- Wissen
- Biotechnologie
Mit Cyanobakterien in die Zukunft?
Was Aquarianer und Schwimmer schreckt, kann umweltverträglich Unkraut bekämpfen und Kunststoffe produzieren
Sie gehörten zu den ersten Lebewesen, die vor rund 2,5 Milliarden Jahren auf der Erde Sauerstoff produzierten: Cyanobakterien. Mit ihrer Fähigkeit zur Fotosynthese ebneten sie höheren Lebensformen den Weg der Evolution. Heutzutage sind die blaugrün bis grünen Mikroorganismen den meisten Menschen eher als lästige Blaualgen geläufig. Doch anders als Algen besitzen Cyanobakterien keinen echten Zellkern.
Doch auch in der Gegenwart können Cyanobakterien sich als nützlich erweisen - zum Beispiel zur Vernichtung von Unkraut. Vor zwei Jahren entdeckten Wissenschaftler der Universität Tübingen, dass Cyanobakterien das genauso gut und dabei viel umweltverträglicher erledigen können als in der konventionellen Landwirtschaft verwendete synthetische Herbizide. Nach jahrelanger Untersuchung der grünlichen Kulturen war es der Chemikerin Stephanie Grond gelungen, ein in Blaualgen vorkommendes Zuckermolekül in großen Mengen zu isolieren. Diejenigen Pflanzen, die mit dem Molekül behandelt wurden, stellten ihren Keimungsprozess ein und wurden somit am Wachstum gehindert.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Anders als viele Kohlenhydrate, die als Energiequelle für Wachstum dienen, hemmt der Zucker aus den Blaualgen das Wachstum verschiedener Pflanzen und Mikroorganismen, wie zum Beispiel anderer Bakterien und Hefen. Das tut er, indem er ein Enzym des sogenannten Shikimisäureweges blockiert. Dieser Stoffwechselweg zur Produktion dreier Aminosäuren kommt nur in Mikroorganismen und Pflanzen vor. Eine Störung dieses Syntheseweges gilt daher als unbedenklich für Menschen und Tiere, erklärt Klaus Brilisauer vom Institut für Organische Chemie an der Universität Tübingen, der gemeinsam mit Stephanie Grond und Karl Forchhammer an dem Projekt arbeitet.
Damit funktioniert das Zuckermolekül auf ähnliche Weise wie Glyphosat. Im Gegensatz dazu allerdings ist der Zucker ein Naturprodukt, das im Boden zügig abgebaut wird. Im Rahmen von Langzeitstudien soll die Wirksamkeit, die Abbaubarkeit im Boden sowie die Unbedenklichkeit gegenüber Mensch und Nutztieren nun weiter erforscht werden.
Bei allen Vorzügen gibt es auch einen Nachteil: Wie Wissenschaftler des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei im Fachjournal »Science Advances« (DOI: 10.1126/sciadv.aax5343) berichten, wandeln die Bakterien im Dunklen Kohlendioxid in Methan um. Das Phänomen war vor allem während der Algenblüte in Gewässern bemerkt worden, wo die Cyanobakterien mehr klimawirksames Methan an die Atmosphäre abgaben.
Vielzeller mit komplexem Stoffwechsel
In den fädigen Cyanobakterien sind spezialisierte Zellen perlschnurartig verbunden. Die Fotosynthese betreibenden Zellen ernähren ihre Stickstoff fixierenden Schwesterzellen mit Zucker, während Stickstoffverbindungen in die entgegengesetzte Richtung fließen. Über welche Verbindungen sich die einzelnen Zellen untereinander austauschen, darüber war bisher kaum etwas bekannt und wird von einem Forscherteam der ETH Zürich untersucht. In einer im Fachblatt »Cell« (DOI: 10.1016/j.cell.2019.05.055) veröffentlichten Studie hatten die Wissenschaftler mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie nachgewiesen, dass die Zellen mit Proteinröhren verbunden sind, die an beiden Enden mit einer Art Stopfen verschlossen werden können. Zwischen den benachbarten Zellen gebe es Dutzende solcher Verbindungskanäle, erklärt der Tübinger Mikrobiologe Karl Forchhammer. Mit dem speziellen Schließmechanismus könne eine Zelle verhindern, dass sie Schadstoffe an ihre Nachbarzellen weitergibt, zum Beispiel, wenn die Zellen mechanisch beschädigt werden. Die beschriebenen Zellverbindungen sind die ältesten molekularen Strukturen für Vielzelligkeit, die im Laufe der Evolution von diversen vielzelligen Lebewesen mehrmals erfunden worden sind, schreiben die Autoren, wobei es auch hier Entwicklungen gab, die parallel zu einander verliefen.
Doch die vielseitigen Bakterien können noch mehr. So war es den Tübinger Wissenschaftlern kürzlich gelungen, den Stoffwechsel der Bakterien derart zu verändern, dass sie ein Biopolymer - eine Art Natur-Plastik - in Mengen produzieren, die sich auch industriell nutzen lassen. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam um Karl Forchhammer in den Fachjournalen »Microbial Cell Factories« und »Proceedings of the National Academy of Sciences«.
Demnach sind Cyanobakterien der Gattung Synechocystis in der Lage, das Biopolymer Polyhydroxybutyrat (PHB) herzustellen. PHB ist ähnlich einsetzbar wie Polypropylen. Im Gegensatz zu Polypropylen baut es sich in der Umwelt relativ schadstofffrei ab. Allerdings ist die Menge, die von diesen Bakterien normalerweise produziert wird, sehr gering.
Umweltfreundliche Plastikproduktion
Nun gelang es den Tübinger Wissenschaftlern, in den Bakterien ein Protein zu identifizieren, das die PHB-Synthese innerhalb der Bakterienzelle drosselt. Nach Entfernen des entsprechenden Regulators sowie weiteren genetischen Veränderungen sei die von den Bakterien produzierte PHB-Menge enorm angestiegen. Schließlich machte sie mehr als 80 Prozent der Gesamtmasse der Zelle aus. Die blaugrünen Bakterien brauchen lediglich Wasser, Kohlendioxid und Sonnenlicht - optimal für eine »klimaschonende und nachhaltige Produktion«, freuen sich die Wissenschaftler. Einmal in der Industrie etabliert, werde die gesamte Kunststoffproduktion revolutioniert. Allerdings müsste der Einsatz der Bakterien langfristig noch optimiert werden.
Welche genetischen Veränderungen sind genau gemeint? Bereits 2010 hat Testbiotech e. V., ein »Institut für unabhängigen Folgenabschätzung in der Biotechnologie«, den technischen Einsatz von gentechnisch veränderten Cyanobakterien kritisiert. Damals plante das US-Unternehmen Algenol mit speziellen gentechnisch veränderten Blaualgen der deutschen Firma Cyano Biofuels an der mexikanischen Pazifikküste Anlagen zur Produktion von Biokraftstoffen mit Algen zu errichten. Synthetisierte Lebensformen, die in die Umwelt gelangen, können kaum mehr kontrolliert oder gar zurückgeholt werden, lautete die Kritik. Allerdings ist ebenso unklar, ob die gentechnisch veränderten Bakterien in der freien Natur überleben, wie ungewiss ist, ob sie Schaden anrichten können.
Derzeit liegt die Plastikproduktion weltweit bei rund 370 Millionen Tonnen Kunststoffen pro Jahr. In den nächsten zehn Jahren wird ein Wachstum um weitere 40 Prozent erwartet. Unterdessen findet sich Mikroplastik aus weggeworfenen Kunststoffen selbst im Gletschereis entlegener Gebirge und in den Weltmeeren. Und die Herstellung von Kunststoffen aus Erdöl und Erdgas heizt das Klima an. Andererseits sind Kunststoffe bei vielen sinnvollen Anwendungen kaum noch ersetzbar - vom energiesparenden Leichtbau bis zur Medizin. Es müssen Alternativen her, so viel ist klar. Diese sollten jedoch zu 100 Prozent umweltverträglich sein.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.