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Pubertät und Rassismus

Das Remake des Serienklassikers »Wunderbare Jahre« thematisiert die Diskriminierung der Schwarzen im Alabama der 60er Jahre

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Familie Williams ist Zentrum der Serie, wobei »Wunderbare Jahre« eine scheußliche Übersetzung für eine Zeit voller Rassismus und Ressentiments ist.
Familie Williams ist Zentrum der Serie, wobei »Wunderbare Jahre« eine scheußliche Übersetzung für eine Zeit voller Rassismus und Ressentiments ist.

Rassismus ist oft, aber nicht nur der reaktionäre Frontalangriff wie zuletzt im Duisburger Fußballstadion oder auf jeder beliebigen Pegida-Demo. Weit öfter ist Rassismus Erniedrigung am unteren Rand der Wahrnehmbarkeit. Zwei weiße Schüler zum Beispiel, die durstig auf dem Weg zum Wasserspender abbiegen, weil grad zwei Schwarze dort trinken.

Als hätte John F. Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson die Rassentrennung nicht 1964 mit dem Civil Rights Act verboten, ist der Erzähler des sehenswerten Siebenteilers »Wunderbare Jahre« auch fünf Jahre danach noch von morgens bis abends mit struktureller Demütigung der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert. Sein Leben könnte demnach ein steter Kampf um Gleichberechtigung sein – hätte Dean Williams, Sohn des Uni-Professors Bill Williams, nicht andere Sachen im Kopf. Pornohefte etwa und Baseball-Karten, Profilneurosen und Eifersucht, Klassenrowdys und vor allem sie, seinen Schwarm seit Kindheitstagen: Keisa.

So ist ein Zwölfjähriger halt, felsenfest verkapselt in seiner hormongefluteten Welt, für Politik folglich noch schwerer empfänglich als für Quantenphysik oder Altersvorsorge – und somit ideale Hauptfigur eines Welterfolgs, der uns in aller Leichtigkeit von schwer erträglicher Spaltung erzählt.

Warum die Serien-Importeure »The Wonder Days« in »Wunderbare Jahre« umgetauft haben, war dabei schon 1990, als ABC die weiße Mittelschichtfamilie Arnold aus Sicht ihres Jüngsten Kevin auch hierzulande erzählen ließ, ein Weichspülgeheimnis von RTL.

Heute aber, wo der damalige Hauptdarsteller Fred Savage aus der kalifornischen Vorstadtkomödie eine Tragikomödie im reaktionären Südstaat Alabama macht, passt die Übersetzung noch weniger. Schließlich sind es eher bizarre als schöne Zeiten, in denen Dean Williams (Elisha Williams) wie Kevin Arnold zur Geschlechtsreife kommt. Wo die Synchronstimme von Norbert Langer vor 31 Jahren aus dem Off also noch ein drolliges Alltagspotpourri aus Schule, Liebe, Ehe, Job (v)erklärte, geht es für seinen Nachfolger Don Cheadle als Erzähler um Schwarze Sorgen Schwarzer Menschen mit Schwarzen Problemen.

Nach Drehbüchern des Writers Rooms um den Ideengeber Saladin K. Patterson steigt Savage schließlich schon am Ende der ersten Folge mit dem Mord an Martin Luther King ein, der die meisten Mitglieder von Familie Williams zur Verzweiflung bringt. Doch während sich Papa Bill (Dulé Hill) wie immer in funkige Coolness flüchtet, Mama Lilian (Saycon Sengbloh) die Trauer fortkocht und Schwester Kim (Laura Kariuki) im Black-Panther-T-Shirt zur Revolte blasen will, sind Nesthäkchen Dean Herz und Hose weit näher als Hirn und Haltung. Wirkt oberflächlich? Ist tiefgründig!

Und damit ein Geniestreich des Showrunner-Duos Patterson/Savage. Statt die Realität wie im Familienprogramm üblich mit Pointen und Slapstick unsichtbar zu machen, kommt sie hier mithilfe herausragender Komik erst richtig zum Vorschein – etwa wenn Deans weiße Lehrerin eine Drei in der Klassenarbeit ungefragt auf Dr. Kings gewaltsamen Tod schiebt und verschwörerisch lächelnd eine Eins daraus macht, worauf der lebenskluge Teenager in spe bei jeder Gelegenheit »die weiß-liberale Schuldkarte« zieht, wie es seine Erwachsenenstimme Cheadle in einer Art begleitender Rückblickerzählung schildert.

Wirklich brillant wird dieser humoristische Suspense aber in Dialogen wie jenem beim Angeln, zu dem Bill – perfekt verkörpert vom früheren »Psych«-Nerd Dulé Hill – seinen Sohn nach dessen Stress in der Schule mitnimmt. »Du angelst gerne, stimmt›s?«, fragt Dean. »Ich liebe es«, antwortet Bill. »Aber du isst keinen Fisch.« – »Ich hasse ihn«, räumt Bill ein. Danach herrscht lautes Schweigen, bis ihm sein Vater erklärt, er möge Angeln, weil Fische unter der Oberfläche nichts von Hass und Ungerechtigkeit darüber ahnen. Viel sensibler wurde die Pubertät im Fegefeuer globaler Ungerechtigkeit wohl nie in Dialoge gegossen.

Aber auch abseits kluger Reflexionen übers richtige Leben im Falschen gelingt es »Wunderbare Jahre« spielend, mit Humor und Bedeutung von der verrücktesten Zeit im Leben aller Menschen zu erzählen, der Pubertät. Ganz gleich, ob Schwarz oder Weiß.

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