- Kultur
- »reden über sex« an der Schaubühne
Lieber nur quatschen
An der Berliner Schaubühne wurde Maja Zades Theaterstück »reden über sex« uraufgeführt
Die Lust weist im Theater oft den Weg in die Katastrophe. Ob bei König Ödipus, bei Faust und Gretchen oder bei Kleists Dorfrichter Adam, Sex ist beides: allgegenwärtig und doch tabuisiert. Der Körper, zumal der Körper der Frau, darf nicht der Kontrolle entzogen werden, er muss bewacht werden. Ist diese Kontrolle durchbrochen, droht die Strafe der Götter, der Moral, des Gesetzes, dann fallen die Mädchen ins Bodenlose, die Männer in Verdammnis. Sex ist seit jeher ein existenzielles Thema auf dem Theater.
Das gilt auch noch für die Gegenwart. Zwar sind freudianische Lesarten, die hinter jeder Motivation eine Krankheit entdecken wie hinter jedem Kirchturm einen Phallus, zum Glück ins Hintertreffen geraten. Doch spätestens seit MeToo ist eine neue Vorsicht auf den Bühnen zu spüren. Sex ist sehr viel politischer geworden, was einen anderen Umgang mit Körperlichkeit nach sich zieht. Zum Beispiel sieht man kaum noch Nackte auf den Bühnen, zumindest keine nackten Schauspielerinnen, wenn ein Mann inszeniert. Lediglich feministische Bühnenkünstlerinnen lassen noch freimütig die Hüllen fallen, als Signum ihrer Selbstermächtigung.
Noch einige Jahre zuvor schien die bloße Haut fast so etwas wie das übliche Kostümbild zu sein. Die Blöße, so hieß es damals oft, sei nicht sexuell konnotiert, sondern stehe im Gegenteil für ein puristisches, offenes Spiel, für einen transparenten Leib, der alles aus sich selbst heraus darstellen könne und für den jedes Textil schon ein Zeichen zu viel wäre. Kaum ein paar Jahre ist das her, und schon wirkt diese Darstellung zweifelhaft. Heute, in einer Zeit, die so viel und intensiv über Sex und seine Verbindung zur Gewalt nachgrübelt, kann Nacktheit eben keine Blöße, keine Abwesenheit von Zeichen mehr darstellen. Im Gegenteil wird gerade der nackte Körper »gelesen«, und zwar mit größter Vorsicht, ständig auf der Hut, etwas Verbotenes an ihm oder seiner Behandlung zu bemerken. Man mag diese Entwicklung als Einzug des Pietismus auf die Bühnen bespötteln, auf denen man sich doch vor Kurzem noch so gern im Dreck suhlte. Fest steht: Diese Zeiten sind vorbei. Auch den hier einst allgegenwärtigen Penis des Schauspielers Lars Eidinger hat man länger nicht an der Berliner Schaubühne gesehen.
Aber es geht ja auch nicht ums Zeigen oder gar ums Machen an diesem Abend, sie wollen nur quatschen. »reden über sex« heißt Maja Zades neues Stück, das Marius von Mayenburg zur Uraufführung gebracht hat. Autorin wie Regisseur sind schon lange an der Schaubühne präsent, von Mayenburg begann mit der 1999 startenden Intendanz von Thomas Ostermeier als Autor, seit gut zehn Jahren inszeniert er auch regelmäßig. Zade ist von Beginn an als Dramaturgin dabei. Derlei lang anhaltende Arbeitsbeziehungen sind an Spitzentheatern eher selten, sie scheinen aber für Vertrauen zu sorgen. Seit 2019 schreibt Zade auch Stücke für die Schaubühne, in dieser Spielzeit ist »reden über sex« sogar schon das zweite. Im September kam ihr »ödipus« heraus, eine von Ostermeier inszenierte Neudichtung des Klassikers.
Nun also »reden über sex«: Eine Gruppe Berliner trifft sich jeden Monat, um über ihre Lust, ihre Höhe- und Tiefpunkte zu sprechen. Bühnenbildner Jan Pappelbaum hat mit alten Brettern einen Übungsraum angedeutet, in dem für gewöhnlich vielleicht Tanzstunden stattfinden. Von Mayenburg lässt sein Ensemble mit lockeren Klamotten auftreten und erst mal Yogamatten ausrollen. Womöglich war diese Runde ursprünglich zum Meditieren zusammengekommen, immer mal wieder stößt jemand von ihnen eine Klangschale an, dann stöhnen sie chorisch, woraufhin jemand Neues zu einem Monolog ansetzt.
Die Anwältin Fedora (Carolin Haupt) hat bemerkt, dass ihre Freundin mit einem Kollegen ins Bett geht. Ihre Reaktion fällt erstaunlich aus. Sie schließt mit den beiden einen Pakt und schaut ihnen beim Sex zu. Nackt in einer Ecke des Hotelzimmers sitzend, beobachtet sie ihre Partnerin und den Nebenbuhler und saugt die Demütigung in sich auf: »Ich bin ein Möbelstück, ich bin nicht wichtiger als der Stuhl, auf dem ich sitze. Ich bin ein Objekt.« Das Experiment sei genau das Richtige für die Beziehung gewesen, behauptet sie.
»Wir brauchten dieses Element obwohl wir das gar nicht wussten, vorher, haben wir das gebraucht, beide.« Getrennt haben sie sich trotzdem, aber wegen etwas ganz anderem, wie sie beteuert. Die anderen wollen ihr nicht so recht glauben, dass der Beziehungsbruch so gar nichts damit zu tun gehabt haben könnte. Zudem ähnelt ihre Schilderung der Situation dort im Hotelzimmer auch ein wenig der Geschichte, wie sie als Jugendliche ihre Eltern beim Sex erwischte. Was aber offenbar weder sie selbst noch jemand der anderen bemerkt.
Überhaupt fällt eine gewisse Diskrepanz auf zwischen den vorgetragenen Episoden und den Schlüssen, die diese scheinbar überaufgeklärten Großstadtbewohner aus ihnen ziehen. Zwar betonen sie immer wieder sehr erwachsen, wie wichtig Sex und das Gespräch darüber sei. Doch wirkt es immer wieder so, als diente ihre Zusammenkunft weniger therapeutischen Zwecken denn einer weiteren Luststeigerung, als geilten sie sich an den eigenen wie fremden Schilderungen auf. Von Mayenburg verstärkt diese Lesart, indem er immer wieder Einblicke in die Köpfe der Figuren gewährt. Lukas Turtur zum Beispiel illustriert die Erzählung der Anwältin mit einem lasziven Tanz, Robert Beyer imitiert mit rollenden Augen, wie er sich Klemmen an die Brustwarzen schraubt. Alle zusammen steuern sie immer wieder an Yoga angelehnte Choreografien bei oder intonieren chorisch Songs mit sexuellen Bezügen: »Relax, don’t do it / When you want to come« (Frankie goes to Hollywood).
Diese Ausstiege strukturieren den zweistündigen Abend, der ansonsten auch nicht viel an Dramaturgie zu bieten hat. Eine Entwicklung ist bei den Figuren nicht zu erkennen, Zade hat ein äußerst prosaisches Stück abgeliefert, dessen Stoff sich teils besser für Kurzgeschichten eignen dürfte. So etwa Beyers Monolog über einen Mann, der mit Anfang 50 zurück in sein Elternhaus gezogen ist, um seine demente Mutter zu versorgen. Zeit für Sex hat er nun nicht mehr, weshalb es ihn umso mehr verstört, als seine schlafende Mutter ihm in den Schritt greift. Wütend steigert er sich in Rachefantasien hinein, bringt sie in Gedanken sogar um. »Sie denkt an Sex und ich, ich bin zu fertig um an Sex zu denken, weil ich mich nur kümmere, um ihren Scheiß-Traubensaft, ihre Pillen!«
Andere dieser Storys wirken dann doch eher wie aus der Klatschpresse abgeschrieben, etwa die der Frau, die sich ihre Vagina verkleinern lässt, damit ihr Mann seine Geliebte in die Wüste schickt, oder die der Lehrerin Marie, deren Mann sich auf der Hochzeitsfeier in seine Schwägerin verliebt. Immerhin gibt es für Marie ein Happy End: Die humorbegabte Schauspielerin Jenny König steigert sich in einen Tagtraum hinein, in dem sie dem Mann ihrer Träume begegnet. »Ich werde es in meiner Muschi spüren, wenn ich ihn sehe. Meine Muschi wird sich zusammenziehen, aus Schock, weil sie ihn erkennt, und sich dann entspannen und öffnen.«
Und dann? Dann ist auch schon Schluss. Die sechs packen ihre Sachen, nur einer bleibt zurück. Schläft er? Stirbt er? Der Mann, der seine Mutter pflegt? Ist mit dem sexuellen auch das Leben schlechthin zu Ende? Man darf hier ein wenig spekulieren. Über den Abend in seiner Gesamtheit gibt es hingegen wenig zu rätseln. Er will sein, wie er sich nennt, eine etwas bemüht zusammengehaltene Sammlung von Sexgeschichten. Erstaunlich ist einzig der unpolitische Charakter des Stücks. Es scheint, als wäre das Private hier noch privat. Attraktivität, Partnerwahl und Menstruation, all das sind hier Themen, die über die beteiligten Personen hinaus keine Bedeutung entfalten. Man mag das Ergebnis im schlechten Sinne als altmodisch oder boulevardesk bezeichnen. Doch ein wenig Entspannung wird der aufgeheizten Debatte um Körperlichkeit und Sex ganz sicher nicht schaden.
Nächste Vorstellungen: 14., 15. und 16.1.22
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