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Nichts ist uns wild genug
Geh rein, tanz raus: Abbas Modedesigner Owe Sandström im Gespräch
Herr Sandström, im März 1972 nahmen Abba als Gruppe ihre erste Single, »People Need Love«, auf. Ab wann waren Sie Kostümdesigner der Band?
Mit Sandström sprach in Stockholm Olaf Neumann anlässlich des bevorstehenden 50. Gründungsjubiläums von Abba im März dieses Jahres und einer auch durch Deutschland tourenden Abbamania »Super Trouper«-Show, an der ehemalige Bandmitglieder beteiligt sein werden.
Ab 1973. In dem Jahr traten sie mit »Ring Ring« - damals noch erfolglos - bei der schwedischen Vorentscheidung des Eurovision Song Contest an. Meine Kostüme sind auch im Filmclip zum Song zu sehen. Das war noch vor dem kometenhaften Aufstieg der Gruppe. Zu dem Zeitpunkt waren Björn Ulvaeus, Benny Andersson, Anni-Frid Lyngstad und Agnetha Fältskog lediglich vier junge Freunde, die zusammen sangen und tanzten. Niemand von uns hätte sich vorstellen können, dass sie einmal als Abba so erfolgreich werden würden. Völlig verrückt! Das ist eigentlich heute noch unglaublich.
Wollten Sie für Abba von Anfang an Kleidung entwerfen, die speziell schwedisch sein würde?
Nein, nein, nein. Wissen Sie, ich bin auch Wissenschaftler. Ich habe von 1963 bis 1970 an der Universität Pflanzenkunde, Chemie und Meeresbiologie studiert. Ich unterrichte seitdem junge Menschen, die Veterinäre werden wollen und arbeite mit Wildtieren. Zu den Abba-Kostümen habe ich mich unter anderem durch den Zirkus mit seinen fantastischen Outfits, Epauletten und Kristallen inspirieren lassen. Und bis zu meinem 22. Lebensjahr besuchte ich in Spanien Flamenco-Schulen, weil ich eigentlich Tänzer werden wollte. Ich war fasziniert vom Flamenco-Rhythmus und -Look. Am Ende entschied ich mich zwar für die Wissenschaft, aber meine Freundin ist Profitänzerin geworden.
Sie sind aber dank Abba Vollzeit-Modedesigner geworden?
Vollzeit-Designer? Immer wenn Abba und all die anderen schwedischen Künstler auf Tour gehen wollten, bin ich ganz früh aufgestanden und habe in meinem Modestudio neue Entwürfe erdacht. Anschließend bin ich in die Schule gegangen, um bis 16 oder 17 Uhr zu unterrichten. Dann habe ich mich mit meinem Schneider und anderen Mitarbeitern getroffen, um zu besprechen, welche Entwürfe wir in die Tat umsetzen. Nachdem meine Kollegen gegangen sind, habe ich mich bis nach Mitternacht mit dem Ordnen und Besorgen der Textilien beschäftigt. Das war mein Alltag über Jahre.
Sie kamen nie zur Ruhe als Modedesigner für Abba.
Ja, und ich habe es mir selbst nicht leicht gemacht, nicht gesagt: Die Kostüme sind fertig, ihr könnt sie anziehen. Es wurde immer im Kollektiv über das Outfit diskutiert. Zum Beispiel bei »The Girl with the Golden Hair«, Teil der großen Australien-Show: Björn und Benny wollten ein Mini-Musical ausprobieren, über ein schwedisches Showmädchen, das nur eine Marionette ihrer Manager ist. Agnetha und Anni-Frid sollten entsprechend erscheinen: golden. Wir haben lange verschiedene Kostüme ausprobiert, bis wir sowohl elegante als auch bequeme gefunden hatten. Man konnte Abba nie Fertiges vorsetzen, sie wollten mitreden.
Erinnern Sie sich an die erste Abba-Show Ihres Lebens?
Ich weiß jetzt ad hoc nicht mehr, wo und wann es war, aber ich stand da mit offenen Mund und dachte: Mein Gott, habe ich dieses verrückte Zeug wirklich alles selber entworfen? Ich wusste in dem Moment nicht, ob ich mich freuen oder schämen sollte (lacht). Abba waren jedenfalls zu dieser Zeit in Schweden noch nicht besonders populär. Aber ich war von Anfang an von ihnen fasziniert und zugleich verblüfft. Ich habe gern für sie gearbeitet.
Was haben Sie gedacht, als Abba mit »Waterloo« und einem sehr effektvoll inszenierten Auftritt den Grand Prix Eurovision de la Chanson von 1974 in Brighton gewannen?
Die Kostüme für »Waterloo« stammten ausnahmsweise nicht von mir, weil ich zu dieser Zeit im Ausland weilte, um neue Stoffe einzukaufen. Für den spektakulären Auftritt beim Eurovision Contest 1974 hatte ich eine gute Freundin gebeten, die Kostüme zu schneidern. Als Abba gewonnen hatten, riefen sie mich an: »Owe, du musst nach Hause kommen, weil wir ein Video produzieren müssen! Abba made in Sweden für den Export. Es darf nicht zu sexy sein, aber auch auf keinen Fall folkloristisch.« So kam es zu der blauen und gelben Katze. Das sind nämlich die schwedischen Nationalfarben.
Würden Sie sagen, dass Ihre Outfits einen Teil des Erfolges von Abba ausmachten?
Ein britischer Journalist sagte: »Abba, das ist zuerst die Musik. Die Texte. Und dann die Looks.« Hören Sie sich mal mit geschlossenen Lidern ihre Musik an, dann werden Sie vor Ihrem geistigen Auge unweigerlich diese Katzen sehen. Als Agnetha das erste Mal »Mamma Mia« performte, trug sie ein Leopardenkostüm von mir - mit spanischen Volants. Latino-Style. Und für »The Girl with the Golden Hair« entwarf ich für Björn eine sehr kurze Bolerojacke.
Hatten die Songs von Abba später einen prägenden Einfluss auf Ihre Entwürfe?
Auf jeden Fall. Als sie 1976 »Money, Money, Money« einstudierten, rief mich ihr Produzent Stig Anderson an: »Du musst Kostüme entwerfen, die uns daran erinnern, wann Geld wichtig war oder ist.« Da sagte ich: »Geld ist immer wichtig!« Ich ließ mich von den Roaring Thirties, den 1930er Jahren in den USA, mit all den Gangstern und Schießereien auf offener Straße, Al Capone, der Prohibition, aber auch dem Charleston, Jazz und Blues, der Kluft zwischen Reichen und Armen, Weißen und Schwarzen kostümmäßig inspirieren.
Ziemlich schrill waren Ihre Tierkostüme.
Ja. Etwa rötliches Fuchskleid, passend zu Anni-Frids Haarfarbe. Und die blonde, sehr nordisch aussehende Agnetha bekam von mir einen weißen Pelz verpasst. Elegant und niedlich! In Björn sah ich einen großen Kranich, der am Ufer eines Sees steht, aufmerksam schauend, ob um ihn herum irgendetwas passiert. Benny im Hintergrund traf stets die letzte Entscheidung hinsichtlich der Musik. Also war er für mich ein Adler, der seine Flügel über dem Piano ausbreitet. Unser Motto lautete: Nichts ist unmöglich. Oder wie Björn sagte: Nichts ist uns wild genug!
Ihre Mode hat nicht nur Abba, sondern den Stil der 1970er Jahre geprägt.
Ja, Madonna ließ sich zu ihrem Song »Hung Up« von Abbas »Gimme! Gimme! Gimme! ... A Man after Midnight« inspirieren. Sie wollte etwas optisch Passendes dazu. Also bat sie den französischen Modemacher Jean-Paul Gaultier, mich zu fragen, ob er mein blau-weiß gestreiftes Kostüm kopieren dürfe. Madonna wolle es gern für eine Performance in Las Vegas nutzen. Ein paar Jahre später traf ich Gaultier und stellte fest, dass er eine ganze Kollektion produziert hatte, die bis ins Detail von meinen Abba-Designs inspiriert war. Er schlug vor, dass wir zusammenarbeiten. Aber ich hatte zu jener Zeit unheimlich viel als Lehrer zu tun.
Wie haben Abba ihre Erfolge gefeiert? Mit Champagner und Kokain?
Nein, nein, nein! Natürlich haben wir damals gut gegessen und getrunken, aber es gab bei Abba weder Exzesse noch Skandale. Nie und nimmer! Ich bin mit ihnen allerdings nie auf Tour gewesen, weil ich zu Hause alle Hände voll zu tun hatte. Ich habe auch Kostüme für Ballettproduktionen entworfen. Für Abba habe ich ungefähr 100 Kostüme gestaltet, auch für deren Chor und Orchester. Gelegentlich habe ich auch für mich selbst geschneidert, was ich dann auf verrückten Partys trug.
Welches Kleidungsstück von Abba erachten Sie rückblickend als Ihr Meisterwerk?
Schwer zu sagen. Ich mag sehr gerne die Kostüme, die ich für ihren Auftritt bei den Vereinten Nationen in New York 1979 designt habe. Da haben sie »Chiquitita« performt. Die Einnahmen aus dem Song wurden der Unicef gespendet und kommen bis heute armen Kindern zugute. Die Kostüme waren aus komplett schwarzer Seide und werden neben anderen meiner Arbeiten für Abba im Schwedischen Nationalmuseum aufbewahrt, gelten als nationales Kulturgut.
Wird man Ihre spektakulären Kostüme bei der virtuellen Abba-Show wiedersehen?
Ich wurde gebeten, erst darüber zu sprechen, wenn die Sache offiziell gestartet ist. Daran halte ich mich.
Was ist die zentrale Botschaft von Abba?
Glück! Genieße dein Leben. Und sei freundlich zu jedermann. Oder: »Geh rein, tanz raus«, wie wir im Abba-Museum sagen .
Die Abbamania »Super Trouper«-Tour durch Deutschland beginnt am 13. März im sächsischen Riesa.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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