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Zeter und Mordio im Parlament
Das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigt sich mit den allmorgendlichen Straßenblockaden der Klimaaktivisten
»Extremisten«, »Terroristen«, »Dschihadisten, die für ihren Glauben auf die Straße gehen«, und überhaupt: »Vielleicht wird es ja das nächste Mal eine Geiselnahme.« Dem rechtspolitischen Sprecher der AfD-Fraktion, Marc Vallendar, ist am Donnerstag in der Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses kein Schreckensszenario zu billig, um es nicht als Geschütz gegen die Klimaaktivisten vom »Aufstand der letzten Generation« aufzufahren. Die Gruppe blockiert jetzt seit gut drei Wochen - mit Unterbrechungen - allmorgendlich Autobahnabfahrten in der Hauptstadt und sorgt so verlässlich für lange Staus.
Da beim Thema Autofahrer im Stau die Verfechter des Grundsatzes »Freie Fahrt für freie Bürger« bekanntlich schnell hyperventilieren, überrascht es wenig, dass dann auch der in der Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses behandelte Rechtsaußen-Antrag »Linke Straßenblockaden brechen, Täter bestrafen« bisweilen von schrillen Tönen begleitet war.
So empörte sich der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Frank Balzer, »dass es nicht akzeptabel ist, wenn jeden Tag Tausende Berlinerinnen und Berliner in Geiselhaft genommen werden«. Im Umgang mit den Aktivisten könne es für Polizei und Justiz nur eine Strategie geben: »verfolgen und bestrafen«. Ähnlich FDP-Innenexperte Björn Jotzo, der erklärte, es wäre »das Fatalste, was wir tun könnten«, den Forderungen der Aktivisten nach einem Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung - dem erklärten Ziel der aktuellen Proteste des »Aufstands« - nachzugeben. So weit, so erwartbar.
Interessant an der Debatte war vor allem der Riss, der sich in der Frage nach der Bewertung der Straßenblockaden durch die rot-grün-rote Koalition auftat. Während Vasili Franco, der innenpolitische Sprecher der Grünen, und Ferat Koçak, der klimaschutzpolitische Sprecher der Linksfraktion, die Aktionen als Formen zivilen Ungehorsams verteidigten, sah SPD-Innenexperte Tom Schreiber in den Blockaden vor allem »einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr«. Das Verhalten der Aktivisten sei »unsäglich, unvertretbar, unverhältnismäßig«, und es könne »nicht sein, dass hier ein Stück weit Recht gebrochen wird«, so der »Law and Order«-Sozialdemokrat weiter. Seine Forderung: Es müsse nun gegen die Blockierer »beschleunigte Verfahren geben«.
Das sah Innensenatorin Iris Spranger genauso. Die SPD-Politikerin beklagte zudem, dass die Aktivisten ihre Hände mit Sekundenkleber auf den Asphalt kleben. Da die Fingerabdrücke so kaum abzunehmen seien, erschwere das der Polizei die Identitätsfeststellung, sorgte sich Spranger. Die Senatorin setzt nun auf »gezielte Gefährderansprachen« und eine »Kostenübernahme« der Polizeimaßnahmen durch die Blockierer. Letzteres werde gerade geprüft. Und generell gelte: »Hier ist jetzt natürlich die Justiz gefragt.« Applaus für die ankündigte neue Linie bei SPD, CDU, FDP und AfD, nicht so bei den Koalitionspartnern Grüne und Linke.
Kein Wunder, schließlich hatte Vasili Franco für die Grünen noch kurz zuvor in einer engagierten Rede die Klimaaktivisten gegen eine »pauschale und undifferenzierte Kriminalisierung« in Schutz genommen. Auch wenn es nicht sein dürfe, dass - wie zuletzt auch geschehen - bei Protesten der Einsatz von Rettungswagen behindert wird: »Ich persönlich halte zivilen Ungehorsam für ein legitimes Mittel«, so Franco. »Politischer Protest, sei er unkonventionell oder anstrengend, war und ist für mich selbstverständlicher Bestandteil einer gesunden Demokratie.« Auch müsse man feststellen: »Die Stadt ist in Aufruhr - geschickt gemacht.«
»Protest muss manchmal provokant sein und stören, ansonsten bleibt er wirkungslos«, sagte auch Linke-Politiker Ferat Koçak. Wobei die Blockade von Autobahnausfahrten ohnehin ein »mildes Mittel« sei. Die Problemverursacher der Klimakrise säßen »vornehmlich in den Chefetagen« - und da müsse man ran. Nur folgerichtig dann auch die Forderung nach einem Systemwechsel: »System change, not climate change - lassen Sie uns in Berlin damit anfangen«, rief Koçak aus.
Die so gefeierten beziehungsweise angefeindeten »Aufständischen« setzten derweil am Donnerstag ihre Sitzblockaden fort. Diesmal waren die Ausfahrt der A100 zum Tempelhofer Damm sowie die zum Spandauer Damm in Charlottenburg an der Reihe, lange Staus erneut inklusive. Die Polizei gab an, im Zuge der rund bisherigen 30 Blockaden inzwischen mehr als 200 Anzeigen aufgenommen zu haben. In gut 170 Fällen seien Demonstrierende vorläufig festgenommen oder es seien die Personalien festgestellt worden.
Was den gemeinsamen Ruf von Opposition und SPD nach »unverzüglichen Verurteilungen«, »verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen« und der ganzen Härte des Gesetzes betraf, erklärte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) übrigens, dass sie »gerade keine Notwendigkeit« sehe, »da weiterführende Vorkehrungen zu treffen«. Es sei »total wichtig«, dass »rechtsstaatliche Verfahren eingehalten werden« - und dafür werde »natürlich von Hause aus auch gesorgt«.
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