Wenn das Meer Dauerwelle trägt

»Anatolien gerammt«: Kai Pohls vermischte Arbeiten aus den Jahren 2001 bis 2020

  • Jochen Knoblauch
  • Lesedauer: 3 Min.

Langsam könnte man den Überblick über die verschiedenen Aktivitäten und Publikationen des Grafikers und Schriftstellers Kai Pohl verlieren. Er ist weiterhin unangepasst und starrköpfig, wenn es gegen die Konventionen und herrschenden Zustände geht, ausgehend von der Gewissheit, dass vieles, was als »neu« deklariert wird, selten etwas Gutes bringt. Reformen bedeuten heute schmerzhafte Einschnitte für alle, die eh schon nix mehr entbehren können. Gegen diese vom Staat produzierten chaotischen Zustände anzuschreiben, ist eben das, was den alltäglichen Wahnsinn für Pohl etwas erträglicher macht. Es ist kein Posen zu großen Hymnen, eher der leise Trotz mit der Flasche Bier in der Hand zum kleinen Glück, sich von den Zuständen nicht unterkriegen zu lassen.

Kai Pohl, ein langjähriger Aktivist der Künstlergruppe Prenzlauer Berg Connection, die längst aus diesem hippen Bezirk dank Gentrifizierung verdrängt wurde, ist ein künstlerischer Tausendsassa. In seinem neuen Buch »Anatolien gerammt« versammelt er »Material/Montagen«: Neben Gedichten, Textexperimenten, Grafiken (hier vor allem seine Veränderung bekannter Markenzeichen wie zum Beispiel »Kinderarbeits-Schokolade«) werden auch Buchrezensionen präsentiert, die in Tageszeitungen erschienen und durchaus beeindruckend sind. Die Gedichte und Texte sind oft in kleinen Literaturzeitschriften erschienen - mit »Floppy Myriapoda« hatte er 2006 auch eine mitbegründet, zusammen mit Alexander Krohn. Die Grafiken, Montagen und Bilder sind für Ausstellungen, Buchillustrationen, Werbepostkarten oder Lesezeichen für den Verlag Moloko Print entstanden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Wenn Pohl in dem Prosatext »Biofeedback Panikenergie« - der im Übrigen nicht Corona geschuldet, sondern bereits 2002 als Hommage für Rolf Dieter Brinkmann erschienen ist - einen regelrechten Wortteig immer wieder ausrollt und knetet, bis nach 13 Seiten der Begriff »Panik« einem den Schweiß auf die Stirn treibt und man am Ende eine Grafik mit genormten Kühen mit dem Titel »Der Silberstreifen am Horizont« erblickt, dann ist man fix und fertig.

In Pohls Werk steckt viel Humor (»Auch das Meer trägt Dauerwelle«). Pohl kann auch sehr sarkastisch sein. Denn das Komödiantische, das eigentlich der Unterhaltung dienen sollte, erscheint bei ihm oft als die letzte Wahrheit über das Schreckliche in dieser Welt. Dann ist aber auch wieder alles ernst bis betrüblich: »Kinder proben / den Anstand / vor der Rutsche / stimmen sich ein / auf den Rhythmus / der offenen Rechnungen«. Sich bloß nicht unterkriegen lassen ist das Ziel.

Die künstlerische Freiheit besteht auch darin, sich die Worte so zusammenzusetzen, wie sie einem vor die Füße fallen. Pohl beherrscht auch die Technik des Cut-up der Avantgarden der 60er und 70er Jahre. Und wenn die Leser*innen daraus wiederum einen Wert, eigene Assoziationen rausziehen können, dann merken wir die Kraft von Worten.

Im Übrigen sei hier angemerkt, dass der Buchtitel »Anatolien gerammt« in dem Buch überhaupt nicht vorkommt. Er bezieht sich auf die Umschlaggestaltung, eine temperacolorierte Zeichnung, die darauf anspielt, dass der griechische Name für Anatolien eigentlich Osten bedeutet beziehungsweise auf das Morgenland deutet. Leider wird darauf im Buch nicht hingewiesen. Das ist allerdings ein zu vernachlässigender Kritikpunkt, zumal der Verlag Moloko Print auch dieses Buch wieder qualitativ hochwertig gestaltet hat. Die vorliegenden 42 Texte und 42 Abbildungen sind eine Schatztruhe, die zu öffnen mir große Freude bereitet hat.

Kai Pohl: Anatolien gerammt. Materialien/ Montagen 2001-2020. Moloko Print. 176 S., br., 17,50 €.

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