Versorgung in Arztpraxen in Gefahr

Aktuelle Umfragen zeigen, dass viele medizinische Fachkräfte überlegen, aus dem Beruf auszusteigen. Auch Tiermedizin ist betroffen

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Verband medizinischer Fachberufe schlägt Alarm. Laut einer aktuellen Umfrage zur Gehalts- und Arbeitssituation von Medizinischen Fachangestellten (MFA) in Deutschland erklärten 46 Prozent von ihnen, dass sie überlegen, aus dem Beruf auszusteigen. Mehr als 3900 MFA beteiligten sich nach Angaben des Berufsverbandes an der von ihm selbst durchgeführten Studie.

Darüber hinaus teilte der Verband medizinischer Fachberufe mit, dass Anfang 2022 bundesweit auf umgerechnet 75 arbeitslose MFA 100 offene Stellenangebote kamen. »Was aus Sicht des Arbeitsmarktes für diese Berufsangehörigen eine günstige Situation ist, bringt die ambulante medizinische Versorgung in Gefahr«, heißt es dazu von Seiten des Verbandes. Dessen Präsidentin Hannelore König mahnt angesichts dieser Entwicklung: »Bei einer Umfrage 2017 waren es noch 22 Prozent, die an ihrem Beruf zweifelten. Wenn wir auch nur einen Teil dieser Kolleginnen und Kollegen verlieren, ist die Betreuung der Patientinnen und Patienten in den Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren ernsthaft bedroht.«

Ursachen für die zunehmende Verdrossenheit oder die vielfach auch schon geschehene Abwanderung von MFA aus dem Beruf sieht der Berufsverband vor allem in der fehlenden finanziellen und öffentlichen Wertschätzung ihrer beruflichen Leistungen. »Die Politik konzentriert sich seit geraumer Zeit nur auf die Pflege. Das hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Zusammenhang mit der Absage beim Coronabonus für MFA erst vergangene Woche wieder bestätigt«, kritisierte König. Dazu gehöre auch, dass ab September 2022 der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte auf 13,70 Euro und für qualifizierte Pflegehilfskräfte auf 14,60 Euro steigen soll.

Während Pflegehilfskräfte nur ein maximal dreimonatiges Training und qualifizierte Pflegehilfskräfte eine einjährige Ausbildung benötigten, absolvierten medizinische Fachangestellte hingegen eine dreijährige Ausbildung mit staatlichem Abschluss an einer Ärztekammer. »Die MFA liegen damit in der Entgeltbemessung beim Verantwortungsgrad weit über den Kriterien von Pflegehilfskräften. Dennoch gibt es für sie keinen höheren Mindestlohn. Vielmehr gaben in der aktuellen Onlineumfrage rund zehn Prozent an, dass sie einen Bruttostundenlohn unter 12 Euro erhalten«, so König weiter.

Zudem habe in der Umfrage jede vierte medizinische Fachkraft festgestellt, ein Entgelt zu erhalten, das geringer ist als im Tarifvertrag nach Berufsjahr und Tätigkeitsgruppe verankert. »Das heißt auch, dass wir neben der zeitnahen Gegenfinanzierung der Tarifsteigerungen unbedingt eine höhere Tarifverbindlichkeit im ambulanten Bereich benötigen«, fordert König. Mit Blick auf Aussagen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte die Verbandspräsidentin: »Wenn der Bund dafür sorgen will, dass zukünftig öffentliche Aufträge des Bundes nur noch an Unternehmen gehen, die nach Tarif bezahlen, dann sollte das auch für gesetzliche Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gelten und dies bei Honorarverhandlungen entsprechend berücksichtigt werden.«

Auch bei den Tiermedizinischen Fachangestellten (TFA) ist die Lage kritisch. Wie bei den Allgemein- und Fachärzten habe laut Verband medizinischer Fachberufe seit Beginn der Pandemie auch in den Tierarztpraxen und Tierkliniken der Stress spürbar zugenommen. »Einerseits haben sich mehr Familien für die Anschaffung eines Haustieres entschieden, sodass mehr tierische Patienten betreut werden mussten. Andererseits haben auch die pandemiebedingten Veränderungen im Praxisablauf und im Umgang mit den Tierhalterinnen und -haltern die Belastungen für das Praxispersonal deutlich steigen lassen«, so König dazu.

Bei einer Umfrage des Berufsverbandes gaben demnach 49,5 Prozent der TFA an, dass sie keinen steuerfreien Arbeitgeber-finanzierten Corona-Sonderbonus erhalten haben. Mit Blick auf die unterdurchschnittliche Entgeltsituation bei diesen Berufsangehörigen und den auch hier ausgeprägten Ausstiegsgedanken aus dem Beruf erinnerte König daran, dass für Arbeitgeber noch bis zum 31.03.2022 die Möglichkeit besteht, eine steuerfreie Leistung bis zu einer Höhe von 1500 Euro an die Beschäftigten zu zahlen.

Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist, dass die Leistung zusätzlich zu dem ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt wird, also keine Entgeltumwandlung ist und im Zusammenhang mit der Coronakrise steht. Die Auszahlung kann entweder einmalig oder über mehrere Monate verteilt erfolgen. »Die Arbeitgeber sollten daher die Möglichkeit, das Engagement der Mitarbeitenden mit einem steuerfreien Bonus zu würdigen, unbedingt nutzen«, appellierte König.

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