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Brutal real
Berlinale-Panorama: In »Baqyt« versucht eine Frau, dem gewaltvollen Martyrium ihrer Ehe zu entfliehen
Es gibt Filme, die sollten besser nie gedreht werden. Nicht, weil sie so schlecht, so banal und irrelevant sind, sondern weil man sie kaum erträgt in ihrer Brutalität, weil man sich währenddessen übergeben möchte vor Ekel und Abscheu davor, mit ansehen zu müssen, was Männer in einem Mix aus Minderwertigkeitskomplexen, toxischem Geschlechterbild und Selbsthass Frauen antun. Die Bilder bleiben im Kopf, auch mehrere Wochen noch. Solch ein Film ist »Baqyt« (Glück), der als eines der Highlights der diesjährigen Panorama-Sektion gilt.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
In dem Film des kasachischen Regisseurs Askar Uzabayev beschließt eine Frau (Laura Myrzhakmetova) aus ihrem mittlerweile 23 Jahre andauernden Martyrium auszubrechen. Sie ist mit einem Trinker und Gewalttäter (Yerbolat Alkozha) allergröbster Sorte verheiratet. Beide haben eine Tochter, die ebenfalls kurz davor steht, zu heiraten und somit in die gleiche Hölle einzutreten, in der ihre Mutter seit Jahrzehnten lebt.
Der Film beginnt in einer winzigen Wohnung in einer kleinen Grenzstadt im ländlichen Kasachstan. Regelmäßig abends um die gleiche Uhrzeit wird im ganzen Block der Strom abgestellt. Die Frau steht im Kerzenschein vor dem Badezimmerspiegel, streift ihr T-Shirt ab und legt Schultern und Brust frei, die über und über mit blauen Flecken gesprenkelt sind. Der letzte physische Ausraster ist eine Weile her. Allein das Setting im gefliesten Badezimmer, der Kerzenschein gibt den Horror dieser Ehe preis, zeigt die Enge, in der sich diese Frau befindet. Dann passiert gut eine Stunde nichts, was auf körperliche Gewalt hindeutet.
Dafür ist die emotionale Härte, die Misogynie, in jeder Szene überdeutlich. Ehefrauen werden permanent als Schlampen betitelt, die Männer, die im Film vorkommen, sind hochgradig arme Würstchen: dauerbesoffen, aggressiv, unattraktiv. Ein Schlaglicht, nicht nur auf die kasachische Gesellschaft, geprägt von Traditionen, harschem gesellschaftlichem Druck, extrem engen Geschlechterkorsetts und Statusdenken. Die Frauen untereinander haben sich aus Selbstschutz weitgehend entsolidarisiert. Wenn die Mutter ihrer Tochter sagt, sie habe es verdient, von ihrem Mann geschlagen zu werden und sie solle ihrer Familie keine Schande machen, dann ist das zunächst das, was Frauen über Generationen hinweg von ihren Müttern zu hören bekommen, um emotional so weit abgestorben zu sein, den Rest zu ertragen. Sie lernen, dass menschliche Beziehungen nichts mit Zuneigung zu tun haben, sie sind rein funktional. Diese gesellschaftliche und menschliche Verrohung zeigt Uzabayev in beängstigend kühlen Bildern, sinisteren Lichteinstellungen, die klaustrophobische Enge produzieren, und durch Dialoge, die in ihrer Schroffheit kaum zu übertreffen sind.
Der Wendepunkt im Film ist gekommen, als sich die Frau entschließt, ihren Mann zu verlassen. Nun folgen brachiale Gewaltausbrüche, die jeder Beschreibung trotzen. Irgendwann aber kehrt sich die Gewalt um, einzig die körperliche Unterlegenheit der Frau lässt sie ihren Plan, Rache zu nehmen, nicht vollenden. Am Ende bleibt das tragischste Schicksal von allen: vollkommene Kapitulation. Betroffenen von Gewalterfahrung muss unbedingt abgeraten werden, sich diesen Film anzusehen. Zu real fühlt es sich an, was auch an den fabelhaften Hauptdarsteller*innen liegt.
Schließlich stellt sich die Frage, warum es derart monströse Abbildung von Frauenhass in Kino und Fernsehen geben muss. Meist geht es doch um die Ästhetisierung von Gewalt als (meist männlicher) künstlerischer Ausdruck. So etwa in Fatih Akins »Der goldene Handschuh«, der zwar als gelungene Milieustudie gefeiert wurde, aber schlichtweg Gewaltpornografie ist und ebenfalls auf der Berlinale lief (2019). Bei »Baqyt« ist die Antwort nicht so einfach, denn es geht nicht um die Tarnung pathologischen Frauenhasses als Kunst und das damit verbundene kathartische Durchleiden niederer Ängste.
Am Ende des Films machen eingeblendete Zahlen deutlich, worauf Uzabayev hinauswill. Er will Publikum, Öffentlichkeit, Rezensionen in Zeitungen, die schockiert sind von der Brutalität dieses Film, weil die Autor*innen hoffentlich nie mit derartigem in Berührung kamen. 400 Frauen sterben jedes Jahr in Kasachstan durch die Hand ihrer Ehemänner, heißt es in einer Studie aus dem Jahr 2019, auf die sich die Zahlen im Abspann beziehen. 48 Selbstmorde von Frauen im Monat gehen auf Erfahrungen mit häuslicher Gewalt zurück. In jeder achten Familie herrscht Gewalt. Nur knapp sieben Prozent der Fälle werden überhaupt angezeigt, der Rest bleibt versteckt in den eigenen vier Wänden. Von den angezeigten Fällen kommt es selten, wenn überhaupt, zu einer Verurteilung der Täter. Tatsache ist, dass der Film eigentlich aufgrund seiner expliziten Gewaltdarstellungen und Vergewaltigungsszenen nicht zu ertragen ist, aber für die Realität ist das schlichtweg der falsche Maßstab.
»Baqyt«: Kasachstan 2022. Regie: Askar Uzabayev, Buch: Assem Zhapisheva. Mit: Laura Myrzhakmetova, Yerbolat Alkozha, Almagul Kazikhan. 131 Min. Termine: Fr 18.2., 22 Uhr: Zoo Palast; Sa 19.2., 17.30 Uhr: Cinemax 4.
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