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Inflation verbieten?
Gegen die Teuerung werden staatliche Preiskontrollen ins Spiel gebracht. Sie sind ein zweischneidiges Schwert
Die Inflationsrate in Europa und den USA steigt immer höher. Noch geht die Mehrheit der Experten davon aus, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Ganz sicher ist sich aber niemand. Um die Teuerung zu bremsen, fordern die einen staatliches Sparen und ein Ende der Politik des leichten Geldes. Ein neuer Vorschlag geht das Phänomen auf direktem Wege an: Preiskontrollen könnten den Inflationsdruck mindern. Doch dürfte damit das grundsätzliche Problem nicht gelöst werden.
Für Deutschland gab diese Woche das Statistische Bundesamt für Dezember eine Inflationsrate von 5,3 Prozent bekannt nach 5,2 Prozent im Vormonat. Es war der höchste Wert seit 1992. In der Eurozone kletterte die Rate von 4,9 auf 5,0 Prozent. In den USA wird sogar ein Anstieg von 6,8 auf knapp sieben Prozent prognostiziert.
Die meisten Ökonomen bei Banken und Instituten erwarten, dass die Inflationsraten im Laufe dieses Jahres fallen werden. Denn die derzeit wirkenden Sonderfaktoren wie überlastete Lieferketten, Knappheit an Rohstoffen und Vorprodukten würden schrittweise an Kraft verlieren. Es bleiben jedoch Unsicherheiten. So hat die US-Notenbank Fed, die lange von »vorübergehender Inflation« sprach, den Begriff »vorübergehend« inzwischen aus ihren Stellungnahmen gestrichen. »Es scheint«, sagte Notenbankchef Jerome Powell im Dezember, »dass die Faktoren, die die Inflation nach oben drücken, bis weit ins nächste Jahr wirken werden.«
Und vielleicht darüber hinaus, warnen Ökonomen, die in den staatlichen Rettungs- und Konjunkturmaßnahmen die eigentliche Gefahr sehen. »Expansive Geld- und Fiskalpolitik sind langfristige Inflationsrisiken«, so die DZ Bank. Schließlich haben sich die Regierungen in den vergangenen beiden Jahren kräftig verschuldet. In der Eurozone liefen Budgetdefizite von sieben bis acht Prozent der Wirtschaftsleistung auf, in den USA und Großbritannien waren es sogar zwölf bis 15 Prozent. Ermöglicht wurde die Kreditaufnahme durch die Notenbanken, die »praktisch das gesamte zusätzliche Angebot an Staatsanleihen aufgekauft haben«, erklärt die Deutsche Bank. Über diese Anleihekäufe hat »die im Bankensystem vorhandene Geldmenge gewaltige Dimensionen angenommen«, so die DZ Bank. Damit sei das »Inflationspotenzial« groß.
In den USA hat die Notenbank daher das Ende ihrer ultralockeren Geldpolitik vorgezogen. Bereits ab März kauft sie netto keine Wertpapiere mehr auf und pumpt auf diesem Weg keine zusätzliche Liquidität mehr ins Finanzsystem. Erste vorsichtige Leitzinserhöhungen werden vorbereitet, um die Geldentwertung zu bremsen. In der Eurozone kappt die Zentralbank seit Jahresbeginn ebenfalls Wertpapierkäufe. Vor einer Zinserhöhung scheut sie auf Grund der schwächeren Konjunktur noch zurück.
Den großen Industriestaaten droht ein Dilemma: Einerseits würde eine anhaltend hohe Inflation höhere Zinsen nötig machen, um den Geldwert zu stabilisieren. Andererseits braucht die Wirtschaft weiter Unterstützung durch billige Kredite. Denn das Wirtschaftswachstum ist fragil, die Schulden sowohl von Staaten wie Unternehmen sind rasant gestiegen. Zudem haben alle großen Wirtschaftsblöcke zum Teil gigantische Investitionsprogramme aufgelegt, um in den nächsten Jahren die »große Transformation« hin zu einer digitalen und klimaneutralen Ökonomie zu finanzieren. Auch dafür brauchen sie Milliardenkredite zu niedrigen Zinsen. Höhere Zinsen dagegen könnten vielerorts die Schuldentragfähigkeit wie auch den Erfolg der Transformation gefährden.
An diesem Punkt setzt die Ökonomin Isabella Weber an: In einem weltweit viel beachteten Essay für die britische Zeitung »Guardian« warnt sie vor Zinserhöhungen und schlägt eine andere Lösung vor: »Wir verfügen über eine wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen Inflation: Preiskontrollen. Es ist Zeit, darüber nachzudenken.«
Laut Weber ist »ein kritischer Faktor, der die Preise treibt, bislang weitgehend übersehen worden: die Explosion der Profite«. So hätten in den USA die Gewinnspannen 2021 Höhen wie zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Gerade mächtige Unternehmen nutzten Knappheiten und Lieferprobleme im Zuge der Pandemie aus, um ihre Güter zu verteuern und so Extra-Profite einzufahren. In Deutschland wird den 40 Konzernen aus dem Deutschen Aktienindex für 2021 ein Gewinnplus von 50 Prozent prognostiziert. »Den Aktionären winkt daher 2022 ein Dividendenboom«, so die Commerzbank.
Weber bringt nun »strategische Preiskontrollen« ins Spiel und verweist auf entsprechende Maßnahmen im Zweiten Weltkrieg oder in den 1970er Jahren in den USA, die die Inflation vorübergehend gebremst hätten. Diese Vorlage nimmt die wegen der hohen Inflation unter Beschuss stehende US-Regierung dankend auf: Diese Woche kündigte sie einen Plan zur Bekämpfung der Marktmacht großer Konzerne in der Fleischindustrie an – im November lagen die Fleischpreise 16 Prozent über dem Stand des Vorjahres, woran laut Regierungssprecherin Jen Psaki die »Gier der Fleischkonglomerate« schuld sei.
Protest kommt hingegen aus dem Ökonomenlager. »Dass es in der jüngeren Ökonomengeneration Leute gibt, die ernsthaft Preiskontrollen als Instrument zur Inflationsbekämpfung erwägen, hätte ich vor einer Woche noch für unmöglich gehalten«, schrieb der Volkswirtschaftsprofessor Jan Schnellenbach auf Twitter. Andere Kommentatoren warnten vor »Sozialismus« oder »Zuständen wie in Venezuela«. Im Kern lautet ihr Argument analog zu dem, das auch gegen scharfe Mietpreisbegrenzungen in Anschlag gebracht wird: Steigende Preise signalisieren eine Knappheit an entsprechenden Gütern. Um diese Knappheit zu beheben, müssen Unternehmen investieren und produzieren. Das tun sie nur dann, wenn ihnen ein Gewinn winkt und Mittel dieses Gewinns sei eben die Freiheit der Preisfestsetzung. »Preiskontrollen würden daher die Anpassung der Lieferketten vermurksen«, warnte der US-Ökonom Paul Krugman.
Zudem wird darauf verwiesen, dass die US-Preiskontrollen der 1970er Jahre verbunden waren mit Maßnahmen zur Senkung der Nachfrage: staatliche Sparprogramme und Lohnkontrollen. Der US-Ökonom Joseph Politano macht zudem darauf aufmerksam, dass es kaum einen beobachtbaren Zusammenhang zwischen Gewinnspannen und Inflationshöhe gebe. In den USA lägen die Spannen bereits seit Jahren auf Rekordhöhen, ohne dass die Preise explodierten. Zudem seien die stärksten Preiserhöhungen ausgerechnet in jenen Sektoren – Energie, Kraftstoffe, Autos – zu beobachten, in denen der Wettbewerbsdruck hoch, von Konzernmacht also nicht viel zu sehen sei.
Auf ein grundlegendes Problem von Preiskontrollen macht der US-Blogger Noah Smith aufmerksam: »Wenn Politiker beginnen, ernsthaft über Preiskontrollen zur Inflationsbekämpfung zu sprechen, dann machen sie deutlich, dass die Zentralbank nicht mehr die erste Verteidigungslinie darstellt und die Inflation unterwegs ist.« Anders gesagt: Der Einsatz von Preiskontrollen wäre das Eingeständnis einer Regierung, dass der Wert des nationalen Geldes erodiert und dies bloß durch staatliche Preisfestsetzung maskiert kann. Damit sendet eine Regierung laut Smith »das gefährliche Signal an die Öffentlichkeit, dass die Zentralbank gegen die Entwertung nicht angehen wird«.
Mit »Öffentlichkeit« sind hier weniger die Lohnabhängigen gemeint, die ihr Geld zum Leben brauchen und die verlangten Preise zahlen müssen. Gemeint sind vor allem die internationalen Investoren an den Finanzmärkten, die ihre Investments in Sicherheit bringen würden. Preiskontrollen sind daher kein Mittel, die Kreditwürdigkeit eines Landes in Zeiten steigender Inflation aufrechtzuerhalten. Und genau diese Kreditwürdigkeit brauchen die großen Industriestaaten in Zukunft, um ihre billionenschweren Ausgabenprogramme zu finanzieren.
Preiskontrollen wird es daher kaum geben. Stattdessen wird weiter gehofft, dass das aktuelle Inflationshoch vorbeizieht – dass es sich also um eine vorübergehende Verteuerung einiger Güter handelt und nicht um eine breit angelegte Entwertung des Geldes, die die Kreditwürdigkeit der großen Industriestaaten untergraben würde in einer Zeit, »in der groß angelegtes Staatshandeln angezeigt ist«, so die Ökonomin Isabella Weber.
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