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- Netflix-Film »Don’t look up!«
Nach uns die Kristallflut
Wenn die Apokalypse die Kassen reichlich füllt: Der Netflix-Katastrophenfilm »Don’t look up!« ist eine spannungsreiche Allegorie auf Klimawandel und Corona-Pandemie
Den Weltuntergang als beißende Satire zu inszenieren, scheint als angemessener Ausklang des Pandemiejahrs 2021 gerade angesagt zu sein. In der britischen - unter anderem mit Keira Knightley besetzten - Komödie »Silent Night«, die hierzulande nur als DVD auf den Markt kommt, sucht just zu Weihnachten eine Giftwolke die Erde heim und tötet alles menschliche Leben. Sehr trocken erzählt aus der Sicht einer britischen Familie.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Noch drastischer geht es im Netflix-Film »Don’t look up!« zu. Der Streamingdienst hatte schon vergangenes Jahr mit George Clooneys »The Midnight Sky« einen Weihnachts-Science-Fiction-Film über das Ende der Welt im Programm. Mit »Don’t look up!« wird hochkarätig nachgelegt, spielen doch in dem zweieinhalbstündigen Film unzählige Hollywood-Größen mit. Das reicht unter anderem von Meryl Streep als Trump-artige Rechtsaußen-Präsidentin Janie Orlean über Cate Blanchett als ausgekochte Fernsehjournalistin Brie Evantee bis hin zu Leonardo DiCaprio als Astronom Dr. Randall Mindy, der zusammen mit der Doktorandin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) einen Kometen in der Größe des Mount Everest entdeckt, der zielstrebig auf die Erde zurast und dort binnen Halbjahresfrist alles Leben zerstören wird.
Nur glaubt kein Mensch den beiden Wissenschaftlern, dass das Ende der Welt wirklich naht. Die US-Präsidentin biegt sich zusammen mit ihrem Sohn und Chefberater Jason (Jonah Hill) ohnehin alle Fakten zurecht, wie sie sie gerade braucht, und außerdem ist sie mit einem Skandal wegen der Besetzung des Obersten Gerichtshofs beschäftigt. Die Berechnungen der beiden Provinzastronomen aus Michigan lässt sie erst mal von ihren Ostküsten-Elite-Wissenschaftlern checken. Im auf seichte und positive Klatschnachrichten gebürsteten Fernsehen kommen die wütende Doktorandin und ihr stets um Luft ringender Professor auch leidlich schlecht an und werden in den sozialen Medien bald zu Witzfiguren, die keiner ernst nimmt.
Als sich dann irgendwann herausstellt, dass sie doch recht hatten, und sogar eine Weltraummission gestartet werden soll, um den Kometen in Stücke zu schießen, fällt dem Tech-Unternehmer Peter Isherwell (Mark Rylance) ein, dass laut seiner Forschungsabteilung Milliarden von Dollar in Form seltener Kristalle in dem Kometen schlummern. Die Rettungsmission wird abgeblasen, ein Plan zur Bergung der Bodenschätze auf dem Richtung Erde rasenden Himmelsgestirn hat Vorrang.
»Don’t look up!« erzählt von Wissenschaftlern, die versuchen, einer mit sich selbst beschäftigten Öffentlichkeit den Ernst der Lage klarzumachen, und damit auf ganzer Linie scheitern. Dass hierin nicht nur eine Allegorie auf den Klimawandel, sondern ein Stück weit auch auf die Corona-Pandemie steckt, ist offensichtlich und verleiht dem Film brisante Aktualität.
Ausgerechnet ein fehlendes Peer-Review-Verfahren, mit dem im Wissenschaftsbetrieb die Qualität von Forschungsarbeiten gewährleistet wird, bringt den Planeten Erde schließlich an den Rand des Untergangs. Denn der smarte Tech-Milliardär, der den Kometen ausschlachten will, bringt für seine skurrile und überaus riskante Inwertsetzungsmission sein eigenes privates Forschungsinstitut mit, das, von ihm finanziert, genau die Ergebnisse ausspuckt, die er gerne haben will.
Nur kommt irgendwann der Moment, in dem jeder mit bloßem Auge den Kometen am Himmel entdecken kann. Wer immer noch den Versprechungen der Regierung und der Industrie glaubt, dass der Komet Wohlstand und Arbeit für alle bringen wird, folgt fortan dem titelgebenden Leitspruch »Don’t look up!«. Noch am Tag, an dem der finale Aufschlag droht, wird im rechten, patriotischen Fernsehen strikt die Parole ausgegeben, bloß nicht nach oben zu schauen. Stattdessen soll es die adrett aussehende, aber von niemandem ernsthaft getestete Technologie des Medienmoguls richten und sagenhafte Schätze für alle zutage fördern.
Die Netflix-Filmproduktion haut ebenso auf einen immer konfliktscheuer werdenden Medienbetrieb ein wie auf die kalifornischen Milliardäre mit ihren selbstverliebten und elitären Weltraumplänen von Jeff Bezos bis Elon Musk, und sie führt die Trump-Administration als komplett durchgeknallte und nationalistisch hasserfüllte Idiotentruppe vor. Wobei die so viel beschworene Spaltung der Gesellschaft im Film bitterböse in Szene gesetzt wird. Das geht so weit, dass die Figur Kate Dibiasky nicht einmal mehr ihr Elternhaus betreten darf, da sie im Gegensatz zu ihrem bald von der Macht verführten Doktorvater als kritische Wissenschaftlerin mit reichlich proletarischer Wut im Bauch nicht an die bescheuerten Versprechen einer heilen Zukunft im Wohlstandskapitalismus glaubt.
Das alles ist so rasant und spannend mit einem unglaublich großartigen Schauspiel-Ensemble inszeniert, dass es eine wahre Freude ist zuzusehen. Und trotz der zweieinhalb Stunden Dauer kommt definitiv keine Langeweile auf. Dabei hat der drohende Weltuntergang bei all der beißenden Satire und der absoluten Hilflosigkeit der Akteurinnen und Akteure fast schon eine versöhnliche Auflösung für all jene zurechtgestutzten Heldinnen und Helden des Films, die zumindest versucht haben, für die wissenschaftliche Wahrheit und ein besseres Schicksal der Menschheit und des Planeten zu kämpfen.
»Don’t look up!« läuft auf Netflix
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