Für immer in der Pubertät

In seinen Liedern konnte man sich verlaufen: Meat Loaf ist tot

Meat Loaf war ein Überwältigungskünstler. Früher nannte man seine Lieder »Mini-Opern«. Und ja, er war Held der Operette, die gerne Oper wäre. In seiner Musik konnte man sich verlaufen wie in diesen riesigen geschmackvoll geschmacklos eingerichteten Wohnzimmern der Reichen, die man öfters in Illustrierten bestaunen kann. Bombastischer Wahnsinn, aufgepumpter Trash und pathetische Verkündigung, alles auf einmal. Ein Meat-Loaf-Song ist ein überdramatisierter Queen-Song, der sich irgendwie verirrt hat, auf dem Weg in die Wagner-Festspiele in Bayreuth.

Aber es gibt Leute, die Wagner toll finden. Und es gibt auch Situationen des tiefen Schmerzes, der furchtbaren Einsamkeit und des allgemeinen Niedergeschmettertseins, da können die Meat-Loaf- Songs wie Drogen wirken. Ja, man kann sich in ihnen nicht nur verlaufen, man kann auch in ihnen wohnen und sich damit therapeutisch und theatralisch selbst besser begreifen:»I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)« – kann man es besser formulieren? Die Musik von Meat Loaf ist ewige Pubertät, mit allen Stärken und Schwächen. Nun ist er im Alter von 74 Jahren gestorben.

Es muss hart sein, den bescheuerten Spitznamen aus der Jugend zu seinem Künstlernamen zu machen. Geboren als Marvin Lee Aday in Dallas, Texas, wurde er angeblich als Schüler von seinem Football-Trainer Meat Loaf (»Hackbraten«) getauft, nachdem er ihm auf den Fuß getreten war. Ewige Pubertät! Er war schwer, aber er hatte eine Fast-Vier-Oktaven-Stimme, auch noch im Alter. Und er war »ein kraftstrotzender Mann, der zeigte, dass Schwitzen menschlich ist« (»Taz«). Ende der 60er Jahre spielte er mit seiner Band im Vorprogramm von solchen unterschiedlichen Acts wie Bob Seger, The Stooges, Grateful Dead, Janis Joplin und Ritchie Havens.

Aber eigentlich war er Schauspieler. Er spielte in den wichtigen Freak-Theaterstücken der entgrenzten 70er Jahre mit: Er war in »Hair« dabei und in der US-Fassung der »Rocky Horror Picture Show« (und auch in der Verfilmung 1975). Später konnte man ihn in »Fight Club« oder »Wayne’s World« sehen. Er spielte in über 50 Filmen und TV-Shows mit. 1971 machte er seine erste Platte, als Duo mit Shaun Murphy, die sich Stoney nannte. »Stoney & Meatloaf«, ein naseweiser Gruß aus dem Niemandsland zwischen Rock und Gospel, erschien auf Motown, ohne Erfolg.

Bei »Hair« machte Meat Loaf die Bekanntschaft mit dem Komponisten Jim Steinman, der Fan von Richard Wagner und Kiss war – eine irre epische Mischung. Und so hörte sich dann auch »Bat Out of Hell« an, das Debüt von Meat Loaf als Solokünstler 1977, dessen Lieder komplett von Steinman stammten. Es wurde über die Jahrzehnte 43 Millionen Mal verkauft und ist damit das fünfterfolgreichste Album der Popgeschichte (hinter Platten von Michael Jackson, AC/DC, Pink Floyd und Whitney Houston).

Und natürlich hießen die wichtigen Comebackplatten von Meat Loaf nach zwischenzeitlichen Phasen der Verdammnis (Alkohol und Erfolgslosigkeit) dann auch so ähnlich: »Bat Out of Hell II: Back Into Hell« (1993) und »Bat Out of Hell III: The Monster is Loose« (2006). Künstlerische Entwicklungen: keine. Politische Einstellung: konservativ. Meat Loaf hielt Donald Trump für »sehr, sehr schlau« und belegte in dessen Fernseh-Casting-Show »The Apprentice« einen dritten Platz.

Die Beschreibung von Meat Loaf im »Spiegel« 1978 vor seiner ersten BRD-Tour galt für alle Zeit: »Mit 270 Pfund Gewicht stampft, diesen Montag in Hamburg, ein Fleischkloß aus Texas auf die Bühne, knautscht sein Gesicht und röhrt, als singe Enrico Caruso Rock’n’Roll. (...) Sein Theaterdonner mit Wagner-Anklängen beschreibt mal koitierende Teenager, mal Dantes Fegefeuer. Teenager und Dante, erläutert Meat Loafs Songschreiber Jim Steinman, hätten etwas gemeinsam: ›Das Leben am Abgrund des Infernos und die Suche nach dem Paradies‹.«

Vom britischen Musikmagazin »Mojo« wurde er »der uncoolste Mann im Universum« genannt. »So kann man es ausdrücken«, sagte Meat Loaf. Der ganze Rummel um sein Debütalbum hätte mit der Realität nichts zu tun gehabt. Vielleicht sei es eine Teenagerfantasie gewesen, aber seine war es nicht. Und doch, muss man ergänzen, es war eine, die Wirklichkeit wurde.

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