Das Foto folgt der Form

Bauhaus ist überall: Der Fotograf Jean Molitor zeigt die Schönheit der Moderne auf Weltreise

Bunte Stube, Ahrenshoop, Deutschland, erbaut 1929 vom deutschen Architekten Walter Butzek; Aufnahme von 2019
Bunte Stube, Ahrenshoop, Deutschland, erbaut 1929 vom deutschen Architekten Walter Butzek; Aufnahme von 2019

Von der Form zu den Häusern zurück zur Form. Das ist der künstlerische Ansatz des Fotografen Jean Molitor. Er fotografiert weltweit die Architektur, die von Bauhaus kommt. Sie kann, muss aber nicht von Bauhausleuten entworfen oder gebaut worden sein. Von Bauhaus beeinflusst reicht auch, das ist die Schönheit der Moderne - der Internationale Stil.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die Revolution von Bauhaus war ja, die Kunst zum Handwerk zu machen und das Handwerk zur Kunst. Nüchtern, aber strahlend. Deshab fotografiert Molitor diese Häuser auch nur in Schwarzweiß und fast immer ohne Menschen. Es ist eine eigene Ästhetik. «Das traditionelle Schwarz-Weiß-Foto ermöglicht die Reduktion auf das mir Wesentliche», erzählte Molitor 2019 dem «nd»: «Ohne Ablenkung versuche ich den Blick auf die Architektur, auf die Linienführung, auf den Baukörper zu bringen. Ich möchte, dass meine Abbildungen zumindest in diesem Projekt zeitlos erscheinen, um der Idee der einstigen Erbauer (Architekt und Bauherr) möglichst nahe kommen zu können.»

Tankstelle Fiat-Tagliero in Asmara, Eritrea, erbaut 1938 vom italienischen Architekten Guiseppe Pettazzi; Aufnahme von 2019
Tankstelle Fiat-Tagliero in Asmara, Eritrea, erbaut 1938 vom italienischen Architekten Guiseppe Pettazzi; Aufnahme von 2019

In seinem neuen Buch «bau2haus» sind die ersten Menschen erst auf Seite 82 zu sehen: zwei kaum merkbare Silhouetten in einem Zimmer hinter der Terrasse der «Villa Lemke» in Berlin-Hohenschönhausen, die Mies van der Rohe 1933 erbaut hat. Auf der gegenüberliegenden Seite ist nur ein Blumenstrauß zu sehen, vorne im Fenster des Emil-Nolde-Hauses in Seebüll in Nordfriesland, das der Maler in Zusammenarbeit mit verschiedenen Architekten von 1927 bis 1937 auf-, bzw. umbauen ließ. Und zwar mit Backsteinen. Molitor erzählt auch eine Geschichte der Backsteinmoderne. Deren berühmtestes Bauwerk hierzulande ist immer noch das «Chilehaus», eines der ersten Hochhäuser in Hamburg, 1924 von Fritz Höger gebaut und von Molitor ebenfalls für sein neues Buch fotografiert. Es heißt «bau2haus», weil das erste von 2018 «bau1haus» hieß.

Molitor hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt nach den Ursprüngen und Spuren der klassischen Moderne abzusuchen - auf eigene Kosten. Er wird nicht gefördert, will sich nicht unter Stress setzen lassen und zweigt diese Recherchereisen von seinen sonstigen Aufträgen ab, die er von Berlin aus als Fotograf und Kameramann weltweit unternimmt. Das ist ihm ein fast heiliger Ernst. Aber auch ein schelmischer, denn mit seinen Fotos definiert er den Internationalen Stil mit. Am liebsten sei er immer da, wo er noch nicht war, sagt er. 500 Gebäude aus 50 Ländern hat er bislang fotografiert, das sind rund drei Prozent des Baubestands, schätzt er - in insgesamt 140 Staaten.

2009 fing er damit an, aus Zufall. Damals sollte er in Burundi für ein Kunstprojekt Häuser fotografieren, denen der Abriss drohte. Sie waren aus den 40er Jahren und sahen aus wie Bauhaus, ohne es zu sein. Das schärfte Molitors Aufmerksamkeit, und seitdem sucht er nach den Verwandten dieser Häuser, bzw. nach den bauhausartigen Bauten, ungefähr errichtet von Mitte der 20er bis Anfang der 50er Jahre. Und so geht die Reise im neuen Buch nach Nairobi, Asmara, Haifa, Havanna, Guatemala City, Helsinki, aber auch nach Wilhelmshaven, zum Aquarium, 1938 errichtet, der Architekt ist unbekannt. Das heißt: trotz ihrer Verachtung für das Bauhaus, bauten auch die Nazis mitunter im Bauhaustil, eben weil der sehr praktisch und auch kostengünstig war. Das kann auch lächerlich wirken, ein sogenannter Hochbunker im heutigen Świnoujście, von einem unbekannten Architekten 1938/39 zur Vorbereitung auf den Weltkrieg gebaut, sieht aus wie eine Haarbürste in groß.

Wohngebäude in Haifa, Israel, etwa 1935 erbaut, der Architekt ist unbekannt; Aufnahme von 2018
Wohngebäude in Haifa, Israel, etwa 1935 erbaut, der Architekt ist unbekannt; Aufnahme von 2018

Die Architekten, die die Nazis vertrieben, verbreiteten den Internationalen Stil in der ganzen Welt. Auffällig ist, dass sie oft Verwaltungsgebäude errichteten, als hätten sich die Verantwortlichen in den Gemeinden und staatlichen Einrichtungen im kunstschönen Funktionalismus gerne selbst erkennen wollen. Das zieht sich bis in die Arbeiterbewegung. Legendär der festungsgleiche «Karl Marx Hof» in Wien, 1925 bis 1928 errichtet von Karl Ehn. Es gibt aber auch Sportstätten wie ein Stadion in Casablanca oder eine Pferderennbahn in Warschau, beides aus den 30er Jahren. Oder fast weltraumschiffartig aussehende Kirchen, wie beispielsweise die Evangelische Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin, von 1931 bis 1934 errichtet von Ossip Klarwein und Fritz Höger. Sehr merkwürdig. Weltraumschiffartig? Dass man darüber überhaupt nachdenkt, liegt an Molitors Vorgehensweise: Auch wenn die Form verbindet, so ist doch jedes Bauwerk einzigartig, das zeigen seine Bilder.

Jean Molitor: bau2haus. Neues zur Moderne in der Welt. Hatje Cantz, 160 S., geb., 40 €.

Ausstellungen: «Bauhaus pur» im Lehrerhaus der Bundesschule Bauhaus-Denkmal, Bernau, bis 15.2.; «Architekturfotografie von Jean Molitor» im Haus Grashof der Berliner Hochschule für Technik, bis 30.12.; «Asmara - Architektur im Wandel der Zeit» «, Café Mokannti, Berlin, bis 30.12.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.