Maitre Lindemann

Warum ein Berliner AfD-Politiker mit einer Youtube-Kochsendung gezielt hämische Kommentare provoziert

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Kochsendungen haben selten etwas mit profaner Küchen-Realität gemein. Wenn Jamie Oliver, Nelson Müller oder Cornelia Poletto mit stets falten- und vor allem fleckenfreier Schürze am Herd stehen, ist dieser nicht nur bis auf das letzte Staubkorn blitzblank poliert, auch das Gemüse ist immer frisch aus dem Biomarkt - natürlich makellos, als sei jede Zwiebel vorher unter Einsatz einer Zahnbürste vom kleinsten Makel befreit worden. Auch nur an den Einsatz fertiger Instantbrühe aus dem Supermarkt zu denken, käme in solchen Koch-Shows einem Sakrileg gleich. Die Betonung liegt hierbei auf Show - Zutaten schneiden, braten, rösten, dünsten - alles eine Inszenierungsfrage.

Gemessen an diesem surrealen Maßstab ist das, was Gunnar Lindemann in »Gunnars Kochshow« abliefert, ein harter Gegenentwurf zum schönen Schein der Hochglanz-TV-Küchenwelt. Auch hier, das ist für die weitere Bewertung wichtig zu wissen, geht nichts ohne Inszenierung über den Youtube-Äther, wo vor einigen Tagen die erste Folge erschien. Episode zwei soll am Freitag folgen.

Aus dem Netz gefischt

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Dabei gibt sich der Berliner AfD-Politiker größtmögliche Mühe, dass eigentlich niemand auf die Idee kommen dürfte, das Unterfangen von »Gunnars Kochstudio« sei ernsthaft ein Versuch, Wissen über alltagstaugliche Rezepte und kleine Küchenkniffe weiterzugeben.

Lindemann nennt sich in seinem ersten Video Maitre, also Meister, der seine Zuschauer*innen »auf eine lukullische Reise durch seine Feinschmecker-Galaxie« mitnehmen wolle. Was der AfD-Mann kredenzt? Krautroulade aus der Dose an einer gekochten Süßkartoffel. Er nennt das »Urban Convenience Cuisine«, was zweifellos eine Verballhornung hochtrabender Begriffe aus der Sterneküche sein soll.

Genau das will Lindemann eben nicht zeigen. Man sieht dem 52-Jährigen keine sechs Minuten dabei zu, wie er in einer kleinen Küche in einer Neubauwohnung im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf über das Schälen eine Süßkartoffel sinniert und ebenso wortreich erklärt, wie sich ohne Verletzungsgefahr eine Konservendose öffnen lässt. Das alles fabriziert er in einer unaufgeräumten Küche samt einfachen Standardstandherd, auch wenn er die Einrichtung als »Hightech« bezeichnet, die es aber für sein Rezept nicht brauche.

Einschläfernde Musik und laienhafteste Kameraführung machen klar: Hier produziert jemand ein Youtube-Trash-Format, weil er damit eine bestimmte Wirkung erzielen will.

Genau die lässt nicht lange auf sich warten. Inzwischen wurde das erste Video fast 100.000 mal angeklickt, allein auf Youtube finden sich über 2000 Kommentare voll Häme, Spott und Sarkasmus. Lindemann dürfte all das freuen. Mit einem simplen Video generiert da ein AfD-Politiker Aufmerksamkeit, der sonst mit politischen Äußerungen von sich Reden macht, die selbst in seiner Partei nicht immer nur auf Zustimmung stoßen.

Parteikollegin Beatrix von Storch bringt auf den Punkt, was diese Show im wahrsten Sinne des Wortes soll. »Lindemann kocht u [sic!] die linke Blase kocht über. Einer von uns hält denen den Spiegel vor: linksextreme Berufshetzer essen nicht aus der Dose. Noch wichtiger: sie verachten die, die sich den Gang zum fair-trade-vegan-Sterne-Koch nicht leisten können. Treffer versenkt«, twittert die AfD-Politikerin. Man muss zugeben: Im Kern trifft von Storch da einen wunden Punkt.

Der rechte Hetzer Lindemann produziert in schlechtmöglichster Qualität ein Video darüber, wie er sich eine Kohlroulade aufwärmt, das Netz johlt und die AfD kann daraufhin zurück antworten: Seht her, diese Linken erheben sich (vermeintlich) über uns einfache Leute. Herzlich Willkommen in der Klassismus-Falle.

»Gunnars Kochshow« funktioniert als Antipode zur Welt der Haute Cuisine und dürfte damit trotz überspitzter Inszenierung näher am Alltag in Millionen Haushalten sein, als die in vielen Medien reproduzierte Anspruchshaltung, wer nicht täglich frisch koche, der habe irgendwie und irgendwas in seinem Leben nicht unter Kontrolle. Dosenroulade ist dann nur noch Fertigfraß und nicht die logische Konsequenz daraus, dass nach einem vollgepackten Arbeitstag in Werkhalle oder Büro oft schlicht die Rest-Nerven fehlen, um in der Küche einen auf strahlenden Jamie Oliver zu machen. Von den vielfach fehlenden finanziellen Möglichkeiten einmal komplett abgesehen.

Dabei spielt es auch keine Rolle, dass Lindemann als AfD-Politiker im Berliner Abgeordnetenhaus über eben diese Ressourcen verfügt, täglich anders zu essen, wenn er dies wollte. Seine Kochshow ist ein gezielt hingestellter Honigtopf, der tausende Kommentator*innen anlockte, die nun der AfD als vermeintlicher Beweis dienen, wie abgehoben ihre politischen Gegner*innen doch seien. Essen ist eben doch politisch.

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