- Kultur
- Transfeindlichkeit
Selbstbestimmung wider die Natur?
Jeja nervt: Transgeschlechtliche Menschen können sich ihr Geschlecht nicht aussuchen
In der Bundestagsdebatte zum kommenden Weltfrauentag am 8. März hat die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch eine transfeindliche Hassrede von sich gegeben. Sie bezeichnete die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer unter anderem als »als Frau verkleideter Mann«, sprach sie ausschließlich mit dem Pronomen »er« an und nannte sie nur bei ihrem Deadname. Der Begriff bezeichnet den abgelegten Geburtsnamen.
Von Storch sprach davon, dass transgeschlechtliche Menschen sich anschickten, ihr Geschlecht selbst zu bestimmen. Die »Gender-Ideologie«, auf der das basiere und der alle Fraktionen außer der AfD anhingen, behaupte, jeder könne »sich sein Geschlecht, irgendwie, selbst bestimmen«. Das war schon mal eine erste Salve, die die kommende Auseinandersetzung um das im Koalitionsvertrag der Ampel beschlossene Selbstbestimmungsgesetz im neuen Bundestag einläutete.
Dabei instrumentalisiert von Storch ein weitverbreitetes Missverständnis, das den Blick auf transgeschlechtliche Menschen prägt. Denn »selbst bestimmt« werden soll beim kommenden Gesetz gar nicht das Geschlecht eines Menschen. Es geht vielmehr darum, dass den Menschen die Entscheidung darüber zugesprochen wird, über den staatlichen Geschlechtseintrag und den erfassten Namen zu bestimmen. Bisher gilt, dass ein ganzes Ensemble aus teuren Mediziner*innen, Psycholog*innen und Jurist*innen eine pseudo-objektive Beurteilung des vorliegenden Geschlechts vornehmen muss. Dazu müssen sich die Antragsteller*innen entwürdigenden und sexuellen Übergriffen Tür und Tor öffnenden Begutachtungsprozessen sowie Zwangs-Psychotherapien unterziehen.
»Selbstbestimmung« im Wortsinne des Gesetzes bedeutet also die Abschaffung dieser Fremdbeurteilung, von der das Bundesverfassungsgericht im Rückgriff auf den Konsens in der Wissenschaft längst geurteilt hat, dass sie gar nicht möglich ist. Geschlecht lässt sich demnach niemals »objektivieren«. Zur Feststellung des Geschlechts eines Menschen muss also im Wesentlichen auf die Bezeugung der einzigen Person zurückgegriffen werden, die Zugriff auf das Empfinden der Geschlechtszugehörigkeit hat. Das ist die transgeschlechtliche Person selbst.
Doch das bedeutet nicht, dass diese »selbst bestimmt«, was sie in sich empfindet. Transgeschlechtliche Menschen können sich ihr eigenes Geschlecht, und das ist ja die Krux daran, genauso wenig selbst aussuchen, wie alle anderen Menschen auch. Es geht bei der Frage um die Rechte von Trans also nicht um irgendwelche Freiheitsrechte oder darum, einer Minderheit einen Luxus zu gewähren, auf den sie pocht.
Es geht um das buchstäbliche Überleben von Menschen, die aufgrund ihrer eben nicht selbstbestimmten Lage erheblicher Ausgrenzung, psychischer Leiden, Arbeits- und Obdachlosigkeit, Armut und deutlich erhöhter Suizidalität ausgesetzt sind. Die Attacke von Beatrix von Storch darf dabei als Beispiel gelten, mit welcher im Zweifelsfall blutrünstigen Menschenverachtung viele transgeschlechtliche Menschen jeden Tag zu kämpfen haben.
Die Grundlage, auf der sich die Täter*innen dabei berechtigt fühlen, stellt oft ein weiteres Missverständnis, nämlich über Natur und Wahrheit, dar. Von Storch sagte: »Wer so offenkundig die Natur, die Wahrheit, leugnet, der muss die Wahrheit selbst zum Verbrechen erklären und jeden, der die Wahrheit ausspricht, zum Verbrecher.« Doch niemand würde zustimmen, dass das Wesen »der Natur« auch ansonsten mit einem einfachen Blick bestimmbar und damit »die Wahrheit« aussprechbar wäre.
Hinter dem »Sonnenstrahl« verbirgt sich eine Wellenbewegung wie hinter der »Schallwelle«. Letztere wiederum ist ohne sich bewegende Partikel, Strahleigenschaften, genauso wenig denkbar wie erstere. Das Netzsignal am Smartphone und die optische Strahlung des Displays folgen denselben Prinzipien. Um die Geräte zu bauen, mit denen sich Transfeind*innen von Storchs Hassrede jubelnd reinfahren, muss beides begriffen werden. Einen einfachen Blick auf »die Wahrheit« der Natur und ihre Überführung in Sprache gibt es eben nicht.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.