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Gefährliche Fracht
Auftauende Permafrostböden im Himalayagebiet verstärken Erosionsprozesse
Das Doppelflusssystem von Ganges und Brahmaputra, das sich durch Nepal und Nordindien bis Bangladesch windet, der mächtige Mekong mit seinen zahlreichen Anrainerstaaten von China quer durch Südostasien bis in den Süden Vietnams, innerchinesisch der Gelbe Fluss (Huang He) und der Jangtsekiang und der Tarim als längster Strom Zentralasiens, dazu der Indus im Westen - es sind zahlreiche mächtige Wasserläufe, die im erweiterten Himalaya ihren Ursprung haben. Seit Hunderten, ja Tausenden von Jahren haben sich die Menschen daran angepasst, was diese Flüsse, oft jahreszeitlich wechselnd, an Wassermassen transportieren. Doch es ist eben nicht nur reines Wasser: Auch Sedimente unterschiedlichster Art treten so ihren Weg an - einige davon nur staubkorngroß (sogenannte Schwebfracht) bis zu kleinen Kieseln, anderes durchaus als Geröll zu bezeichnen. Sie legen teilweise mehrere Tausend Kilometer zurück: Der Golf von Bengalen, in den die Deltas von Ganges und Brahmaputra münden, gilt als größte Sedimentablagerung weltweit. Seinen Ausgangspunkt hat dieses Material auf dem »Dach der Welt«. Und während die ursprüngliche Fracht im Hochland von Tibet relativ identische Korngröße hat, verändert die sich quer durch den südlichen Himalaya im Einfluss des Monsuns infolge vermehrter Hangrutsche, wie ein Forscherteam des Geoforschungszentrums Potsdam bereits 2015 herausfand.
Eine aktuelle Studie, die im Wissenschaftsjournal »Science« (DOI: 10.1126/ science.abi9649) veröffentlicht wurde, hat nun die spürbar erhöhten Abflussmengen von Sedimenten ins Visier genommen. Diese nehmen bereits bei dem auch auf der laufenden Weltklimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow als Höchstmarke angestrebten 1,5-Grad-Ziel weiter beträchtlich zu. Noch gefährlicher könnte es aber werden, sollte der Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts eher im 3-Grad-Bereich liegen. Die beteiligten Wissenschaftler*innen der National University of Singapore, der University of Colorado Boulder, der Uni Potsdam und des Changjiang River Scientific Research Institute schlagen mit ihren gesammelten Erkenntnissen deshalb Alarm. Schließlich ist High Mountain Asia (HMA), wie diese Hochgebirgsregion genannt wird, einschließlich der vorgelagerten Gebiete das Zuhause für insgesamt zwei Milliarden Menschen.
Derzeit, so die Datenlage der Studie, sind es pro Jahr etwa 1,94 Gigatonnen Sedimente, die flussabwärts transportiert werden. Die relativ hohe Schwankungsbreite dieses Wertes (±0,8 Gigatonnen) illustriert, wie schwer es ist, das Phänomen in halbwegs solide Zahlen zu fassen. Eindeutig ist jedoch die bedrohliche Tendenz: Beim 3-Grad-Szenario kommen die Prognosen auf einen Anstieg auf 5,18 Gigatonnen jährlich, also auf mehr als das Zweieinhalbfache. Selbst für Laien ist nachvollziehbar, dass das nicht ohne gravierende Auswirkungen bleiben kann.
Durch den Klimawandel häufigere Tauwettereinbrüche sorgen für verstärkte Störungen im Permafrostboden und zunehmende Erosion. Die Folge: Die Wassermassen spülen immer mehr Sedimente aus den Hochgebirgsregionen hinab. Unter Auswertung von Datenmaterial aus den vergangenen 60 Jahren kommt das Team zu dem Schluss, dass eine Erwärmung um 1 Grad Celsius in einem 32 Prozent höheren Sedimentabfluss (±zehn Prozent) resultiert. Je intakter allerdings im Umkehrschluss die Gletscherbedeckung eines Quellgebietes, desto geringer sei dessen Anfälligkeit für Erosionsprozesse. Es ist zudem keineswegs nur harmloses Material, das inzwischen verstärkt aus dem Kernbereich der Hochgebirge ausgewaschen wird: Phosphor sowie Schwermetalle wie Chrom, Arsen oder Blei könnten weiter flussabwärts die Wasserqualität gefährden - ein Risiko für den Menschen ebenso wie Landwirtschaft und aquatische Ökosysteme, wird gewarnt.
Während es dabei auf die konkrete Zusammensetzung ankommt, ist in anderen Fällen allein die gesteigerte Masse der Sedimente das Problem. Sie lagern sich zum Beispiel in Stauseen ab, vermindern so deren Speicherkapazität. Weil der Grund durch Ablagerungen wesentlich schneller als üblich und beim Bau eingeplant steigt, sinkt umgekehrt die Menge des gespeicherten Wassers. »Das Wasserkraftpotenzial in Nepal und Bhutan übersteigt derzeit deren Stromkonsum«, heißt es in der Studie - das könne sich mit den Ablagerungen schnell ändern. Noch deutlicher zu beobachten als im Süden des Himalaya sei dies bereits beim Jangtsekiang, Chinas wichtigster Region zur Wasserkraftnutzung. »Erhöhte Sedimentabflüsse werden negativ auf bestehende und geplante Wasserkraftprojekte wirken, die Kapazität für Bewässerung beeinflussen und so die Ernährungs- und Energiesicherheit der Region gefährden«, lautet die Warnung des Teams.
Bisher kaum ergründet und damit wichtiges Thema für weitere Forschungen sei das verstärkte Ausspülen organischen Kohlenstoffs aus den Permafrostböden im Hochgebirge. Lege man einen im Wasser mitgeführten Anteil von ein bis drei Prozent zugrunde, so könnte sich diese Materialmenge bis 2050 unter der maximal betrachteten Erwärmung auf 50 bis 150 Megatonnen pro Jahr summieren. Und mit der Ablagerung von immer mehr Sedimenten in Flusstälern drohten mehr Uferabbrüche und noch weiter stromab wesentlich unkalkulierbarere Überflutungen, so ein weiteres Alarmsignal.
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