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Pflege stärken, Versorgung anders planen
Zumindest die Absichten sind da: Die Ampel-Parteien wagen sich in der Gesundheitspolitik an einige große Reformen
Richtig sicher ist in Sachen Gesundheitspolitik aktuell vor allem eines: Es wird ein neues Gesicht an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums geben, nach den fast vier Jahren, in denen Jens Spahn (CDU) hier der umtriebige Chef war. In Politik, Gesundheitswirtschaft und Medizin ist relativ klar: Dieser Posten ist der unbeliebteste Job in der Regierung - zu viele Baustellen, zu viele nicht nur wortgewaltige, sondern auch einflussreiche Interessenverbände, zu viele Möglichkeiten des Scheiterns. Die bisher stark schlingernde Pandemiebewältigung fügt dem nur noch eine weitere Herausforderung hinzu.
Die SPD wird diese Stelle besetzen, hält sich sich mit ihrer Personalentscheidung aber noch zurück. Erst auf einem Parteitag Anfang Dezember sollen Namen genannt werden. Der Plural scheint hier durchaus angebracht. Denn wenn sich die Partei nicht dazu durchringt, den ständig kommentierenden, aber auch zuspitzenden Mediziner Karl Lauterbach an die Spitze des Ministeriums zu stellen, benötigt dieser einen anderen Posten. Vielleicht nicht unbedingt als Pandemie-Erklärer, wie es schon diskutiert wurde, aber etwa der künftige Pandemie-Krisenstab braucht eine Besetzung.
Wer auch immer Minister oder Ministerin wird: Schon aus den acht Seiten im Koalitionsvertrag ergibt sich, dass hier ein großes Arbeitspensum wartet. Jens Spahn hat mit seinem Gesetzesturbo Maßstäbe gesetzt. Vielleicht wird hier in Zukunft nicht jeden Monat ein neues Gesetz gebraucht, es sind aber durchaus einige Regelungen nötig, um bestehende Probleme endlich anzugehen.
Im Koalitionspapier steht zu Recht das Thema Pflege an erster Stelle. Dort geht es unter anderem um die Finanzierung der Altenpflege. Unter anderem sollen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen gesenkt und die Soziale Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen entlastet werden. Auch was die Pflege in den Krankenhäusern betrifft, will die Koalition das umsetzen, was sie in Teilen schon in der Opposition gefordert hat. Kurzfristig soll eine verbindliche Personalbemessung kommen, zunächst mit einem von Verdi, Deutschem Pflegerat und Krankenhausgesellschaft gemeinsam erarbeiteten Instrument, der Pflegepersonalregelung 2.0. Damit soll ein bedarfsgerechter Mix von Qualifikationen erreicht werden, aber das könnte auch neue bürokratische Herausforderungen bedeuten. In der letzten Legislatur hatte Minister Spahn gerade hierbei auf Zeit gespielt und eine Einführung verhindert.
An zweiter Stelle sei aus dem Koalitionsvertrag hier ein weiteres großes Reformvorhaben genannt, die Überwindung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Dazu soll zum einen das System der Fallpauschalen ergänzt werden. Mit Hybridpauschalen werden dann auch ambulant mögliche Eingriffe und Therapie vergütet. Wie die geplanten Gesundheits- und Notfallzentren genau aussehen werden, ist noch offen. Genannt werden sie in einem Zuge mit niedrigschwelligen Präventions- und Behandlungsangeboten etwa für benachteiligte Kieze. Sogar der Gesundheitskiosk hat es in das Koalitionspapier geschafft, Hamburg ist hier Vorreiter für das von einem finnischem Vorbild inspirierte Modell. Ebenfalls genannt sind Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen für den ländlichen Raum, die damit hoffentlich endgültig aus dem Status von Pilotprojekten herauskommen.
Richtig in sich hat es der darauf folgende Satz: »Die ambulante Bedarfs- und stationäre Krankenhausplanung entwickeln wir gemeinsam mit den Ländern zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung weiter.« Damit dieses Ansinnen greift, ist auch in Kompetenzen der Bundesländer einzugreifen. Für Ärger mit der Kommunalpolitik sorgt das Thema automatisch. Nicht in das Papier der Koalitionäre hat es hingegen der Plan geschafft, dass der Bund den Ländern bei den Krankenhausinvestitionen aushilft.
Eine weitere große Herausforderung in der Gesundheitspolitik ist es, endlich Anschluss an international längst gängige Standards der Digitalisierung zu finden. Die erste Feuerprobe kommt bereits am 1. Januar, wenn das E-Rezept eingeführt wird. Später im Jahr kommt dann unter anderem die lange verschleppte elektronische Patientenakte.
Für alle Themen gilt: Papier ist geduldig. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag müssen in Gesetze gegossen werden. Selbst für solche Hits wie die Legalisierung von Cannabis ist etwa die Zulassung von Verkaufsstellen praxisnah zu regeln. Bei anderen Vorhaben sind jahrzehntealte Interessenskonflikte auszugleichen und Vorbehalte auszuräumen, damit zum Beispiel eine bessere wohnortnahe Versorgung auch zeitlich absehbar und dauerhaft im Alltag der Bürger ankommt.
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