genuss, die Bilder sind kunstvoll komponiert und transportieren die Stimmung perfekt. Intensive Momente und Szenen voller Spannung wechseln sich ab mit wirkungsvollen Einstellungen, in denen die Kamera auf der Umgebung verharrt und die wie Gemälde wirken. Auch schauspielerisch kann der Film voll und ganz überzeugen. Aber das kann nicht ganz hinwegtrösten über die enttäuschende Darstellung der weiblichen Hauptfigur und die wenig tiefgründigen Lebensweisheiten, die der Film als philosophische Einsichten präsentiert.
»Die Geschichte meiner Frau«: Ungarn, Deutschland, Italien, Frankreich 2021. Regie: Ildiko Enyedi. Buch: Ildiko Enyedi, Milán Füst. Mit: Gijs Naber, Léa Seydoux, Louis Garrel, Jasmine Trinca, Sergio Rubini, Luna Wedler. 169 Min. Start: 4.11.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.