- Kultur
- »Queen Lear« am Maxim-Gorki-Theater Berlin
Shakespeare trifft Star Wars
Mit reichlich Blödelei feierte »Queen Lear« am Berliner Maxim-Gorki-Theater Premiere
Das Weltall ist so etwas wie die Resterampe für Kulturprodukte. Ist ein Stoff bereits aus allen erdenklichen Perspektiven bearbeitet, beleuchtet und traktiert worden, schießen Künstler und solche, die sich nur so nennen, ihn gern in die unendlichen Weiten, um ihn im Lichte der Sterne funkeln und verglühen zu sehen. Man kennt das Prinzip aus Hollywood. Es gibt Schmonzetten, Western und Politdramen im All. Am Berliner Maxim-Gorki-Theater schicken sie nun auch King Lear zum Mond und darüber hinaus. Julia Oschatz hat eine detailverliebte Bühne gebaut, mit Raumschiffen, Kommandozentralen, pneumatischen Türen, Sternenfirmament im Hintergrund und allem, was der Science-Fiction-Fan sich schon immer von einem Shakespeare gewünscht hat. Bleibt nur die Frage: Warum muss der uns schon so schnell verlassen?
Regisseur Christian Weise verkündete vor der Premiere das Urteil: Frauenfeindlich sei dessen Stück. Stimmt das? Möglich, allerdings war es auch schon ein paar Jahrhunderte alt, bevor der Sexismus-Vorwurf erstmals die Runde machte. Den Regeln der Quanten folgend, dürfte diese Aussage also zweifach bestimmt sein: Sie ist wahr und zugleich völliger Blödsinn. Weise, dafür ist er bekannt, interessiert sich vor allem für Letzteres und zückt das Lichtschwert als Waffe seiner Wahl. Sein Lear ist im Star-Wars-Universum angelegt.
Von der angekündigten Volte gegen die vermeintliche Frauenfeindlichkeit bleibt nicht viel mehr übrig, als dass Frauen hier Männerfiguren spielen und umgekehrt. Statt »King Lear« heißt das Stück »Queen Lear«, was die Handlung aber nicht weiter stört. Zu Beginn fragt die Queen ihre drei Kinder, welches von ihnen ihr am meisten Liebe entgegenbringe. Die zwei älteren versichern ihr die größte Zuneigung und erhalten ihren Teil des Erbes. Nur die Jüngste, Cordelia, gibt sich schmallippig. Die Queen verstößt sie daraufhin. Ein Fehler, denn kaum hat Lear den Thron geräumt, wollen die begünstigten Söhne sie loswerden. Intrigen werden gesponnen, bald stehen die Zeichen auf Krieg.
Gespielt wird die Lear von einer der letzten großen Diven des deutschen Theaters, von Corinna Harfouch, was an sich schon ein wirklich guter Witz ist. Wie Harfouch zu Beginn, ganz in Schwarz gewandet, als Imperatorin auf einem Sessel in ihrer Raumstation Hof hält und gleich die ganze Erde in drei Stücke aufteilt, das ist schon wirklich komisch. Nur leider dauert der Abend danach noch gut drei Stunden.
Die Hälfte der Aufführung ist als Projektion auf einer Leinwand zu sehen, eine Handkamera begleitet die Spieler auf ihren Reisen durchs All. Sie folgen auf diesen erstaunlich gewissenhaft der Handlung Shakespeares, allerdings weitgehend ohne dessen Sprache. Das Autorenkollektiv Soeren Voima bedient sich für seine Bearbeitung eifrig beim Vokabular der linken wie rechten Identitätspolitik. Am Anfang wird eine Triggerwarnung ausgesprochen; eine Frau ist hier keine, sondern ein »menstruierender Mensch«, Gendersternchen werden eingefordert oder verteufelt, die größte Strafe besteht darin, »gecancelt« zu werden. Auch die Figurennamen klingen wie Noms de guerre aus dem Kulturkampf: Proud Boy Edmund, Bossy Gloster, Cutie Oswald und Sister Eddi.
Sie alle trotzen Meteoritenstürmen, braten sich Eier auf einem Pappherd, sprechen in überbetont schwul klingenden Stimmlagen und walzen auch sonst jeden Einfall aus den Proben aus. Das Resultat ist hehre Albernheit, was an sich keine schlechte Nachricht wäre. Auf deutschen Bühnen gibt es mehr als genug Inszenierungen, die sich wohlig in Elend und Tristesse suhlen.
Das Problem ist nicht der satirische Dauerton, sondern dass überhaupt nicht ersichtlich wird, gegen wen sich die Satire richtet. Gegen Shakespeare? Der kann das ab, die Reste des Originals klingen klar und kraftvoll aus dem Diskurs-Denglisch heraus, dem sie sich hier lustvoll ergeben. Gegen die »Boomer«? Eine solche Lesart läge nahe, behandelt der »Lear« doch vor allem einen Generationenkonflikt. Doch Weise scheint sich gar nicht besonders für eine politische oder überhaupt eine Deutung zu interessieren. Er braucht einfach nur Material für all die Scherze, die sie hier geradezu zwanghaft reißen. Das Ergebnis sieht so aus, als hätte die »Bullyparade« sich von Twitter inspirieren lassen.
Vor der Pause rüstet sich Svenja Liesau für ihren großen Auftritt. Sie spielt eigentlich eine wichtige Nebenrolle, improvisiert hier aber lieber berlinernd, später auch Plattdeutsch schnackend und Kölsch palavernd ein paar Lebensweisheiten zusammen, schwingt sich vom angetrunkenen Herumtreiber zum Spiritus Rector der Queen Lear auf, quatscht die Harfouch einfach an die Wand. Da hilft nur noch die Flucht, sie eilen von der Bühne, verlassen sogar das Haus, irren draußen im Regen herum. Die Queen hat da, dem Stück entsprechend, schon den Verstand verloren: Sie sammelt Laub auf und wirft es sich über das bare Haupt. Dann muss auf einmal ganz schnell Strecke gemacht werden, Weise fährt den Klamauk runter und bringt die Tragödie brav zum Abschluss. Wie es sich gehört, sind am Ende fast alle tot.
»Realismus ist immer die brutalste Art der Illusion«, heißt es da, und dieser Satz klingt wie eine Erklärung für den ermüdenden Trubel zuvor. Fast scheint es nun, als hätten Weise und sein Ensemble doch noch mehr gewollt, als ein paar Gags zu reißen, als wollten sie ein Statement setzen. Nur wofür? Das haben sie wohl vor lauter Blödsinn selbst ganz vergessen.
Nächste Vorstellungen: 5., 6., 19. und 20. März.
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