Schöne neue Roboterwelt

In Jean-Pierre Jeunets stylischer Science-Fiction- Groteske »BigBug« übernehmen Roboter und Androiden die Macht und sperren die Menschen Zuhause ein – vielleicht zu ihrem Besten

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Leben, das nicht vollautomatisiert organisiert ist, können sich die Menschen in »BigBug« nicht mehr vorstellen.
Ein Leben, das nicht vollautomatisiert organisiert ist, können sich die Menschen in »BigBug« nicht mehr vorstellen.

Die Angst davor, dass Künstliche Intelligenz, Androiden oder Roboter eines Tages die Macht übernehmen und die Menschen unterjochen, denen sie gerade noch gedient haben, beschäftigt die Science-Fiction seit Jahr und Tag. Auch in jüngster Zeit erfreut sich dieses Narrativ in stets abgewandelter Form großer Beliebtheit, egal ob in der letzten Staffel des Star Trek-Spin-Offs »Picard«, das kommenden Monat fortgesetzt wird oder in der düsteren Dystopie »Mother/Android«, in der die Titel gebenden Androiden die Menschen abschlachten. Einen sehr ironischen, skurrilen und im wahrsten Sinn des Wortes farbenfrohen Blick auf diese Thematik wirft »BigBug«, der neue Film des französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet. Die Filme des mittlerweile auch schon 68-jährigen Jeunet, der vor gut 30 Jahren mit »Delicatessen« debütierte und 2001 mit dem preisgekrönten Streifen »Die fabelhafte Welt der Amelie« einem breiteren Publikum bekannt wurde, zeichnen sich vor allem durch ihre eigenwillige, mitunter unorthodoxe Bildästhetik aus. Das gilt auch für »BigBug«, eine knallbunte Science-Fiction-Komödie, die Mitte des 21. Jahrhunderts angesiedelt ist.

In der schönen neuen Welt voll fliegender Autos und aus dem Nichts erscheinender Bildschirme machen zahlreiche Androiden und Roboter das alltägliche Leben einfacher und die Konsummöglichkeiten noch grenzenloser. Egal, ob es die kleinen fliegenden und hilfsbereiten Drohnen sind, der niedliche Roboter, der ein wenig wie Pixars Wall-E aussieht und beim Aufräumen des Kinderzimmers hilft oder das stets unnatürlich grinsende Androiden-Dienstmädchen, das geröstete Snacks und Getränke serviert: das Leben ohne diese Helfer können sich die Menschen in ihren vollautomatisierten Häusern gar nicht mehr vorstellen. Das gilt auch für Alice (Elsa Zylberstein), die gerade mit ihrem neuen Verehrer Max (Stéphane De Groodt) flirtet, als ihr Ex-Mann Victor (Youssef Hajdi) mit seiner jugendlichen Freundin Jennifer (Claire Chust) auf dem Weg ins Luxus-Urlaubs-Ressort vorbeikommt, um die Teenager-Tochter Nina (Marysole Fertard) abzuliefern. Dazu gesellt sich noch eine Nachbarin, als plötzlich die Tür des Hauses verschlossen und die Klimaanlage abgestellt wird. Die Roboter-Hausangestellten wollen die Menschen aus Sicherheitsgründen nicht mehr nach draußen lassen.

Diese groteske Situation dürfte nicht unbeabsichtigt an Luis Bunuels Klassiker »Der Würgeengel« (1962) erinnern und ganz ähnlich wie beim Meister des surrealistischen Kinos geht es auch hier eigentlich um die Befindlichkeiten, Ängste und Projektionen der bürgerlichen Klasse, deren Vertreter in dieser fortlaufend eskalierenden Ausnahmesituation auf sich selbst zurückgeworfen werden. Im Lauf der Zeit fallen die Masken, bürgerliche Konventionen werden über Bord geworfen, es geht ums nackte Überleben. Zwischen sexuellem Begehren, Konkurrenzlogik und unterwürfiger Anpassung an Zwänge richten sich die Bewohner des Hauses ein, in dem die Temperatur langsam bis zur Unerträglichkeit ansteigt. Irgendwann wird klar, dass die für militärische Zwecke konstruierten Androiden namens Yonix die Herrschaft übernommen haben und schließlich auch ins Haus einzudringen versuchen. Aber dass die Hausroboter und Androiden die Menschen eigentlich vor den Yonix schützen wollten, bemerken die um ihr Leben fürchtenden und nur mit sich selbst beschäftigten braven und paranoiden Bürger lange Zeit nicht.

»BigBug« steckt voller Querverweise von der in den 1960er Jahren mitunter sehr kritiklosen Technologie- und Fortschrittsbegeisterung, die sich ästhetisch in dem Film niederschlägt, etwa in den vollautomatisierten Interieurs. Aber auch Marcel Carnes Film-klassiker »Kinder des Olymp« (1945) wird hier kurz zitiert und der schließlich alle Bücher niederbrennende Yonix-Android erinnert an Francoise Truffauts »Fahrenheit 451« (1966).

So reichhaltig dieser optisch wirklich außergewöhnliche Film auch als postmodernes Kunstwerk voller Verweise daherkommt, so banal und vorhersehbar bleibt dann letztlich die gesellschaftspolitische Dimension der KI- und Androidenthematik, die über Allgemeinplätze nicht hinauskommt. Die Maschinenangestellten sind irgendwann solidarischer und im humanistischen Sinn menschlicher als die vor sich hin leidenden Vertreter der Bourgeoisie, die nur noch an sich selbst und ihren nächsten Konsumkick denken, als bürgerliche Charaktermasken aber kaum Tiefe haben und zu aufgesetzt wirken. Die allzu simple Technologie- und Gesellschaftskritik trübt letztlich die künstlerische Substanz dieses stellenweise wirklich witzigen und insgesamt bildgewaltigen Films, der fast schon wie ein animierter Comic wirkt, sich aber zu sehr in seiner eigenen, alles dominierenden Ästhetik verliert. Da hilft dann nicht einmal, dass ganz am Ende sogar die Corona-Pandemie eine kurze pointierte Erwähnung findet.

»BigBug« ist verfügbar auf Netflix.

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