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Klimaerwärmung tut jetzt schon weh
Der zweite Teil des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates steht vor der Endfassung - es geht um Anpassung an den Wandel
Hunderte Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe zwei des Weltklimarates, des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sitzen seit einer Woche virtuell zusammen, wägen Satz für Satz ab und haben noch eine ganze Woche mit Debatten vor sich.
Etwa alle sechs Jahre legt der Weltklimarat einen umfangreichen Bericht vor, der den Stand der Forschungen zum Klimawandel zusammenfasst, der seine Folgen benennt und die Möglichkeiten, den Planeten zu schützen. Am 28. Februar soll vom sechsten IPCC-Sachstandsbericht der zweite Teil erscheinen. Über den beugen sich gerade die Fachleute der Arbeitsgruppe zwei, vor allem über den wichtigsten Teil: die Zusammenfassung für Politiker.
Beim Klimaschutz geht es im Kern immer um zwei Dinge, im Englischen mitigation und adaptation genannt. Mitigation - das meint in der ursprünglichen lateinischen Wortbedeutung, etwas zu besänftigen, zu mildern oder zu lindern. Aufs Klima bezogen bedeutet mitigation, die Ursachen für den Klimawandel zu beseitigen. Also vor allem die zivilisatorischen Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren, zunächst auf null; und später Treibhausgase aus der Atmosphäre wieder herauszuholen und auf diese Weise sogenannte negative Emissionen zu erzeugen.
Doch selbst wenn es gelingt, die Erderwärmung auf zwei Grad oder weniger zu begrenzen, hat der Klimawandel bereits Folgen für das menschliche Leben. An dem Punkt kommt die zweite Säule des Klimaschutzes ins Spiel: adaptation, Anpassung. Hier geht es darum, sich mit den Änderungen des Klimas zu arrangieren oder so darauf einzustellen, dass zivilisatorische Schäden so weit wie möglich vermieden oder auch entstehende Chancen genutzt werden können.
Der in Endredaktion befindliche zweite Teil des sechsten IPCC-Berichts beschäftigt sich vor allem mit diesen Folgen des Klimawandels und den Möglichkeiten, sich daran anzupassen. Frohe Botschaften stehen nicht ins Haus.
Zusammenhang Mensch - Klima - Natur
Wie kein anderer zuvor werde der neue Bericht zeigen, »wie sehr sich die Welt aufgrund des Klimawandels schon verändert hat und mit welchen katastrophalen Klimarisiken wir in Zukunft rechnen müssen - je nachdem, wie schnell und wie weit wir den Ausstoß der Treibhausgase senken«, stimmte Hans-Otto Pörtner, einer der beiden Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zwei, kürzlich bei einem Pressegespräch des Deutschen Klima-Konsortiums auf das zu Erwartende ein.
Nicht allein, weil er Klimafolgen wie Hitze, Dürre, Niederschlagsextreme oder neue Krankheitserreger behandelt, wird der neue Bericht für Furore sorgen. Diesmal würden die Wissenschaftler die Zusammenhänge zwischen Mensch, Klima und Natur »in sehr viel engerer und deutlicherer Weise« als früher darstellen, charakterisiert Pörtner die neue Qualität.
In der Klimadebatte dominiert für den Meeresbiologen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung noch das »Silodenken«. Was er meint, lässt sich anhand der Ansprüche illustrieren, die derzeit zum Beispiel an die Landnutzung gestellt werden.
Windkraftbetreiber wollen berechtigterweise mehr Fläche - aber auch Naturschützer, um die Artenvielfalt zu retten, oder die Bundesregierung, die jedes Jahr 400 000 Wohnungen neu bauen will.
Für Pörtner ist es aber auch eine Art »Silodenken«, wenn heute beispielsweise 70 Prozent der globalen Ackerfläche für die Produktion von Tierfutter genutzt werden. »Wir brauchen etwa zehn Kilo Pflanzenmasse, um ein Kilo Tierfleisch zu erzeugen«, rechnet er vor. Mit einer konsequenten Umstellung der Ernährungsweise täte die Menschheit nicht nur direkt etwas für den Klimaschutz, weil Emissionen von Methan und Lachgas aus der Tierhaltung zurückgingen - zugleich würde viel Landfläche für Biodiversität, Arten- und Flächenschutz gewonnen und natürlich auch zur Produktion solcher Lebensmittel, die nicht den Umweg übers Tier nehmen müssen.
Für Pörtner wird auch die Speicherung von Kohlendioxid noch viel zu sehr aus dem »Silo« Technologie betrachtet. Im Klimaziel der EU - Klimaneutralität bis 2045 - sei bereits ein Prozentanteil an CO2 eingerechnet, der in natürliche Ökosysteme »verpackt« werden soll.
So ein Vorgehen setze ja voraus, so Pörtner, dass die Ökosysteme das Speichern auch hinbekämen. »Wir haben aber jetzt schon eine Dämpfung wichtiger CO2-Speichersysteme wie des Regenwaldes und borealer Wälder«, warnt der Biologe. Das seien Warnzeichen. »Es gibt nicht mehr die Schublade, wo man CO2 hineintun kann, sondern man muss diese Schublade hegen und pflegen«, erklärt er. Verlässt man das »Silo«, dann erkennt man, so formuliert es Pörtner, »zwanghafte Abhängigkeiten« und »gegenseitige Beeinflussungen«. Anders gesagt: Mensch, Klima und Natur hängen enger zusammen, als wir das bisher gedacht haben - und danach gehandelt haben wir schon gar nicht.
Vom Hegen und Pflegen kann derzeit nicht die Rede sein, beklagt Josef Settele, Leiter der Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Der menschengemachte Klimawandel bedrohe zunehmend die heutige Natur, warnt er.
Settele hat dabei nicht allein die großen, sichtbaren Zerstörungen durch Dürren, Hitzewellen oder Waldbrände im Blick. Schon kleinere, durch veränderte Temperaturabläufe zeitlich verschobene Aktivitäten reichten aus, um die Natur aus ihrem Gleichgewicht zu bringen. Als Beispiel nennt er die Flugzeiten von bestäubenden Insekten, die häufig nicht mehr mit den klimabedingt verschobenen Blühzeiten der Pflanzen übereinstimmen. Dann fliegen die Bestäuber zu früh oder zu spät aus.
Schutzgebiete helfen dem Klima
Settele fordert, 30 bis 50 Prozent der kontinentalen Lebensräume sowie der Weltmeere unter Schutz zu stellen, um den Rückgang der Artenvielfalt aufzuhalten. Dies sei »keine utopische Zahl«, wenn man unterschiedliche Schutzkategorien einbeziehe. Es gehe nicht nur um Totalreservate, sondern auch um geschützte Kulturlandschaften.
Dass diese Forderung für viele Wirtschaftstreibende ein Affront ist, ist dem Wissenschaftler sicher klar - nur gibt es, wie Settele durchblicken lässt, wohl keine Alternative. »Wer die Zusammenhänge von Klima, Natur und den Lebensgrundlagen des Menschen ignoriert, wird keine Erfolge beim Klimaschutz feiern«, betont der Ökologe. »Was den Rückgang der Biodiversität aufhält, nützt auch dem Klimaschutz.«
Auch in städtischen Regionen werden Klimaschutz und Klimaanpassung noch weitgehend getrennt betrachtet, bekräftigt Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center Germany, das im Auftrag der Bundesregierung die Ergebnisse der Klimaforschung für Deutschland sammelt und aufbereitet. Beim Klimaschutz gehe es meist um die »Stadt der kurzen Wege«, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder energieeffiziente Gebäude - und beim Thema Anpassung eben um Hitzeperioden oder den Umgang mit Starkregen.
Jacob plädiert dafür, beides zusammenzudenken, beispielsweise die »blaue«, auf den Wasserhaushalt ausgerichtete Infrastruktur der Städte mit der »grünen«, auf Bäume und Grünflächen ausgerichteten.
Es gehe ihr um ein intelligentes, grünes Bauen, sagt sie. In Städten sei ein Verbundnetz von Grünflächen und Gründächern denkbar. Natürliche Verschattungen könnten die Sonnenwirkung abschwächen und zugleich den häuslichen Kühlbedarf und die dafür benötigte Energiemenge senken. Tatsächlich wären schon heute klimapolitische Doppel- und Mehrfacheffekte in der Kombination von Natur und Technik möglich. Fassaden, die vor Hitze schützen, könnten zugleich mittels Fassaden-Fotovoltaik Strom erzeugen. Unter Fotovoltaik-Dachanlagen könnte es grün sprießen.
Dasselbe gilt für Landschaften. Nicht nur Windkraft, auch Fotovoltaik könnte weiterhin genutzte Agrarflächen überspannen oder auch - die neueste Idee - renaturierte Moorflächen. Ein faszinierendes Konzept: Der größte Teil einstiger Moore in Deutschland wird heute als Grünland genutzt - als Weide oder zur Futtergewinnung für Rinder. Eine Umstellung der Ernährung auf weniger Fleisch und Kuhmilch, wie sie Hans-Otto Pörtner vorschwebt, würde es erleichtern, einen Großteil der Moore aus der Nutzung zu nehmen, sie wiederzuvernässen und als natürlichen CO2-Speicher zurückzugewinnen. Käme dann noch Fotovoltaik obendrauf, ohne den Moorschutz zu beeinträchtigen, ergäbe das eine bisher nicht gekannte natürlich-technische CO2-Senke.
Öko-Puristen mögen hier die Nase rümpfen. Doch die Natur so zu erhalten, wie wir sie derzeit noch kennen, wird ohnehin kaum möglich sein. »Organismen sind auf bestimmte Klimaeigenschaften und Temperaturfenster spezialisiert. Das ist für die künftige Planung von Renaturierungsmaßnahmen ein wichtiger Punkt«, gibt Pörtner zu bedenken. »Einfach anzunehmen, wir könnten Historisches wiederherstellen, wird in manchen Fällen zu kurz greifen.«
Waldexperten in Deutschland rätseln zum Beispiel gerade, welche Bäume für Klimaverhältnisse geeignet sind, wie sie in 20 bis 30 Jahren in Deutschland herrschen werden. Weder weiß man genau, wie stark sich dann das regionale Klima verändert haben wird, noch welche Bäume für die neuen Bedingungen geeignet sein könnten. Um das herauszufinden, müsste man eine Vielzahl von Bäumen über lange Zeiträume testen - Zeit, die Menschheit und Natur nicht mehr haben, wenn der Klimawandel seine derzeitige Dynamik behält.
CO2-Reduktion bleibt entscheidend
Bei allen Bemühungen um Natur und Biodiversität muss - da lassen auch die Klimaexperten keinen Zweifel - der klassische Klimaschutz weiter die erste Rolle spielen. Josef Settele: »Erfolge werden sich erst einstellen, wenn wir den Einsatz fossiler Brennstoffe massiv reduzieren. Daran führt kein Weg vorbei. Die Emissionen komplett zu kompensieren, ist nicht zu schaffen.«
Auch für Pörtner ist die CO2-Reduktion die entscheidende Voraussetzung, damit es überhaupt eine Zukunft gibt. Aus dem Zusammenspiel veränderter Temperaturen und dem noch verfügbaren globalen CO2-Budget ergibt sich für den IPCC-Experten eine knapp bemessene Frist, in der sich noch eine vernünftige Klimapolitik betreiben lässt und die Gesellschaften resilient, widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel, werden können. Und für ihn ist die Botschaft des kommenden neuen Kapitels des Weltklimaberichts ziemlich eindeutig: »Das Zeitfenster für eine klimaresiliente Welt schließt sich.«
Auch Daniela Jacob warnt. »Wir können uns nicht an alles anpassen, insbesondere, wenn wir über drei Grad globalen Temperaturanstieg hinauskommen. Dann haben wir regional bis zu sechs Grad plus - und dann ist Schluss.« Dann geht es nicht mehr um Klimaschutz und -anpassung, sondern ums blanke Überleben der Zivilisation.
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